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Verkehrsentwicklungsplanung

Erstellt am: 14.08.2013 | Stand des Wissens: 24.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Die Verkehrsentwicklungsplanung ist, bezogen auf die Ausgestaltung des Prozesses, eine unverbindliche (informelle) Verkehrsplanung, welche in der Regel auf kommunaler und zunehmend auch auf regionaler Ebene zum Einsatz kommt. "Sie wird definiert als vorausschauende systematische Vorbereitung und Durchführung von Entscheidungsprozessen mit der Absicht, die Ortsveränderungen in einem Planungsraum durch siedlungsstrukturelle, bauliche, betriebliche, ordnungs-, preis-, tarifpolitische und informative Maßnahmen im Sinne bestimmter Ziele zu beeinflussen" [Ahrens08, S. 147].
Der Paradigmenwechsel hin zu einer breit gefächerten Maßnahmenpalette, welche auch die Nachfrage beeinflusst, entwickelte sich erst in den 1980er und 1990er Jahren. Vorher, zu Zeiten der klassischen Generalverkehrsplanungen, dominierten eher harte, nachfrageorientierte Maßnahmen des Baus und Ausbaus der Infrastruktur [Ahrens08, S. 147]. Der Wandel zu einer zunehmend zielorientierten Betrachtungsweise in der Verkehrsplanung wird am zielorientierten Planungsprozess deutlich, der durch die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) erstmalig im Jahre 1979 in den Rahmenrichtlinien für die Generalverkehrsplanung (Ra Ri GVP) veröffentlicht wurde. Diese, und noch differenzierter die im Jahr 2018 erschienenen "Empfehlungen für Verkehrsplanungsprozesse" [FGSV18b], beschreiben die Grundsätze des Verkehrsplanungsprozesses sowie dessen Methodik.
Die Kennzeichen einer zielorientierten und integrierten Verkehrsplanung sind [FGSV13, S. 9]:
  • ein kontinuierlicher Prozessverlauf (ohne definierten Anfang oder definiertes Ende)
  • eine intensive Kooperation und Beteiligung aller Akteure
  • klare Ziele und Strategien
  • zielorientierte Nachfragesteuerung
  • Einsatz von Szenariotechnik
  • integrierte harte und weiche Maßnahmen
  • Qualitätsmanagement inklusive Evaluation und Monitoring
Auf der gesetzlichen Ebene wurden durch den zunehmenden Einfluss der Europäischen Union (EU) neue Gesetze und damit verbundene formelle Planwerke geschaffen: Nahverkehrsplan (NVP), Luftreinhalteplan (LRP) und Lärmminderungsplan (LMP) [FGSV13, S. 5 f.]. Werden diese Planwerke manchmal zu wenig mit dem Verkehrsentwicklungsplan (VEP) koordiniert, führt dies zu erheblichem Aufwand durch Doppelplanungen und teilweise gegenläufigen Maßnahmen vor allem zwischen LRP und LMP.
Die EU verfolgt seit geraumer Zeit die Förderung einer nachhaltigen urbanen Mobilität [EUKo09; EUKo11]. Der auf Ebene der EU geprägte Begriff der Sustainable Urban Mobility Plans (SUMP) kann, hinsichtlich der Prozessstruktur und der Zielsetzungen, mit dem in Deutschland geprägten Begriff des VEP gleichgesetzt werden.
Im Jahr 2013 veröffentlichte die EU-Kommission das Urban Mobility Package, mit welchen sie ihre Unterstützung im Rahmen der nachhaltigen urbanen Mobilität bekräftigt [EUKO13g]. Im Anhang dieses Packages befindet sich u.a. eine Konzeptbeschreibung des SUMP [EUKO13h]. Fünf Jahre später wurden die SUMP Guidelines aufgrund der Vielzahl an praktischen Erfahrungen umfassend überarbeitet und ergänzt [Rupp19] [Rupp19a].
