Zielorientierter Planungsprozess
Erstellt am: 14.08.2013 | Stand des Wissens: 28.08.2024
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Die Entwicklung der Verkehrsplanung in Deutschland seit 1945 lässt sich in verschiedene Phasen einteilen. Die erste Phase, die sog. "Autophase", ist von der Priorisierung der Anforderungen des Autoverkehrs geprägt. Steigende Einwohnerzahlen und Motorisierung in der Nachkriegszeit mit beginnenden Stadt-Umland-Wanderungen sowie einem dynamischen, strukturellen Wandel (kulturell, ökonomisch und technisch) führen zu dem Leitbild der "autogerechten Entwicklung". Der wirtschaftliche Aufschwung bewirkt, dass das Auto ab Mitte der 1950er Jahre zur primären Orientierungsgröße für die Mobilitätsentwicklung wird. Die Generalverkehrspläne der 1950er und 1960er Jahre sehen aufgrund der fortlaufenden Zunahme der Motorisierung den Neu- und Ausbau des Straßennetzes im Sinne einer nachfrageorientierten Verkehrsplanung (Anpassungsplanung) vor [Stei05, S. 4 f.; vgl. Schö10, S. 297 f.]. 1969 erscheint das Merkblatt "Generalverkehrsplanung der Gemeinden" (MGVP), das als entsprechende sektorale Fachplanung die "Generalverkehrsplanung" einführt.
Mit der Zunahme der Verkehrsbelastungen waren auch die Negativfolgen des Autoverkehrs spürbar. Mitte der 1960er Jahre setzt damit die "Phase des Nachdenkens" ein [vgl. Schö10, S. 298 ff.]. Die Generalverkehrspläne der 1950er und 1960er Jahre wurden hinterfragt. Im Jahr 1971 tritt das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) in Kraft, mit dem "Generalverkehrspläne" (oder entsprechende Planungen) als Fördervoraussetzung formuliert werden. Mit dem Gesetz wird v. a. auch der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) durch staatliche Zuwendungen gefördert. Die in den 1970er Jahren eintretende "Umbruchphase" sowie die sich anschließende "Umfeldphase" sind von erheblichen Investitionen in den Ausbau des ÖPNV geprägt [Stei05, S. 6 f.; vgl. Schö10a, S. 354 ff.]. Im Jahr 1979 erschienen die weiterentwickelten "Rahmenrichtlinien für die Generalverkehrsplanung" (Ra Ri GVP), die theoretisch bereits den zielorientierten Planungsprozess zur neuen Grundlage machten und damit von einer Anpassungsplanung abwichen.
Die agierende, zielorientierte Verkehrsplanung (Angebotsplanung) setzte sich seit den frühen 1980er Jahren gegenüber der reagierenden, nachfrageorientierten Verkehrsplanung (Anpassungsplanung) zunehmend durch (sog. "Phase des Wertewandels") [Schö10a, S. 358 ff.]. Es setzte ein Umdenken ein, wonach auch Verhaltensweisen beeinflussbar sind und durch nutzerorientierte Angebotsgestaltung, Verkehr vermieden und verlagert werden kann, um einen sicheren, störungsfreien und umweltgerechteren Verkehr und stadtverträglichere Rahmenbedingungen zu schaffen. Dieses Umdenken ebnete den Weg von der Anpassungs- zur Angebots- und beeinflussenden Planung mit den sog. Push- und Pull-Maßnahmen. Abbildung 1 veranschaulicht schematisch den Vergleich zwischen der Anpassungsplanung und der zielorientierten Planung.

Dieser in der Fachwelt bereits in den 1980er Jahren eingeleitete Paradigmenwechsel brauchte Zeit, bis er von Entscheidungstragenden, Verkehrsverwaltungen und vor allem allen politischen Entscheidungstragenden akzeptiert wurde und somit in der Praxis ankam.
Im Jahr 1985 wurde der "Leitfaden für Verkehrsplanungen" erstmalig und im Jahr 2001 in der überarbeiteten Fassung [FGSV18b] von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) veröffentlicht. Im Jahre 2018 wurde der Leitfaden durch die "Empfehlungen für Verkehrsplanungsprozesse" ersetzt. Die Empfehlungen erläutern Arbeitsschritte zur Entwicklung von zielorientierten Verkehrsplanungsprozessen.
Der Prozess der zielorientierten Verkehrsplanung besteht aus den insgesamt fünf untereinander rückkoppelnden Phasen der Vororientierung, Problemanalyse, Maßnahmenuntersuchung, Abwägung und Entscheidung sowie Umsetzung und Wirkungskontrolle [FGSV18b; Viet02, S. 2]. Die Phasen und der Prozess können Abbildung 2 entnommen werden.
![Abb. 2: Zielorientierter Prozess der Verkehrsplanung [Eintrag-Id:570040, S. 15] Phasen VEP.jpeg](/servlet/is/415008/Phasen%20VEP.jpeg)
Die Phase der Problemanalyse bestimmt maßgeblich die Weichenstellungen für den gesamten Planungsprozess. Die teilweise parallel verlaufenden und in Wechselwirkung (Rückkopplung) stehenden Arbeitsschritte dieser Phase sind die (vergleiche Abbildung 2) [FGSV18b, S. 13; Viet02, S. 2]:
- Zustandsanalyse,
- Erarbeitung von Leitlinien und Zielvorstellungen sowie
- Festlegung von Mängeln und Chancen.
Die in dieser Phase entwickelten Leitlinien und Zielvorstellungen dienen als normativer Rahmen der Untersuchung zur Festlegung von Zielkriterien und Anspruchsniveaus. Sie bilden damit die Grundlage für die im zielorientierten Planungsprozess folgende Entwicklung von Handlungskonzepten, die daraus abgeleiteten Maßnahmen sowie die Bewertung dieser [FGSV18b, S. 11 f.; Viet02, S. 2].
Im Jahr 2013 hat die FGSV die "Hinweise zur Verkehrsentwicklungsplanung" [FGSV13] veröffentlicht. Diese sollen den "Leitfaden für Verkehrsplanungen" [FGSV01c] hinsichtlich der kommunalen und regionalen Verkehrsentwicklungsplanung konkretisieren und weiterentwickeln [FGSV13, S. 5]. Im Jahr 2018 wurde der "Leitfaden für Verkehrsplanungen" aktualisiert und durch die "Empfehlungen für Verkehrsplanungsprozesse" abgelöst [FGSV18b].
In Anlehnung an den zielorientierten Planungsprozess werden auch bei der Verkehrsentwicklungsplanung nach den neuen Hinweisen alle Phasen der zielorientierten Verkehrsplanung durchlaufen (vergleiche Abbildung 3). Zusätzliches Gewicht gewinnen "[...] die begleitenden Tätigkeiten des Informierens und Beteiligens sowie einer kontinuierlichen Evaluation und Erfolgskontrolle auf Basis ständig aktualisierter Daten [...]" [FGSV13, S. 14]. Damit wird der Prozesscharakter von Planung als kontinuierliche Aufgabe verdeutlicht. Von Bedeutung in diesem Kontext ist das Abwägungsgebot aller relevanten öffentlichen und privaten Belange, die es, entsprechend den Grundsätzen des Baugesetzbuches (BauGB), in den Planungsprozessen zu berücksichtigen und transparent darzustellen gilt. [BauGB].