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Zielorientierter Planungsprozess

Erstellt am: 14.08.2013 | Stand des Wissens: 24.05.2023
Synthesebericht gehört zu:

Die Entwicklung der Verkehrsplanung in Deutschland seit 1945 lässt sich in verschiedene Phasen einteilen. Die erste Phase, die sog. "Autophase", ist von der Priorisierung der Anforderungen des Autoverkehrs geprägt. Steigende Einwohnerzahlen und Motorisierung in der Nachkriegszeit mit beginnenden Stadt-Umland-Wanderungen sowie einem dynamischen, strukturellen Wandel (kulturell, ökonomisch und technisch) führen zu dem Leitbild der "autogerechten Entwicklung". Der wirtschaftliche Aufschwung bewirkt, dass das Auto ab Mitte der 1950er Jahre zur primären Orientierungsgröße für die Mobilitätsentwicklung wird. Die Generalverkehrspläne der 1950er und 1960er Jahre sehen aufgrund der fortlaufenden Zunahme der Motorisierung den Neu- und Ausbau des Straßennetzes im Sinne einer nachfrageorientierten Verkehrsplanung (Anpassungsplanung) vor [Stei05, S. 4 f.; vgl. Schö10, S. 297 f.]. 1969 erscheint das Merkblatt "Generalverkehrsplanung der Gemeinden" (MGVP), das als entsprechende sektorale Fachplanung die "Generalverkehrsplanung" einführt.
Mit der Zunahme der Verkehrsbelastungen waren auch die Negativfolgen des Autoverkehrs spürbar. Mitte der 1960er Jahre setzt damit die "Phase des Nachdenkens" ein [vgl. Schö10, S. 298 ff.]. Die Generalverkehrspläne der 1950er und 1960er Jahre wurden hinterfragt. Im Jahr 1971 tritt das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) in Kraft, mit dem "Generalverkehrspläne" (oder entsprechende Planungen) als Fördervoraussetzung formuliert werden. Mit dem Gesetz wird v. a. auch der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) durch staatliche Zuwendungen gefördert. Die in den 1970er Jahren eintretende "Umbruchphase" sowie die sich anschließende "Umfeldphase" sind von erheblichen Investitionen in den Ausbau des ÖPNV geprägt [Stei05, S. 6 f.; vgl. Schö10a, S. 354 ff.]. Im Jahr 1979 erschienen die weiterentwickelten "Rahmenrichtlinien für die Generalverkehrsplanung" (Ra Ri GVP), die theoretisch bereits den zielorientierten Planungsprozess zur neuen Grundlage machten und damit von einer Anpassungsplanung abwichen.
Die agierende, zielorientierte Verkehrsplanung (Angebotsplanung) setzte sich seit den frühen 1980er Jahren gegenüber der reagierenden, nachfrageorientierten Verkehrsplanung (Anpassungsplanung) zunehmend durch (sog. "Phase des Wertewandels") [Schö10a, S. 358 ff.]. Es setzte ein Umdenken ein, wonach auch Verhaltensweisen beeinflussbar sind und durch nutzerorientierte Angebotsgestaltung, Verkehr vermieden und verlagert werden kann, um einen sicheren, störungsfreien und umweltgerechteren Verkehr und stadtverträglichere Rahmenbedingungen zu schaffen. Dieses Umdenken ebnete den Weg von der Anpassungs- zur Angebots- und beeinflussenden Planung mit den sog. Push- und Pull-Maßnahmen. Abbildung 1 veranschaulicht schematisch den Vergleich zwischen der Anpassungsplanung und der zielorientierten Planung.

