Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen im Handel

Erstellt am: 21.08.2013 | Stand des Wissens: 17.10.2024

Synthesebericht gehört zu:

Der Einzelhandel stellte im Jahr 2023 mit rund 649 Milliarden Euro Nettoumsatz für Waren und 3,1 Millionen Beschäftigten die drittgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland dar [Hein19; HDE23]. Laut Prognosen des Handelsverbands Deutschland (HDE) soll auch im Jahr 2024 der Nettoumsatz auf 672 Milliarden Euro steigen [HDE23]. Das Wettbewerbsumfeld im Handel hat sich in den letzten Jahren drastisch gewandelt, wodurch es zu signifikanten Verschiebungen kommt [Mors12]. Insbesondere der traditionelle Fachhandel von großen Warenhäusern (sogenannte Multi-Label-Retailer), hat erheblich an Bedeutung verloren. Im Gegensatz dazu haben Mono-Label-Stores wie beispielsweise H&M oder IKEA ihre Marktanteile erweitert. [Hein19] Auch durch die Digitalisierung und das starke Wachstum des E-Commerce hat sich der Handel fundamental verändert [FeHof24]. Seit dem Jahr 2000 wird ein stetig wachsender Anteil im Einzelhandel online verkauft (siehe Abbildung 1). Zudem lässt sich feststellen, dass der Online-Handel im Jahr 2021 infolge der Covid-19-Pandemie zunächst angestiegen ist, jedoch im darauffolgenden Jahr 2022 wieder einen leichten Rückgang verzeichnete. Gemessen am Umsatzvolumen im gesamtdeutschen Einzelhandel betrug der Anteil des Online-Handels im Jahr 2021 14,7 Prozent. Allerdings sank der Anteil in den folgenden 2 Jahren auf knapp über 13 Prozent. [HDE23]