Bei einer bundesweiten Umfrage vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) an der 71 Kommunen teilgenommen haben, gaben zwei Drittel an ein stadtweites Gesamtverkehrskonzept erarbeitet zu haben [DiFu19a]. Verkehrsentwicklungsplanung ist somit ein sehr aktuelles Thema in deutschen Kommunen [DiFu19a, S.3]. Ein Drittel der befragten Kommunen bezeichneten ihr Konzept als SUMP. Daran wird deutlich, dass trotz des informellen Charakters und des erheblichen Planungsaufwandes versucht wird, einen VEP beziehungsweise einen SUMP aufzustellen. Neben der Fördervoraussetzung für Zuwendungen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden - GVFG) [FGSV18b, S. 11] beziehungsweise dem Entflechtungsgesetz wird zunehmend die integrative Planung und Koordination der vielen Fachplanungen mit Verkehrsrelevanz als wichtig erkannt. Nur durch den VEP ist es möglich, verkehrsträgerübergreifende Maßnahmen mit einem vorausschauenden Planungshorizont zu entwickeln, welche sowohl mit den parallelen und übergeordneten Planwerken als auch benachbarten Kommunen und allen Beteiligten abgestimmt sind. Die Berücksichtigung der Integrationsansprüche moderner Verkehrsentwicklungsplanungen erhöht die Chancen auf eine einvernehmliche und sachgerechte Maßnahmenfindung mit breiter Akzeptanz.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bezüglich der kontinuierlichen Anpassung des VEP ist die Beachtung der sich dynamisch verändernden Randbedingungen, wie zum Beispiel des demographischen Wandels, des Klimawandels, zunehmender Multi- und Intermodalität, des zunehmenden Wirtschaftsverkehrs, materieller und personeller Ressourcenknappheit der öffentlichen Verwaltung [FGSV13, S. 3].
Ein VEP soll zum einen das Risiko von Mehrkosten senken und zum anderen die Effizienz und Effektivität der Verkehrsplanung insgesamt erhöhen [FGSV13, S. 8 f.].
Bereits 2009 veröffentlichte Schnüll in einem Artikel [Schnüll09] den Ansatz der zwei Ebenen, der von den "Hinweisen zur Verkehrsentwicklungsplanung" der FGSV[FGSV13] aufgegriffen wurde. Ziel der Hinweise ist eine Konkretisierung der "Empfehlungen für Verkehrsplanungsprozesse" bezüglich der Verkehrsentwicklungsplanung, unter anderem um den hier angedeuteten neuen Entwicklungen gerecht zu werden. [FGSV13, S. 5]
Eine wesentliche Neuerung ist die Unterteilung der Verkehrsentwicklungsplanung in eine strategisch-konzeptionelle Ebene und eine Maßnahmenebene (siehe Abb. 1), wonach dem VEP auf der strategischen Ebene eine neu definierte kontinuierlich zu betreibende Koordinationsfunktion zukommt.

Entwicklung der PlanungshierarchieAbb. 1: Entwicklung der Planungshierarchie (angelehnt an [FGSV13])
Er bietet auch als Rahmenplanung die Grundlage für die Planungen auf der Maßnahmenebene, welche auf gemeinsamen (Leit-)Zielen, Strategien und Maßnahmenkonzepten, Datengrundlagen, einem Monitoring (Evaluationen) und Berichtswesen beruhen. Damit wird der integrative Anspruch erfüllt sowie Doppel- und gegenläufige Planungen vermieden.
Aus dem VEP, einem früher in langen Abständen erstellten umfangreichen Planwerk, wird ein kontinuierlicher Planungsprozess, dessen Grunddaten permanent fortgeschrieben und dessen Ziele und Strategie periodisch etwa alle 5 bis 10 Jahre aktualisiert werden. Im Sinne eines Qualitätsmanagements werden dabei in regelmäßigen Abständen sowohl auf strategischer Ebene als auch Maßnahmenebene Prozess und Maßnahmen evaluiert, um daraus gegebenenfalls Konsequenzen ableiten zu können. Die FGSV empfiehlt die dafür benötigten Daten, mit Hilfe eines kontinuierlichen Monitorings auf strategisch-konzeptioneller Ebene, für sämtliche kommunale Planungsebenen bereitzustellen und ein Berichtswesen zur Planung und Verkehrsinfrastruktur einzuführen [FGSV13, S. 23f., S. 32].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Verkehrsentwicklungsplanung (Stand des Wissens: 24.05.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?415029
Literatur
[Ahrens08] Ahrens, G.-A. Integrierte VEP - Anspruch und Wirklichkeit, veröffentlicht in Jubiläumsband "100 Jahre DVWG 1908 bis 2008, Sonderheft der Zeitschrift Internationales Verkehrswesen, DVV Media Group, Berlin, 2008