Gegenüberstellung von Anpassungsplanung und zielorientierter PlanungAbb. 1: Gegenüberstellung von Anpassungsplanung und zielorientierter Planung [Ahrens13, S. 4]
Dieser in der Fachwelt bereits in den 1980er Jahren eingeleitete Paradigmenwechsel brauchte Zeit, bis er von Entscheidungstragenden, Verkehrsverwaltungen und vor allem allen politischen Entscheidungstragenden akzeptiert wurde und somit in der Praxis ankam.
Im Jahr 1985 wurde der "Leitfaden für Verkehrsplanungen" erstmalig und im Jahr 2001 in der überarbeiteten Fassung [FGSV18b] von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) veröffentlicht. Im Jahre 2018 wurde der Leitfaden durch die "Empfehlungen für Verkehrsplanungsprozesse" ersetzt. Die Empfehlungen erläutern Arbeitsschritte zur Entwicklung von zielorientierten Verkehrsplanungsprozessen.
Der Prozess der zielorientierten Verkehrsplanung besteht aus den insgesamt fünf untereinander rückkoppelnden Phasen der Vororientierung, Problemanalyse, Maßnahmenuntersuchung, Abwägung und Entscheidung sowie Umsetzung und Wirkungskontrolle [FGSV18b; Viet02, S. 2]. Die Phasen und der Prozess können Abbildung 2 entnommen werden.
Phasen VEP.jpegAbb. 2: Zielorientierter Prozess der Verkehrsplanung [FGSV18b, S. 15]
Die Phase der Problemanalyse bestimmt maßgeblich die Weichenstellungen für den gesamten Planungsprozess. Die teilweise parallel verlaufenden und in Wechselwirkung (Rückkopplung) stehenden Arbeitsschritte dieser Phase sind die (vergleiche Abbildung 2) [FGSV18b, S. 13; Viet02, S. 2]:
  • Zustandsanalyse,
  • Erarbeitung von Leitlinien und Zielvorstellungen sowie
  • Festlegung von Mängeln und Chancen.
Die in dieser Phase entwickelten Leitlinien und Zielvorstellungen dienen als normativer Rahmen der Untersuchung zur Festlegung von Zielkriterien und Anspruchsniveaus. Sie bilden damit die Grundlage für die im zielorientierten Planungsprozess folgende Entwicklung von Handlungskonzepten, die daraus abgeleiteten Maßnahmen sowie die Bewertung dieser [FGSV18b, S. 11 f.; Viet02, S. 2].
Im Jahr 2013 hat die FGSV die "Hinweise zur Verkehrsentwicklungsplanung" [FGSV13] veröffentlicht. Diese sollen den "Leitfaden für Verkehrsplanungen" [FGSV01c] hinsichtlich der kommunalen und regionalen Verkehrsentwicklungsplanung konkretisieren und weiterentwickeln [FGSV13, S. 5]. Im Jahr 2018 wurde der "Leitfaden für Verkehrsplanungen" aktualisiert und durch die "Empfehlungen für Verkehrsplanungsprozesse" abgelöst [FGSV18b].
In Anlehnung an den zielorientierten Planungsprozess werden auch bei der Verkehrsentwicklungsplanung nach den neuen Hinweisen alle Phasen der zielorientierten Verkehrsplanung durchlaufen (vergleiche Abbildung 3). Zusätzliches Gewicht gewinnen "[...] die begleitenden Tätigkeiten des Informierens und Beteiligens sowie einer kontinuierlichen Evaluation und Erfolgskontrolle auf Basis ständig aktualisierter Daten [...]" [FGSV13, S. 14]. Damit wird der Prozesscharakter von Planung als kontinuierliche Aufgabe verdeutlicht. Von Bedeutung in diesem Kontext ist das Abwägungsgebot aller relevanten öffentlichen und privaten Belange, die es, entsprechend den Grundsätzen des Baugesetzbuches (BauGB), in den Planungsprozessen zu berücksichtigen und transparent darzustellen gilt. [BauGB].

