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Lagerprozesse und -strukturen im Handel

Erstellt am: 31.07.2014 | Stand des Wissens: 26.04.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. Dr. h.c. W. Kersten

Die Kerntätigkeiten der Lagerlogistik im Handel sind das Empfangen, Einlagern, Entnehmen sowie Versenden von Waren. Unter Zeit-, Qualitäts- und Kostenrestriktionen bilden diese Tätigkeiten komplexe Prozesse mit hohem Führungs- und Optimierungsbedarf. Von besonderer Bedeutung ist in der Handelslogistik die Kommissionierung von Waren, bei der verschiedene Artikel kundenauftragsspezifisch zusammengestellt werden [HoSch10].

Ein Kundenauftrag ist in der Regel die Warenbestellung einer Einzelhandelsfiliale. In der Kommissionierung werden diese Waren, unter Berücksichtigung ihrer heterogenen logistischen Anforderungen, zu einer Sendung zusammengestellt und für den Transport in die Filiale vorbereitet. Die Herausforderung ist hierbei den geplanten Lieferzeitpunkt einzuhalten und die Sicherstellung der Verfügbarkeit der gewünschten Ware zu garantieren. Neben der Verfügbarkeit sind die Kostenaspekte zu beachten [Nyhu08]. Dabei handelt es sich nicht nur um Bestandkosten (im Wesentlichen Kapitalbindungs- und Versicherungskosten) und Kosten für Technik, Personal und Betrieb, sondern auch um spezielle Probleme und indirekte Kosten, die nur schwer zu erfassen sind. Des Weiteren ist aufgrund des unterschiedlichen Warensortimentes (Abmessungen, Gewichte, Temperaturanforderungen) eine korrekte Lagerungstechnik notwendig [HoSch10].

Grundsätzlich lassen sich die zentrale und die dezentrale Lagerhaltung unterscheiden. Zentrale Lagerstrukturen ermöglichen die Bündelung von Warenströmen in der Beschaffung und damit eine höhere Auslastung der Transporte sowie geringere Transportkosten. Weiter können Lagerbestände reduziert werden, da beispielsweise nur ein gemeinsamer Sicherheitsbestand für alle Verkaufspunkte notwendig ist. Für die Belieferung der Verkaufspunkte steigen die Transportkosten jedoch aufgrund einer größeren Entfernung [ArIs08]. Bei dezentraler Lagerhaltung können die Entfernungen zu den Einzelhandelsfilialen kürzer ausfallen, wodurch die Transportkosten sinken. Die dezentralste Form der Lagerhaltung ist das Vorhalten von Warenbeständen in den Lagern der Filialen. Allerdings sind die Bündelungseffekte bei der Belieferung dieser Lager gering. Des Weiteren müssen in mehreren Lagern Sicherheitsbestände zum Ausgleich schwankender Kundennachfrage vorhanden sein [ArIs08]. Außerdem besteht die Gefahr von Engpässen bei Nachfragespitzen [Trip19a, S.138]. Bei Zentrallagern des Handels wird häufig Cross Docking eingesetzt, ein Kommissionierverfahren, bei dem eingegangene Waren recht zeitnah (across the dock), kunden- oder filialspezifisch auf Transportfahrzeuge aufgeteilt wird [Trip19a, S.167].

Die Belieferung von Verkaufspunkten über Zentrallager hat besonders im deutschen Lebensmitteleinzelhandel an Bedeutung gewonnen und wird zukünftig weiter ausgebaut werden [GaSc13]. Bei der Auswahl der Lagerstandorte ist aus der Perspektive des Transportes vor allem eine möglichst kurze Entfernung zu den belieferten Filialen anzustreben. Dies ermöglicht niedrige Transportkosten für die Auslieferung und höhere Bündelungseffekte für die Belieferung des Lagers. Besonders in dicht besiedelten Ballungsräumen stehen für neue Lagerstandorte kaum geeignete Flächen in zentraler Lage zur Verfügung. Ebenfalls werden die zunehmenden Verkehrsbelastungen durch Lkws, die Staubildung und höhere CO2- und Lärmemission im Umfeld eines Lagers in einem innerstädtischen Standort als Probleme angesehen.
Lagerprozesse und -strukturen im Handel- Lagerstandorte Version 2.pngAbb. 1: Lagerstandorte des Lebensmitteleinzelhandels im Großraum Berlin [GaSc13] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Die beschriebene Problematik illustriert Abbildung 1 mit der Lage der Zentrallager von elf Ketten des Lebensmitteleinzelhandels im Großraum Berlin, aus denen rund 1.000 Filialen beliefert werden [GaSc13]. Nur drei Lager liegen innerhalb des Stadtgebietes, alle anderen Standorte sind um das Stadtgebiet in Brandenburg angeordnet.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. Dr. h.c. W. Kersten
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Handelslogistik (Stand des Wissens: 27.04.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?415841
Literatur
[ArIs08] Arnold, D., Isermann, H., Kuhn, A., Furmans, K., Tempelmeier, H. Handbuch Logistik, Ausgabe/Auflage 3., neu bearbeitete Auflage, Springer-Verlag / Berlin Heidelberg, 2008, ISBN/ISSN 3540729283
[GaSc13] Gabler, Manuel, Schröder, Stefan , Friedrich, Hanno , Liedtke, Gernot Generierung der Nachfragestrukturen für die mikroskopische Simulation des städtischen Distributionsverkehrs im Lebensmittelhandel, veröffentlicht in Wirtschaftsverkehr 2013, Springer, 2013, ISBN/ISSN 978-3-642-37600-9
[HoSch10] Michael ten Hompel, Thorsten Schmidt, Warehouse Management: Organisation und Steuerung von Lager- und Kommissioniersystemen, Ausgabe/Auflage 4., neu bearbeitete Auflage, Berlin: Springer, 2010, ISBN/ISSN 978-3-642-03184-7
[Nyhu08] Peter Nyhuis Beiträge zu einer Theorie der Logistik, Ausgabe/Auflage 1, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2008, ISBN/ISSN 978-3-540-75641-5
[Trip19a] Tripp, Christoph Distributions- und Handelslogistik : Netzwerke und Strategien der Omnichannel-Distribution im Handel, 2019/01

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?434439

Gedruckt am Donnerstag, 25. April 2024 00:18:56