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Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen im Handel

Erstellt am: 21.08.2013 | Stand des Wissens: 27.04.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig

Der Einzelhandel stellt im Jahr 2023 mit rund 645 Milliarden Euro Nettoumsatz für Waren und 3,1 Millionen Beschäftigten die drittgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland dar [Hein19; HDE23]. Jedoch hat sich das Wettbewerbsumfeld für den Handel in den letzten Jahren drastisch gewandelt und es kommt zu einschneidenden Verschiebungen [FU13; Mors12; ND13]. Vor allem der traditionelle Fachhandel (große Warenhäuser, sogenannte Multi-Label-Retailer) hat stark an Bedeutung verloren, während sogenannte Mono-Label-Stores (beispielsweise H&M, IKEA) ihre Anteile ausbauen [Hein19]. Außerdem hat sich der Handel durch die Digitalisierung und das starke Wachstum des E-Commerce fundamental verändert. Gemessen am Umsatzvolumen im gesamtdeutschen Einzelhandel betrug der Anteil des Online-Handels im Jahr 2021 14,7 Prozent. Seit dem Jahr 2000 ist für diesen Anteil ein stetiges Wachstum festzumachen, wie die Abbildung 1 deutlich macht. Es zeigt sich, dass sich dieser Trend durch die Covid-19-Pandemie zusätzlich verstärkt hat. Im Rahmen einer Befragung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt im Jahr 2020 zur Mobilität in Krisenzeiten gaben ein Viertel der Befragten an vermehrt online einzukaufen [DLR20c].


Einzelhandel.pngAbb. 1: Onlineanteil am Einzelhandel [eigene Darstellung in Anlehnung an HDE23] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)


Mit diesen beschriebenen Entwicklungen gehen neue Wettbewerbsformen und Veränderungen des Informations- und Einkaufsverhaltens der Kunden einher [Zank18]. Diese lassen sich grob in drei Gruppen untergliedern: das Einkaufsverhalten der Konsumenten (und die angebotenen Produkte), die Marktstruktur von Handelsunternehmen sowie die Organisation der Logistikkette.
Einkaufs- und Konsumverhalten
Das Einkaufsverhalten von Kunden ist vermehrt von großer Individualität und der Suche nach einem persönlichen Lifestyle geprägt, wodurch sich das Erreichen von breiten Käuferschichten zunehmend anspruchsvoll gestaltet.
So werden vermehrt technische Geräte, wie Smartphones oder Tablets, eingesetzt, um Produkte für den Kunden transparenter darzustellen und Warenangebote zu personalisieren. Durch neue Warenangebote sollen zudem Kundengruppen (zum Beispiel Senioren) gezielt angesprochen werden. Zudem ist in Deutschland ein sehr ausgeprägtes Preisbewusstsein gepaart mit einer hohen Erwartungshaltung an die Qualität der Waren anzutreffen, sodass gezielt preisreduzierte Qualitätswaren gekauft werden oder ein bipolares Kaufverhalten vorherrscht, welches sich durch den Kauf von billigen Waren beim reinen Versorgungskauf und Premium-Produkten im Lifestyle Bereich auszeichnet. Diese Orientierung am Preis der Produkte gepaart mit einer hohen Mobilität führt zu einer abnehmenden Kundenbindung im Einzelhandel [IHK18; Mors12]. Durch die Digitalisierung entkoppelt sich zudem zunehmend der Kaufentscheidungsprozess vom Moment des Kaufes im Einzelhandel, da sich der Kunde vor seinem Kauf zunächst im Internet orientiert, Informationen über die Beliebtheit von Produkten verschafft und Preise vergleicht. Da die Kaufentscheidung so primär produktbezogen gefällt wird, verliert der einzelne Händler massiv an Bedeutung für die Kunden. Geht es jedoch um Impuls- und Erlebniskäufe, hat der stationäre Handel bisher nach wie vor Vorteile gegenüber den meisten Online-Händlern [Hein19]. Darüber hinaus wird das Konsumverhalten von Kunden stärker als bisher von der Sozial- und Umweltverträglichkeit von Produkten und der Fähigkeit des Handelsunternehmens, verantwortungsbewusst zu wirtschaften, bestimmt (unternehmerische Sozialverantwortung, englisch: Corporate Social Responsibility) [IHK18; Mors12].
Marktstruktur von Handelsunternehmen
Trends, die die Marktstruktur von Handelsunternehmen beeinflussen, betreffen die Internationalisierung des Handels. Große Händler werden immer präsenter in allen europäischen Märkten. Zudem kommt es zum Markteintritt neuer Konkurrenten, zum Beispiel durch die Ergänzung von Absatzkanälen. Auch verändert sich das Verhältnis zwischen dem Handel und seinen Kunden, wobei die Kunden zunehmend eine bedeutendere Rolle innerhalb der Wertschöpfungskette selbst einnehmen. Indem die Kunden frei über den Vertriebskanal oder die Art der Lieferung und des Bezahlens entscheiden sowie die Leistungen und Produkte des Marktes (über soziale Medien) bewerten, müssen Handelsunternehmen zunehmend mit den Verbrauchern in Dialog treten [KPMG16]. Starke Konkurrenz für den traditionellen stationären Einzelhandel ergibt sich zudem durch Hersteller, die die Verbraucher vermehrt direkt ansprechen, indem sie eigene Filialen oder Outlet-Stores eröffnen [ND13].
Organisation der Logistikkette
Neben der Industrie gehört der Handel zu den größten Nachfragern nach Logistikdienstleistungen. Bis vor wenigen Jahren war die Belieferung der Verkaufsstellen des Einzelhandels Gegenstand der Warenverteilung und der Großteil der Handelslogistik erfolgte über Stückguttransporte der Logistikdienstleister oder als selbst durchgeführte Direktverkehre der Warenproduzenten an die Rampe der Einzelhändler. Die Logistikkette hat sich in den letzten Jahren jedoch vor allem durch den Online-Handel stark verändert, wobei sie insgesamt an Bedeutung hinzugewonnen hat. So wird sie mit ihren Logistikzentren und den Zustellnetzwerken als Rückgrat des Online- Handels bezeichnet, welches dafür sorgt, dass die bestellten Waren dem Kunden schnell und zuverlässig geliefert werden [Hein19]. Demnach werden Lieferketten, die eine zeitnahe und vorhersagbare Belieferung der Kunden ermöglichen, immer wichtiger [KPMG16]. Es wird hierbei davon ausgegangen, dass Handelsunternehmen tendenziell weniger und dafür größere Lieferanten nutzen [Mors12].

