Schlussfolgerung hinsichtlich der Existenz marktausgestaltungsinduzierter Qualitätsdefizite im Schienenpersonenfernverkehr
Erstellt am: 10.05.2013 | Stand des Wissens: 11.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Das Schienennetz des Deutsche Bahn AG Konzern (DB AG) ist mit 33.469 Kilometern und 5.699 Bahnhöfen das umfangreichste sowie eines der dichtesten in Europa [DBAG23]. Insbesondere Netz und Betrieb des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV) waren und sind seit der politischen Wende in Deutschland großen strukturellen Veränderungen hinsichtlich einer immer stärker marktorientierten Ausgestaltung ausgesetzt [MON09]. Dazu zählen vor allem die Fusion der Deutschen Bundes- und Reichsbahn zur DB AG im Zuge der Bahnreform 1993, die Stilllegung von circa 10.000 Kilometer unrentabler Eisenbahnstrecken beziehungsweise deren Abgabe an nichtbundeseigene Eisenbahnen und der Auf- und Ausbau eines Netzes für den Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) mit dem InterCityExpress (ICE). [EuKom12a]
Neben Bunge weisen auch Hesse et al. in aktuellen Untersuchungen übereinstimmend nach, dass gerade die Fokussierung auf den Ausbau des SPFV-Angebots innerhalb des Netzes des ICE-Taktverkehrs der DB AG zu Qualitätsdefiziten bei der analysierten regionalen Erschließungsqualität beziehungsweise Erreichbarkeit von Großstädten durch den SPFV führt. Auch die für die Fahrgäste günstigen direkten SPFV-Relationen (ohne Umwege oder viele Umstiege) konzentrieren sich dementsprechend auf einige wenige zentrale Korridore (Abbildung 1). In diesem Zusammenhang wird eine zunehmende Disparität zwischen peripheren und zentralen sowie west- und ostdeutschen Regionen beziehungsweise Städten festgestellt, welche durch die unterschiedlich vorhandene Erreichbarkeitsqualität hervorgerufen beziehungsweise repräsentiert wird. [Bung11, HeEv12]. Diese Entwicklungstendenz wird auch durch eine Studie zur Erreichbarkeit und wirtschaftlichen Entwicklung in Europa gestützt. Vickermann, Spiekermann und Wegener konstatieren darin eine Zunahme der Disparitäten zwischen den untersuchten peripheren und zentralen Regionen in Europa aufgrund des im Schieneninfrastrukturbereich angestrebten Ausbaus des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) [ViSp99].
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Die deutlichen Unterschiede bei der vorhandenen regionalen Erschließungsqualität sind auch auf den entsprechend hohen Umsteigeaufwand einer Zugverbindung zurückzuführen. Dabei hängt die Qualität der Erreichbarkeit von Städten überwiegend von der Anzahl der Umstiege, der durchschnittlichen Zeit je Umstieg und deren Anteil an der Gesamtreisezeit ab. Neben der fehlenden Lagegunst sind es die nicht vorhandenen Direktverbindungen beziehungsweise -anbindungen von Regionen und Städten an das ICE-Taktnetz, die durch die hohen Zeitverluste nicht abgestimmter Umsteigevorgänge zu einer geringeren Erschließungsqualität des SPFV führen [Bung11]. Oft werden daher im schlechtesten Fall "[...] Fahrzeitverkürzungen, die durch hohe Investitionen in Infrastrukturausbauten erreicht wurden, durch einen hohen Umsteigeaufwand im nächsten Fernzug-Knoten aufgezehrt und somit volkswirtschaftlich sinnlos" [Bung11, S. 142 ff.].
Konklusion
Investitionen in vorhandene und gut ausgestattete Bereiche der SPFV-Infrastruktur in zentralen beziehungsweise wirtschaftlich starken Regionen und Städten können die bestehende Disparität erhöhen. Die Berücksichtigung individueller Erreichbarkeitsmodelle auf Basis nutzenbasierter Indikatoren in vorhandenen Planungsinstrumenten der Infrastrukturplanung (zum Beispiel Bundesverkehrswegeplanung) sowie die Berücksichtigung der damit erarbeiteten Ergebnisse bei der Festlegung notwendiger Erhaltungs-, Ausbau- und Neubaumaßnahmen im SPFV-Netz können dazu beitragen, "[...] ungleichgewichtigen Erreichbarkeitsentwicklungen vorzubeugen und so zukünftige demographische Verwerfungen abzumildern" [EvHe11, S. 26].
Auch betriebliche Maßnahmen wie die Reduzierung des Umsteigeaufwands zeigen positive Auswirkungen auf die Gesamtreisezeit einer SPFV-Relation und damit auf die Erschließungsqualität beziehungsweise Erreichbarkeit einer entsprechend angebundenen Stadt oder Region. Am Beispiel der Schweiz wird deutlich, wie dank einer guten Vertaktung des Gesamtnetzes und trotz einer - gegenüber dem deutschen SPFV-Netz - geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit insgesamt attraktivere Reisezeiten erreicht werden können. Dabei können Direktverbindungen, eine Neuausrichtung des Fahrplans durch eine deutschlandweite Vertaktung (Deutschland-Takt) der wichtigsten SPFV-Knotenpunkte, eine engere Verzahnung der eigenwirtschaftlichen Fernverkehre der DB AG sowie der gemeinwirtschaftlich erbrachten Fernverkehrsleistungen der Länder den Umsteigeaufwand deutlich verringern und so die Erschließungsqualität auch außerhalb des ICE-Streckennetzes verbessern. [Bung11]
Konklusion
Investitionen in vorhandene und gut ausgestattete Bereiche der SPFV-Infrastruktur in zentralen beziehungsweise wirtschaftlich starken Regionen und Städten können die bestehende Disparität erhöhen. Die Berücksichtigung individueller Erreichbarkeitsmodelle auf Basis nutzenbasierter Indikatoren in vorhandenen Planungsinstrumenten der Infrastrukturplanung (zum Beispiel Bundesverkehrswegeplanung) sowie die Berücksichtigung der damit erarbeiteten Ergebnisse bei der Festlegung notwendiger Erhaltungs-, Ausbau- und Neubaumaßnahmen im SPFV-Netz können dazu beitragen, "[...] ungleichgewichtigen Erreichbarkeitsentwicklungen vorzubeugen und so zukünftige demographische Verwerfungen abzumildern" [EvHe11, S. 26].
Auch betriebliche Maßnahmen wie die Reduzierung des Umsteigeaufwands zeigen positive Auswirkungen auf die Gesamtreisezeit einer SPFV-Relation und damit auf die Erschließungsqualität beziehungsweise Erreichbarkeit einer entsprechend angebundenen Stadt oder Region. Am Beispiel der Schweiz wird deutlich, wie dank einer guten Vertaktung des Gesamtnetzes und trotz einer - gegenüber dem deutschen SPFV-Netz - geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit insgesamt attraktivere Reisezeiten erreicht werden können. Dabei können Direktverbindungen, eine Neuausrichtung des Fahrplans durch eine deutschlandweite Vertaktung (Deutschland-Takt) der wichtigsten SPFV-Knotenpunkte, eine engere Verzahnung der eigenwirtschaftlichen Fernverkehre der DB AG sowie der gemeinwirtschaftlich erbrachten Fernverkehrsleistungen der Länder den Umsteigeaufwand deutlich verringern und so die Erschließungsqualität auch außerhalb des ICE-Streckennetzes verbessern. [Bung11]