Marktentwicklung des deutschen Schienenpersonenfernverkehrs
Erstellt am: 03.05.2013 | Stand des Wissens: 10.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Spätestens in den 80er Jahren waren bei der damaligen Deutschen Bundesbahn strukturelle Defizite deutlich geworden, die die Einleitung umfangreicher Strukturreformen in Gang setzten, um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens aufrechtzuerhalten. Zu dieser Zeit befand sich die Deutsche Reichsbahn, das Bahnunternehmen der damaligen Deutschen Demokratischen Republik, unter planwirtschaftlichem Regime und wies ebenfalls Defizite bezüglich ihres Wirtschaftens auf. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands entstand die Möglichkeit, beide Unternehmen zu fusionieren und anschließend die erforderlichen Reformen einzuleiten. So wurde Anfang der 1990er Jahre die sogenannte Bahnreform ins Leben gerufen. [RoBe14, S. 36 ff.] Damit begann ein neuer Abschnitt in der Entwicklung des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV), im Zuge dessen es galt, die Marktposition der neu zu gründenden Deutschen Bahn AG (DB AG) zu verbessern und staatliche Zuzahlungen zu reduzieren. [Enga08; Aber03]
Im Schienenverkehr spielt die Daseinsvorsorge hinsichtlich des Finanzierungsmodells eine erhebliche Rolle. Während der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) sie zu erfüllen hat und mit dem jeweiligen Bundesland einen Verkehrsvertrag eingeht, um Zuschüsse (sogenannte Regionalisierungsmittel) zu erhalten, gelten im SPFV andere Regeln. Er obliegt der unternehmerischen Verantwortung (Eigenwirtschaftlichkeit) privatwirtschaftlich geführter Eisenbahnverkehrsunternehmen. Indes ist räumliche Abgrenzung zwischen Nah- und Fernverkehr nicht immer klar zu ziehen. Das Regionalisierungsgesetz (RegG) definiert in § 2 Beförderungsdienstleistungen mit einer Reichweite von bis zu 50 Kilometern bzw. einer Stunde Gesamtreisezeit als Angebot des Nahverkehrs [RegG § 2]. Jedoch sind Regionalexpresslinien, die Fernverkehrsdistanzen überwinden und überregional verkehren, keine Seltenheit [Aber04].
Innovationen wie der Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken, die Einführung neuer Produkte (zum Beispiel InterRegio, kurz IR, für mittlere Distanzen) und die Entwicklung des InterCityExpress (ICE) erhöhten in den vergangenen drei Jahrzehnten die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des SPFV gegenüber Pkw und Flugzeug und schafften so erst die Voraussetzung, um eigenwirtschaftlich erfolgreich handeln zu können [Boda05]. 2001 wurde der SPFV abermals einer Neuausrichtung unterworfen. Das Angebot des IR wurde mit dem Programm "Marktorientiertes Angebot im Personenverkehr" (MORA P) reduziert und Streckenangebote unter dem Zwei-Stunden-Takt gestrichen. Die verbliebenen IR-Strecken erhielt der InterCity (IC). Das Netz wurde neu strukturiert und vollständig dem IC und ICE neu zugeordnet [BagA03]. Im Jahr darauf erschien das neue Preissystem "Preis- und Erlösmanagement Personenverkehr" (PEP). Es beinhaltete einen streckenbezogenen Grundpreis und ein darauf aufbauendes Rabattsystem. Die dadurch erhofften Fahrgaststeigerungen traten jedoch nicht ein, Umsatzverluste waren die Folge.
Der SPFV unterliegt seitdem einer stetigen Fortentwicklung, jedoch mit wenig veränderlichem Angebotsumfang [DBAG11m; DBAG13f; DBAG14a]. Die Schwerpunkte für eine positive zukünftige Entwicklung des SPFV liegen in der Vorbereitung des Einstiegs für Wettbewerber, der Umstellung auf einen Deutschland-Takt, der Ausdehnung des Angebots im Ausland und der Ausweitung des SPFV auf in den letzten Jahren aufgegebene Strecken, um die Anbindung der vom SPFV abgehängten Regionen wiederherzustellen [NEEMo13, S. 66 ff. und 73; Dtakt17; Bung11, S. 142 ff., KCW19a, BMVI18ac]. Zielfahrpläne 2030 für den Fern- und Güterverkehr sowie für die einzelnen Bundesländer sind beim Bundesverkehrministerium abrufbar [BMVI17az].