[DiFu19a] W. H. Arndt, F. Drews Mobilität nachhaltig planen: Erfolge und Hindernisse in deutschen Städten
Ergebnisse einer Umfrage zu kommunalen Verkehrsentwicklungsplänen, 2019, ISBN/ISSN 978-3-88118-639-1
[EUKo09] o.A. Aktionsplan urbane Mobilität, Brüssel, 2009/09/30
[EUKo11] o.A. Weißbuch. Fahrplan zu einem einheitlichen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem, 2011/03/28
[EUKO13g] Europäische Kommission (Hrsg.) Urban Mobility Package , 2013
[EUKO13h] Europäische Kommission (Hrsg.) ANNEX : A CONCEPT FOR SUSTAINABLE URBAN MOBILITY PLANS , 2019/12/13
[FGSV13] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. , Ahrens, G.-A., Beckmann, K. J., Fleischer, A., Gertz, C., Hubrich, S., Jansen, U., Kemming, H., Kleinwächter, E., Koch, M., Koppen, G.-F., Lorenz, K., Meißner, A., Noßwitz, U., Ohm, D., Ott, R., Polzin, G., Schnüll, R., Thiemann-Linden, J., Wagner, V., Waßmuth, V., Hinweise zur Verkehrsentwicklungsplanung, Ausgabe/Auflage 2013, FGSV-Nr. 162, FGSV Verlag, Köln, 2013, ISBN/ISSN 978-3-86446-058-6
[FGSV18b] FGSV-Arbeitsausschuss 1.1 "Grundsatzfragen der Verkehrsplanung" (Hrsg.) Empfehlungen für Verkehrsplanungsprozesse, 2018, ISBN/ISSN 978-3-86446-208-5
[Rupp19] Rupprecht Consult - Forschung und Beratung GmbH (Hrsg.) Guidelines for Developing and Implementing a Sustainable Urban Mobility Plan, Ausgabe/Auflage 2. Auflage, 2019
[Rupp19a] Rupprecht Consult - Forschung und Beratung GmbH (Hrsg.) Annex To The Guidelines For Developing And Implementing A Sustainable Urban Mobility Plan (2nd Edition), Ausgabe/Auflage 2. Auflage, 2019
[Schnüll09] Schnüll, R. Brauchen wir eine neue Art von Verkehrsentwicklungsplänen?, veröffentlicht in Straßenverkehrstechnik, Ausgabe/Auflage 08/2009, Kirschbaum Verlag, Bonn, 2009/08
Weiterführende Literatur
[BMVBS12p] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung
Planung von Großvorhaben im Verkehrssektor, Berlin, 2012/11
[FGSV12a] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Hinweise zur Beteiligung und Kooperation in der Verkehrsplanung, Ausgabe/Auflage Ausgabe 2012, FGSV Verlag, Köln, 2012, ISBN/ISSN 978-3-86446-018-0
[Rupp13] Rupprecht Consult - Forschung und Beratung GmbH Pläne für die nachhaltige urbane Mobilität - Planen für Menschen, 2013
[BöhBae13] Rupprecht Consult - Forschung und Beratung GmbH, Böhler-Baedeker, S. Überblick über die Entwicklung auf europäischer Ebene zur nachhaltigen Verkehrsplanung, Köln, 2013/07/08
Glossar
GVFG GFVG ist die Abkürzung von "Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz". Der ausführliche Gesetzestitel lautet: "Die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinde" Im Rahmen des GVFG fördert der Bund Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Der Umfang der Bundesmittel ist gesetzlich auf 1.667 Millionen Euro jährlich begrenzt. Die Mittel werden nach einem Schlüssel auf die Länder verteilt. Förderbereiche des GVFG sind:
  • der kommunale Straßenbau (insbesondere Bau und Ausbau verkehrswichtiger innerörtlicher Straßen und Zubringerstraßen zum überörtlichen Verkehrsnetz, Omnibusspuren, Verkehrsleitsysteme, Kreuzungsmaßnahmen im Bereich von Eisenbahnen und Bundeswasserstraßen)
und
  • der öffentliche Personennahverkehr (insbesondere Bau und Ausbau von Straßen-, Hoch- , Untergrundbahnen. Nichtbundeseigenen Eisenbahnen, zentrale Omnibusbahnhöfe, Betriebsleitsysteme)
Über die Verwendung der Mittel werden Berichte erstellt. Quellen:
  • Gesetzestext
  • www.bmvbs.de/Verkehr/Oeffentlicher-Personennahverke-,1493/Gemeindeverkehrs-finanzierung.htm [dieser Link muss in die Adresszeile des Browsers kopiert werden]
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
Das 1971 in Kraft getretene Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) regelt die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Gefördert werden verschiedene Baumaßnahmen von Bahnen (besonders Eisenbahnen, Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen), wobei diese dem öffentlichen Personennahverkehr dienen müssen. Voraussetzung für die Förderung ist vor allem ein Kosten-Nutzen-Faktor über 1,0 im Rahmen der Standardisierten Bewertung.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?414987

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 01:44:02