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Europäische Projekte und Anwendungen des Elektronischen Fahrgeldmanagements

Erstellt am: 08.12.2014 | Stand des Wissens: 29.03.2020
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrssystemplanung, Prof. Dr.-Ing. Plank-Wiedenbeck

In Europa existiert derzeit in den einzelnen Ländern eine Reihe von Systemen für das Elektronische Fahrgeldmanagement (EFM). Eine Auswahl von Systemen ist der nachfolgenden Übersicht zu entnehmen, die auf dem Prinzip des Check-In/Check-Out (CiCo) bzw. Check-In/Be-Out (CiBo) basieren.
441367_systeme-europa_2020-03-29.pngAbb. 1: Übersicht ausgewählter Elektronischer (E-) Ticketing-Systeme in Europa [Blic14]
Diese Systeme in den einzelnen Städten oder Regionen zeichnen sich zumeist durch proprietäre Lösungen aus, die somit untereinander nicht interoperabel sind. Im Jahr 2007 veröffentlichte der Internationale Verband für öffentliches Verkehrswesen (Union Internationale des Transports Publics, UITP) das Positionspapier "Everybody Local Everywhere", in dem empfohlen wurde, durch Standardisierung und Kooperation die Vision interoperabler Ticketing-Systeme im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu verfolgen. Ziel dieser Vision ist es, den Kunden elektronische Tickets zur Verfügung zu stellen, die über Verbund- und Ländergrenzen hinaus genutzt werden können [UITP07].
Aus dieser Vision entstand das europäische Interoperable Fare-Management (IFM-) Project , das von 2008 bis 2010 von der EU-Kommission in Höhe von 740.000 Euro mitfinanziert wurde. Beteiligt an diesem Projekt waren die drei wichtigsten Standards des Elektronischen Ticketing (E-Ticketing) in Europa [Etic14a]:
  • Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) eTicket Service GmbH & Co. KG (bis Dezember 2013: VDV-Kernapplikations-GmbH), Deutschland
  • Integrated Transport Smartcard Organisation Limited (ITSO), Großbritannien
  • Calypso Networks Association, Belgien
Wichtiges Projektergebnis war eine Chipkarte, auf der alle drei Ticket-Anwendungen der beteiligten Projektpartner integriert wurden. Zum anderen wurde eine Roadmap zur Interoperabilität des E-Ticketings aufgestellt, die durch gemeinsame Multiapplikationsprozesse und ein gemeinsames Download-Portal für lokale Applikationen (Stufe 1: Schnelle Erträge) sowie durch  die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen EFM-Applikation (Stufe 2: Langfristige Vision) die Interoperabilität des E-Ticketings gewährleisten soll [UITP10], [Etic14a], [STA14a].
Nach Abschluss des IFM-Projects setzte sich die Entwicklung in neuen, massentauglichen Technologien für das E-Ticketing (beispielsweise Near-Field-Communication-Technologie (NFC)) rasant fort. In diesem Kontext der verfügbaren Infrastrukturen und Systeme wurde im Jahr 2012 das Memorandum of Understanding als Kooperationsplattform zur Interoperabilität im Rahmen des E-Ticketings von den drei Teilnehmenden aus dem IFM-Project (VDV eTicket Service GmbH & Co. KG, ITSO Limited, Calypso Networks Association), der Agence Francaise de l´Information Multimodale et de la Billettique (AFIMB) und des UITP unterzeichnet. Durch das Memorandum, das neben den Unterzeichnenden weiteren Beteiligten zur Verfügung steht, soll die Entwicklung von interoperablen E-Ticketing-Systemen in Europa gefördert und eine Organisation der IFM Alliance auf der europäischen Ebene unterstützt werden [Etic14a], [Etic12].
Im Juni 2014 wurde in Brüssel die als internationale Non-Profit-Organisation aufgestellte Smart Ticketing Alliance ins Leben gerufen [STA14b]. Die Gründungsmitglieder sind die fünf Unterzeichnenden des Memorandum of Understandings, unter denen der UITP die Aufgabe des koordinierenden Sekretariats der Allianz übernimmt. Die Smart Ticketing Alliance verfolgt folgende Hauptziele [STA13]:
  • Schaffung von interoperablen EFM-Lösungen sowohl innerhalb Europas als auch über Europa hinaus durch Kooperation von nationalen und regionalen E-Ticketing-Systemen
  • Entwicklung, Absprache und Veröffentlichung der technischen und funktionellen Anforderungen für die Interoperabilität von E-Ticketing-Systemen
  • Kooperation bei Fragen zur Zertifizierung, Spezifikation und Sicherheit
  • Kooperation mit anderen Gremien zur Förderung der Interoperabilität
Ein weiteres Projekt in Richtung grenzüberschreitende EU-weite Lösungen stellt das europäische Forschungsprojekt European Traveller Club (ETC) dar, welches 2017 startete. Der ETC ist eine Initiative mehrerer europäischer E-Ticketing-Systeme im öffentlichen Verkehr sowie des ACCEPT-Institutes (ACCount-based travelling in European Public Transport), dem Nachfolger des Open Ticketing Institute (OIT) [ETC18]. Mit dem ETC wird ein neuer Ansatz zur Überbrückung der bestehenden grenzüberschreitenden Hürden getestet. Beim so genannten Account-based Ticketing oder ID-basierten Ticketing liegt die Fahrberechtigung nicht mehr im Nutzermedium (z. B. Chipkarte) selbst vor, sondern das Hintergrundsystem stellt die Fahrtberechtigung zur Prüfung in der Cloud (Speicherung im Internet) zur Verfügung [VRS18]. Die Europäische Union hat das Projekt mit dem Forschungs- und Innovationsprogramm "Horizont 2020" finanziell unterstützt [ETC18].
