Technische und ökonomische Grundlagen der Netzneutralitätsdebatte
Erstellt am: 09.06.2015 | Stand des Wissens: 17.08.2023
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Eine der technischen Grundlagen der Datenübertragung über das Internet bildet das "Best-Effort-Prinzip", nachdem keinelei Koordination des Netzes für die Übertragung von Datenpaketen benötigt wird, da der Transport je nach Systemauslastung selbständig reguliert wird. Um die übertragene Daten unabhängig von ihrem Inhalt, ihrem Verwendungszweck, ihrer Herkunft oder dem Empfänger gleich zu behandeln werden Kommunikationsdaten hierzu in einzelne Datenpakete aufgeteilt (Paketvermittlung) und dann unabhängig voneinander und als eigenständige Einheiten weitergeleitet. Die Übertragung der Datenpakete erfolgt dabei unabhängig von Qualitätsanforderungen ("first in - first out"-Prinzip) [MoKo13, S. 64].
Jedoch wurde im Laufe der Entwicklung des Internets eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen und Services entwickelt, die teils sehr unterschiedliche Anforderungen an die Qualität der Datenübertragung stellen. Zum Beispiel erfordert die Internettelefonie in Echtzeit (Voice over Internet Protocol (IP)) eine möglichst geringe Latenzzeit (Verzögerungen bei der Datenübertragung), während diese bei der Übertragung von Electronic-Mails (E-Mails) praktisch unerheblich ist.
Mit der starken Zunahme des weltweiten Übertragungsvolumens und der Etablierung zahlreicher Dienste mit hohen Qualitätsanforderungen (etwa Voice over IP, Videotelefonie, Videostreaming) kann es beim Auftreten von Übertragungsengpässen zu einer starken Beeinträchtigung dieser qualitätssensitiven Dienste kommen, während geringe Verzögerungen bei der Datenübertragung anderer, nicht qualitätssensitiver Dienste (etwa E-Mail, Internet-Browsing) nur geringe Auswirkungen haben.
Zur Vermeidung von Qualitätseinbußen bei der Datenübertragung im Internet können deshalb von Telekommunikationsunternehmen Technologien eingesetzt werden, die unter der Bezeichnung "Quality-of-Service" zusammengefasst werden und eine qualitätsdifferenzierte Übertragung von Datenpaketen (etwa nach Service-/Qualitätsklassen) ermöglichen. Diese Abweichung vom Best-Effort-Prinzip wird auch mit der Schaffung neuer, besonders qualitätssensitiver Internetdienste (etwa für den Gesundheits- oder Verkehrsbereich) begründet [MoKo11a, S. 95].Kritiker verweisen jedoch bei einer qualitätsdifferenzierten Datenübertragung auf ein mögliches Diskriminierungspotential durch Telekommunikationsunternehmen [MoKo11a, S. 96]. Diese könnten durch eine ungerechtfertigte Differenzierung der Datenübertragung ihre Marktmacht im Endkunden- oder Dienstemarkt zu ihrem Vorteil missbrauchen. Sie fordern daher eine strikte regulatorische Festschreibung der Netzneutralität.
Netzneutralität im eigentlichen Sinne liegt vor, wenn der gesamte Verkehr in einem Netz gleich (neutral) behandelt wird, unabhängig von (i) Inhalt, (ii) Anwendung, (iii) Dienst, (iv) Absender sowie (v) Empfänger [BNetzA15g]. Bei strikter Netzneutralität gibt es somit weder einen Preis für den Transport eines Datenpaketes bis zum Endkunden noch die Möglichkeit einer Qualitätsdifferenzierung bei der Datenübertragung [MoKo13, S. 64].Bei der Netzneutralitätsdebatte geht es im Kern darum, ob, beziehungsweise inwieweit, eine Abkehr von den bisherigen Prinzipien des Datentransports im Internet aus Sicht der Nutzer, aber auch der Inhalteanbieter akzeptabel beziehungsweise erwünscht ist oder ob gegebenenfalls neue Regulierungsvorgaben für Telekommunikationsunternehmen erforderlich sind.