Zudem wird der Einzelhandel auf Veränderungen innerhalb der grundlegenden Rahmenbedingungen reagieren müssen. Aufgrund der abnehmenden Bevölkerungszahl in Deutschland ist ein Rückgang der Konsumenten zu erwarten, sodass die Kaufkraft sinkt und der Wettbewerb verstärkt wird. Wachstumsimpulse kann der Einzelhandel voraussichtlich lediglich aus den verfügbaren Einkommen der über 65-Jährigen und dem steigenden Tourismus ziehen. Des Weiteren sind die Entwicklungen der Konsumpräferenzen und Konsumgewohnheiten der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung für den Einzelhandel [ND13]. Mit dem angesprochenen Rückgang der Bevölkerung geht auch eine Verringerung des Erwerbspersonenpotenzials einher, sodass selbst bei steigender Erwerbsbeteiligung der 20- bis 65-jährigen Bevölkerung, die Zahl der Erwerbstätigen bis zum Jahr 2025 nicht wachsen wird. Im Jahr 2019 verspürten bereits 5 Prozent des Handels infolge des demografischen Wandels einen Mangel an qualifiziertem Personal [Hein19].

Die aufgezeigten Entwicklungen geben einen Eindruck zu den Rahmenbedingungen der Handelslogistik. Das genaue Zusammenspiel von Entwicklungen im Handel und Auswirkungen auf Transport und Logistik ist jedoch im Einzelfall hinsichtlich der unternehmerischen Entscheidungen einzelner Handelsunternehmen zu betrachten.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Handelslogistik (Stand des Wissens: 27.04.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?415841
Literatur
[DLR20c] Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität?, 2020/05/05
[FU13] Nicolas Sautier Fujitsu Pan-European Survey 2013, 2013/05/23
[HDE23] Handelsverband Deutschland (Hrsg.) Jahrespressekonferenz Handelsverband Deutschland 2023, 2023/01/31
[Hein19] Heinemann, Gerrit Zukunft des Handels und Handel der Zukunft - treibende Kräfte, relevante Erfolgsfaktoren und Game Changer, veröffentlicht in Handel mit Mehrwert. Digitaler Wandel in Märkten, Geschäftsmodellen und Geschäftssystemen, Springer Gabler, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2019
[IHK18] Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main (Hrsg.) Neue Trends im Einzelhandel, 2018
[KPMG16] KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, EHI Retail Institute GmbH, Handelsverband Deutschland - HDE e.V., Kantar TNS (ehemals TNS Infratest), , (Hrsg.) Trends im Handel 2025, 2016
[Mors12] Dirk Morschett, Joachim Zentes, Matthias Schu, Ruth Steinhauer HandelsMonitor 2012/2013. Mega-Trends 2020+. Wie sich der europäische Einzelhandel verändern wird , veröffentlicht in HandelsMonitor, Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt am Main, 2012
[ND13] Dörte Nitt-Drießelmann Einzelhandel im Wandel, 2013/05
[Zank18] Zanker, Claus Branchenanalyse Logistik: Der Logistiksektorzwischen Globalisierung, Industrie 4.0 und Online-Handel, 2018
Glossar
Logistikdienstleister Logistikdienstleister (abgekürzt: LDL; Englisch: logistics service provider) bezeichnet die Weiterentwicklung des traditionellen Speditionsgeschäfts. Über Transport, Umschlag und Lagerung (TUL) hinaus bietet der LDL weitere Leistungen und Lösungen an, zum Beispiel kundenbezogene Lagerung, Kommissionierung, Assemblierung, Fakturierung usw. LDL und 3PL werden häufig synonym verwendet.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?415832

Gedruckt am Dienstag, 23. April 2024 19:44:19