Anteil Onlinehandel bis 2024.pngAbb. 1: Onlineanteil im Einzelhandel [eigene Darstellung in Anlehnung an HDE23] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Mit diesen beschriebenen Entwicklungen gehen neue Wettbewerbsformen und Veränderungen des Informations- und Einkaufsverhaltens der Kunden einher [Zank18]. Diese lassen sich grob in drei Gruppen untergliedern: das Einkaufsverhalten der Konsumenten (und die angebotenen Produkte), die Marktstruktur von Handelsunternehmen sowie die Organisation der Logistikkette.
Einkaufs- und KonsumverhaltenDas Einkaufsverhalten von Kunden ist vermehrt von großer Individualität und der Suche nach einem persönlichen Lifestyle geprägt, wodurch sich das Erreichen von breiten Käuferschichten zunehmend anspruchsvoll gestaltet. So werden vermehrt technische Geräte, wie Smartphones oder Tablets, eingesetzt, um Produkte für den Kunden transparenter darzustellen und Warenangebote zu personalisieren. Durch neue Warenangebote sollen. Kundengruppen (zum Beispiel Senioren) gezielt angesprochen werden. Zudem ist in Deutschland ein sehr ausgeprägtes Preisbewusstsein gepaart mit einer hohen Erwartungshaltung an die Qualität der Waren anzutreffen, sodass gezielt preisreduzierte Qualitätswaren gekauft werden oder ein bipolares Kaufverhalten vorherrscht, welches sich durch den Kauf von billigen Waren beim reinen Versorgungskauf und Premium-Produkten im Lifestyle Bereich auszeichnet. Diese Orientierung am Preis der Produkte gepaart mit einer hohen Mobilität führt zu einer abnehmenden Kundenbindung im Einzelhandel. [Mors12] Durch die Digitalisierung entkoppelt sich zunehmend der Kaufentscheidungsprozess vom Moment des Kaufes im Einzelhandel, da sich der Kunde vor seinem Kauf zunächst im Internet orientiert, Informationen über die Beliebtheit von Produkten verschafft und Preise vergleicht. Da die Kaufentscheidung so primär produktbezogen gefällt wird, verliert der einzelne Händler massiv an Bedeutung für die Kunden. Geht es jedoch um Impuls- und Erlebniskäufe, hat der stationäre Handel bisher nach wie vor Vorteile gegenüber den meisten Online-Händlern. [Hein19] Darüber hinaus wird das Konsumverhalten von Kunden stärker als bisher von der Sozial- und Umweltverträglichkeit von Produkten und der Fähigkeit des Handelsunternehmens, verantwortungsbewusst zu wirtschaften, bestimmt (unternehmerische Sozialverantwortung, englisch: Corporate Social Responsibility) [Mors12].
Marktstruktur von HandelsunternehmenTrends, die die Marktstruktur von Handelsunternehmen beeinflussen, betreffen die Internationalisierung des Handels. Große Händler werden immer präsenter in allen europäischen Märkten. Zudem kommt es zum Markteintritt neuer Konkurrenten, zum Beispiel durch die Ergänzung von Absatzkanälen. Auch verändert sich das Verhältnis zwischen dem Handel und seinen Kunden, wobei die Kunden zunehmend eine bedeutendere Rolle innerhalb der Wertschöpfungskette selbst einnehmen. Da Kunden zunehmen die Freiheit haben, über den Vertriebskanal, die Lieferart und die Zahlungsmethode zu entscheiden und die Leistungen sowie Produkte des Marktes (über soziale Medien) bewerten, sind Handelsunternehmen vermehrt gefordert, aktiv mit den Verbrauchern in Dialog zu treten. [KPMG16] Starke Konkurrenz für den traditionellen stationären Einzelhandel ergibt sich zudem durch Hersteller, die die Verbraucher vermehrt direkt ansprechen, indem sie eigene Filialen oder Outlet-Stores eröffnen [ND13].
Organisation der LogistikketteNeben der Industrie gehört der Handel zu den größten Nachfragern nach Logistikdienstleistungen. Bis vor wenigen Jahren war die Belieferung der Verkaufsstellen des Einzelhandels Gegenstand der Warenverteilung und der Großteil der Handelslogistik erfolgte über Stückguttransporte der Logistikdienstleister oder als selbst durchgeführte Direktverkehre der Warenproduzenten an die Rampe der Einzelhändler. Die Logistikkette hat sich in den letzten Jahren, insbesondere durch den Online-Handel, stark verändert und an Bedeutung hinzugewonnen. Mit ihren Logistikzentren und den Zustellnetzwerken wird sie als Rückgrat des Online- Handels bezeichnet, welches eine schnelle und zuverlässige Lieferung der bestellten Waren an die Kunden gewährleistet. [Hein19] Demnach werden Lieferketten, die eine zeitnahe und vorhersagbare Belieferung der Kunden ermöglichen, immer wichtiger [KPMG16]. Es wird hierbei davon ausgegangen, dass Handelsunternehmen tendenziell weniger und dafür größere Lieferanten nutzen [Mors12].
Zudem wird der Einzelhandel auf Veränderungen innerhalb der grundlegenden Rahmenbedingungen reagieren müssen. Aufgrund der abnehmenden Bevölkerungszahl in Deutschland ist ein Rückgang der Konsumenten zu erwarten, sodass die Kaufkraft sinkt und der Wettbewerb verstärkt wird. Wachstumsimpulse kann der Einzelhandel voraussichtlich lediglich aus den verfügbaren Einkommen der über 65-Jährigen und dem steigenden Tourismus ziehen. Des Weiteren sind die Entwicklungen der Konsumpräferenzen und Konsumgewohnheiten der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung für den Einzelhandel. [ND13] Mit dem angesprochenen Rückgang der Bevölkerung geht auch eine Verringerung des Erwerbspersonenpotenzials einher, sodass selbst bei steigender Erwerbsbeteiligung der 20- bis 65-jährigen Bevölkerung, die Zahl der Erwerbstätigen bis zum Jahr 2025 nicht wachsen wird. Im Jahr 2019 verspürten bereits 5 Prozent des Handels infolge des demografischen Wandels einen Mangel an qualifiziertem Personal. [Hein19] Auch in einer Untersuchung des ifo Institus aus dem Jahr 2022 wurde festgestellt, dass der Fachkräftemangel seit 2020 stetig steigt und somit den Einzelhandel zunehmend beeinträchtigt [ifoa22].
Die aufgezeigten Entwicklungen geben einen Eindruck zu den Rahmenbedingungen der Handelslogistik. Das genaue Zusammenspiel von Entwicklungen im Handel und Auswirkungen auf Transport und Logistik ist jedoch im Einzelfall hinsichtlich der unternehmerischen Entscheidungen einzelner Handelsunternehmen zu betrachten.
Ansprechperson
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Handelslogistik (Stand des Wissens: 17.10.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?415841
Literatur
[FeHof24] Hofmann, Jürgen, Fend, Lars Digitalisierung in Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen, 2024/02/01
[HDE23] Handelsverband Deutschland (Hrsg.) Jahrespressekonferenz Handelsverband Deutschland 2023, 2023/01/31
[Hein19] Heinemann, Gerrit Zukunft des Handels und Handel der Zukunft - treibende Kräfte, relevante Erfolgsfaktoren und Game Changer, veröffentlicht in Handel mit Mehrwert. Digitaler Wandel in Märkten, Geschäftsmodellen und Geschäftssystemen, Springer Gabler, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2019
[ifoa22] Peichl, Andreas, Sauer, Stefan, Wohlrabe, Klaus Fachkräftemangel in Deutschland und Europa: Historie, Status quo und was getan werden muss, 2022/10/01
[KPMG16] KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, EHI Retail Institute GmbH, Handelsverband Deutschland - HDE e.V., Kantar TNS (ehemals TNS Infratest), , (Hrsg.) Trends im Handel 2025, 2016
[Mors12] Dirk Morschett, Joachim Zentes, Matthias Schu, Ruth Steinhauer HandelsMonitor 2012/2013. Mega-Trends 2020+. Wie sich der europäische Einzelhandel verändern wird , veröffentlicht in HandelsMonitor, Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt am Main, 2012
[ND13] Dörte Nitt-Drießelmann Einzelhandel im Wandel, 2013/05
[Zank18] Zanker, Claus Branchenanalyse Logistik: Der Logistiksektorzwischen Globalisierung, Industrie 4.0 und Online-Handel, 2018
Glossar
Logistikdienstleister Logistikdienstleister (abgekürzt: LDL; Englisch: logistics service provider) bezeichnet die Weiterentwicklung des traditionellen Speditionsgeschäfts. Über Transport, Umschlag und Lagerung (TUL) hinaus bietet der LDL weitere Leistungen und Lösungen an, zum Beispiel kundenbezogene Lagerung, Kommissionierung, Assemblierung, Fakturierung usw. LDL und 3PL werden häufig synonym verwendet.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?415832

Gedruckt am Sonntag, 23. Februar 2025 09:33:05