Verkehrsplanungsprozess im Rahmen der VerkehrsentwicklungsplanungAbb. 3: Verkehrsplanungsprozess im Rahmen der Verkehrsentwicklungsplanung [FGSV13 S. 15, in Anlehnung an FGSV18b, S. 15 (weiterentwickelt von Holz-Rau)]
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Verkehrsentwicklungsplanung (Stand des Wissens: 24.05.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?415029
Literatur
[Ahrens13] Ahrens, G.-A. Verkehrsentwicklungsplanung - Hinweise der FGSV, Köln, 2013/07/08
[FGSV01c] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Leitfaden für Verkehrsplanungen, FGSV Verlag, Köln, 2001
[FGSV13] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. , Ahrens, G.-A., Beckmann, K. J., Fleischer, A., Gertz, C., Hubrich, S., Jansen, U., Kemming, H., Kleinwächter, E., Koch, M., Koppen, G.-F., Lorenz, K., Meißner, A., Noßwitz, U., Ohm, D., Ott, R., Polzin, G., Schnüll, R., Thiemann-Linden, J., Wagner, V., Waßmuth, V., Hinweise zur Verkehrsentwicklungsplanung, Ausgabe/Auflage 2013, FGSV-Nr. 162, FGSV Verlag, Köln, 2013, ISBN/ISSN 978-3-86446-058-6
[FGSV18b] FGSV-Arbeitsausschuss 1.1 "Grundsatzfragen der Verkehrsplanung" (Hrsg.) Empfehlungen für Verkehrsplanungsprozesse, 2018, ISBN/ISSN 978-3-86446-208-5
[Schö10] Schönharting, J., Schuhmann, M. Die Entwicklung der Verkehrsplanung bis heute - Teil 1, veröffentlicht in Straßenverkehrstechnik, Ausgabe/Auflage 5/2010, Kirschbaum Verlag, Bonn, 2010/05
[Schö10a] Schönharting, J., Schuhmann, M. Die Entwicklung der Verkehrsplanung bis heute - Teil 2, veröffentlicht in Straßenverkehrstechnik, Ausgabe/Auflage 6/2010, Kirschbaum Verlag, Bonn, 2010/06
[Stei05] Steierwald, G, et al. Stadtverkehrsplanung - Grundlagen, Methoden, Ziele, Ausgabe/Auflage 2, Springer-Verlag, Berlin 2005, 2005
[Viet02] Vieten, M., Bergische Universität Wuppertal - Fachzentrum Verkehr Am Anfang steht das Ziel - Umweltziele und Verkehrsplanung, Hamm, 2002/05
Weiterführende Literatur
[Retzko92] Retzko, H.-G. Gesamtverkehrsplanung, Generalverkehrsplanung, Verkehrsentwicklungsplanung, Verkehrskonzeptentwicklung - Was ergibt stadtverträglichen Verkehr?, veröffentlicht in Straßenverkehrstechnik, Ausgabe/Auflage 1/1992, Kirschbaum Verlag, Bonn, 1992
[Ahrens08] Ahrens, G.-A. Integrierte VEP - Anspruch und Wirklichkeit, veröffentlicht in Jubiläumsband "100 Jahre DVWG 1908 bis 2008, Sonderheft der Zeitschrift Internationales Verkehrswesen, DVV Media Group, Berlin, 2008
[Retzko98] Retzko, H.-G. Leitbilder der Stadtplanung auf dem Wege zu umweltverträglicherem Verkehr, veröffentlicht in VSVI Baden-Württemberg, Jahresheft 1998, 1998
[BauGB] Baugesetzbuch (BauGB)
Glossar
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
GVFG GFVG ist die Abkürzung von "Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz". Der ausführliche Gesetzestitel lautet: "Die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinde" Im Rahmen des GVFG fördert der Bund Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Der Umfang der Bundesmittel ist gesetzlich auf 1.667 Millionen Euro jährlich begrenzt. Die Mittel werden nach einem Schlüssel auf die Länder verteilt. Förderbereiche des GVFG sind:
  • der kommunale Straßenbau (insbesondere Bau und Ausbau verkehrswichtiger innerörtlicher Straßen und Zubringerstraßen zum überörtlichen Verkehrsnetz, Omnibusspuren, Verkehrsleitsysteme, Kreuzungsmaßnahmen im Bereich von Eisenbahnen und Bundeswasserstraßen)
und
  • der öffentliche Personennahverkehr (insbesondere Bau und Ausbau von Straßen-, Hoch- , Untergrundbahnen. Nichtbundeseigenen Eisenbahnen, zentrale Omnibusbahnhöfe, Betriebsleitsysteme)
Über die Verwendung der Mittel werden Berichte erstellt. Quellen:
  • Gesetzestext
  • www.bmvbs.de/Verkehr/Oeffentlicher-Personennahverke-,1493/Gemeindeverkehrs-finanzierung.htm [dieser Link muss in die Adresszeile des Browsers kopiert werden]
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
Das 1971 in Kraft getretene Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) regelt die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Gefördert werden verschiedene Baumaßnahmen von Bahnen (besonders Eisenbahnen, Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen), wobei diese dem öffentlichen Personennahverkehr dienen müssen. Voraussetzung für die Förderung ist vor allem ein Kosten-Nutzen-Faktor über 1,0 im Rahmen der Standardisierten Bewertung.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?415008

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 15:16:53