Ansprechpartner
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrssystemplanung, Prof. Dr.-Ing. Plank-Wiedenbeck
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Elektronisches Fahrgeldmanagement (Stand des Wissens: 29.03.2020)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?340325
Literatur
[Blic14] Konsortium BLIC GmbH KCW GmbH Übersicht In-Out-Vertriebssysteme weltweit, 2014/03/13
[ETC18] European Travellers Club (Hrsg.) The European Travellers Club, 2018
[Etic12] UITP - Internationaler Verband für öffentliches Verkehrswesen (Hrsg.) Memorandum of Understanding, 2012/02
[Etic14a] VDV eTicket Service GmbH & Co. KG IFM-Projekt (Interoperable Fare Management), 2014/12
[STA13] Smart Ticketing Alliance The Smart Ticketing Alliance Charter, 2013/06
[STA14a] Smart Ticketing Alliance IFM Project introduction, 2014/12/17
[STA14b] Smart Ticketing Alliance Press Release STA Launch, 2014/06/24
[UITP07] UITP - Internationaler Verband für öffentliches Verkehrswesen Focus Paper: Everybody Local Everywhere, 2007/04
[UITP10] UITP - Internationaler Verband für öffentliches Verkehrswesen Interoperables Fahrgeldmanagement, 2010
[VRS18] Verkehrsverbund Rhein-Sieg GmbH (Hrsg.) eTicketing in Europa und grenzüberschreitende Lösungen, 2018/11/14
Glossar
App
Ist eine Abkürzung für den Fachbegriff Applikation (App) und bezeichnet eine Anwendungssoftware, die für mobile Endgeräte, wie Smartphone oder Tablet-PC entwickelt wurde. Apps können als Zusatzsoftware auf mobilen Endgeräten installiert werden und erweitern dadurch deren Funktionsumfang. Je nach Betriebssystem kann der Nutzer auf eine Vielzahl von mobilen Applikationen auf dem vom Betriebssystem bereitgestellten Marktplatz kostenpflichtig oder kostenlos zugreifen.
Check-In/Be-Out Der Ansatz “Check-In/Be-Out (CiBo)” stellt eine Mischform aus den Ansätzen des Check-In/Check-Out (CiCo) und Be-In/Be-Out (BiBo) dar. Zu Beginn einer Fahrt muss sich der Nutzer mit seinem E-Ticket-Trägermedium anmelden (Check-In). Eine Interaktion am Nutzungsende ist nicht erforderlich (Be-Out).
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Check-In/Check-Out
Der Ansatz "Check-In/Check-Out (CiCo)" ist eine Erscheinungsform in Systemen mit Zugangsberechtigung und/oder automatischer Fahrpreisberechnung, die bei vielen Verkehrssystemen weltweit eingesetzt wird. Bei diesem Ansatz muss der Fahrgast beim Eintritt in das Fahrzeug oder den geschlossenen Bereich eines Schnellbahnsystems sein E-Ticket-Trägermedium an ein Terminal zum "Check-In" und beim Austritt aus dem System erneut zum "Check-Out" halten. Dieser Vorgang ist sowohl mit Chipkarten als auch über die Nahbereichskommunikation (Near Field Communication (NFC)) von bestimmten mobilen Endgeräten möglich und erfolgt quasi in Echtzeit.
Einen alternativen Ansatz zu CiCo stellt das Be-In/Be-Out-Prinzip (BiBo) dar.
NFC Near Field Communication (NFC) ist eine drahtlose Übertragungstechnologie, die zum kontaktlosen Datenaustausch zwischen Geräten im Close-Coupling-Entfernungsbereich (nur wenige Zentimeter) dienen soll und bei zuständigen Standardisierungsgremien spezifiziert ist, z.B. ISO 18092, ECMA 340, ETSI TS 102 190. NFC wurde ab dem Jahr 2002 entwickelt (Firma NXP und Sony). Dabei wurde z.B. auf RFID- und Bluetooth-Standards zurückgegriffen. An der Weiterentwicklung sind im NFC-Forum zusammengeschlossene Unternehmen beteiligt (www.NFC-Forum.org) Der Funkstandard NFC ist gezielt auf geringe Reichweiten im Zentimeterbereich entwickelt worden, um das Ausspähen der übertragenen Daten zu erschweren. Durch die extrem kurze Distanz sind unbeabsichtigte Verbindungen nahezu ausgeschlossen. NFC arbeitet im Frequenzband von 13,56 Megahertz mit einer Übertragungsrate von maximal 424 Kilobit pro Sekunde und einer Reichweite von 10 bis 20 Zentimetern.
Smartcard Die Smartcard ist ein elektronisches Ticket im Kreditkartenformat, die als Alternative zum papiergebundenen Ticket entwickelt wurde. Abhängig vom konkreten Einsatzszenario können auf einer Smartcard Tickets von verschiedenen Dienstleistungsaangeboten, zum Beispiel Fahrschein im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Eintrittskarte für Theater oder Museen, integriert werden.
Cloud In der Informations- und Kommunikationsiwrtschaft wird das Internet oftmals als Wolke (Cloud) dargestellt. Von der Cloud oder dem Cloud-Computing wird daher gesprochen, wenn Daten und Anwendungen in entfernten Rechenzentren gespeichert werden, die nicht auf dem lokalen Arbeitsplatzcomputer oder Server installiert sind. Der Nutzer kann bei Bedarf jederzeit und von überall aus über ein Telekommunikationsnetz  beziehungsweise das Internet auf Daten zugreifen, das diese konfigurierbaren Rechnerressourcen, wie Netze, Server, Speichersysteme, Anwendungen und Dienste mit entsprechenden Zugriffsrechten bereitstellt.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?441367

Gedruckt am Dienstag, 19. März 2024 07:33:59