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Buslinienfernverkehr in Großbritannien

Erstellt am: 25.04.2013 | Stand des Wissens: 18.01.2022
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Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Der Markt für Buslinienfernverkehr wurde in Großbritannien im Rahmen des "Transport Act" im Jahr 1980 dereguliert.
Bis zur Deregulierung mussten die Busunternehmen darlegen, dass sie nicht nur subjektive Zulassungskriterien (zum Beispiel Fahrerführerschein, fahrsichere Fahrzeuge) erfüllten, sondern dass ihre beantragte Linie dem öffentlichen Verkehrsinteresse entsprach. Bestehende Verkehrsunternehmen hatten damals die Einführung neuer Verkehrslinien oftmals mit dem Argument verhindert, dass sich neue Linien negativ auf ihre finanzielle Situation und damit auf ihre Angebotsqualität auswirken werden. Mit der Deregulierung im Jahr 1980 mussten die Busunternehmen im Fernverkehr lediglich die subjektiven Qualitätsanforderungen erfüllen und 28 Tage vor der Inbetriebnahme ihr Verkehrsangebot ankündigen [RoWh86, S. 359ff.]. Eine weitere Entwicklung der Deregulierung fand mit dem Transport Act im Jahr 1985 statt. Während sich die Deregulierung vor allem auf den lokalen Busmarkt bezog, wurde die Ankündigungspflicht von 28 Tagen für den Buslinienfernverkehr abgeschafft [RoWh86, S. 362; VdVe09, S. 5].
Zum Zeitpunkt der Deregulierung im Jahr 1980 agierte das Unternehmen National Express als Monopolist auf dem Fernbusmarkt und gehörte dem staatlichen Busunternehmen National Bus Company (NBC) an, das regionale und überregionale Busfahrten in England und Wales anbot [White01, S. 94].
Im Zuge der Deregulierung traten viele kleine Unternehmen in den Markt für Buslinienfernverkehr ein. Beispielsweise bildete sich 1980 das British Coachway Konsortium, das anfangs aus sechs Busunternehmen bestand und später bis zu zehn Busunternehmen umfasste. Dieses Konsortium versuchte, ein nationales Netzwerk an Buslinienfernverkehren zu etablieren, indem sie auf verschiedenen Routen zu niedrigen Preisen Busfahrten anboten. Gegenüber National Express konnte sich dieses Konsortium jedoch nicht durchsetzen. National Express hatte durch seinen Bekanntheitsgrad, durch sein breites Netzangebot und durch das Vertriebsnetz einen deutlichen Vorteil gegenüber neuen Unternehmen. Außerdem war National Express Besitzer des wichtigsten Londoner Fernbusterminals, der Victoria Coach Station. Dem British Coachway Konsortium blieb der Zugang zu diesem zentralen Terminal verwehrt. British Coachways entwickelte daraufhin sein eigenes Terminal auf einer Brachfläche in der Nähe des Kings Cross Bahnhofs. Dieses Terminal hatte aber kein gutes Image und konnte bezüglich der Informationsbereitstellung nicht mit dem Victoria Coach Terminal mithalten. Im Jahr 1983 stellte das British Coachway Konsortium schließlich seinen Betrieb ein [RoWh86, S. 364f.].
In dieser ersten Phase bis Mitte der 80er Jahre stieg die Fahrgastanzahl von National Express um 50 Prozent von 9,2 Millionen im Jahr 1980 auf 15,4 Millionen im Jahr 1985. Die Fahrpreise für Buslinienfernverkehr sanken insbesondere auf den Hauptstrecken und die Qualität und Frequenz der Fahrten verbesserten sich deutlich. Als Antwort auf den zunehmenden Buslinienfernverkehr sanken in den Off-Peak-Zeiten auch die Bahnpreise [WhRo12, S. 2f.].
Die Privatisierung von National Express erfolgte im Jahr 1988 [White01, S. 94]. Mit dessen Privatisierung wurde das Fernbusterminal Victoria Station in London an die Verkehrsbehörde Transport for London übertragen. Zur Vermeidung von Diskriminierung kleinerer Unternehmen wurde für dieses Terminal ein für alle Unternehmen einheitliches Preissystem eingeführt [White01, S. 100].
Obwohl die Marktbarrieren im Buslinienfernverkehrsmarkt im Vergleich zum Bahn- oder Luftverkehrsmarkt relativ gering sind, hat National Express in England und Wales seit der Deregulierung weiterhin eine dominante Rolle eingenommen. National Express hat nach der Deregulierung schnell und aggressiv auf neue Marktteilnehmer reagiert. Beispielsweise änderte National Express kurzfristig die Preise bevor neue Unternehmen in dem Markt Fuß fassen konnten. Im Jahr 2009 kündigte First Greyhound an, eine schnellere Verbindung zwischen London und Portsmouth sowie zwischen London und Southhampton anzubieten. Als Reaktion darauf hat National Express zwei Tage vor Geschäftsbeginn von First Greyhound diesen Service selbst angeboten [WhRo12, S. 3].

Mit der Einführung der Marke Megabus im Jahr 2003 ist es dem drittgrößten Busunternehmen Stagecoach nach dem British Coachway Konsortium erstmals wieder gelungen ein landesweites Netz an Fernbuslinien einzuführen. Megabus verfolgt das Geschäftsmodell der Billigairlines und verkauft Fernbusfahrten zu sehr geringen Preisen. Es zielt damit auf einkommensschwache junge Leute ab. Das Unternehmen konzentriert sein Netz vor allem auf Routen zwischen den größten Städten und der Metropole London. Die Fahrkarten können die Kunden ausschließlich per Telefon oder im Internet kaufen. Im Gegensatz zu den Bussen von National Express halten die Busse von Megabus nicht immer an Fernbusterminals, sondern am Straßenrand oder in der Nähe seiner Kunden zum Beispiel auf dem Universitätscampus. Mithilfe eines ausgeprägten Yield-Management Systems erreicht Megabus deutlich höhere Auslastungsquoten im Vergleich zu National Express [Robb07, S. 7].

Im britischen Buslinienfernverkehrsmarkt wird im Jahr 2021 ein Umsatz von über 2,6 Milliarden Pfund erwirtschaftet [Stat21g]. Mit einem Markanteil von etwa 26 Prozent dominiert Stagecoach den Buslinienfernverkehrsmarkt in Großbritannien [StGr21] (siehe Abbildung 1). Ein intramodaler Wettbewerb hat sich in den letzten Jahren entwickelt.
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Abbildung 1: Marktanteile im britischen Buslinienfernverkehrsmarkt [StGr21]
Die Bedeutung des Fernbusses ist im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln gering. Während das Auto auf Distanzen bis zu 350 Meilen das wichtigste Verkehrsmittel ist, konnte der Fernbus auf einer Strecke von 250 bis 350 Meilen sowie ab 350 Meilen und mehr mit vier Prozent der Fahrten einen signifikanten Marktanteil erreichen (vgl. Abbildung 2).
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Abbildung 1: : Modal Split des Fernverkehrs in Großbritannien abhängig von der Distanz für die das Jahr 2020 [NTS21]
In Großbritannien müssen die Haltestellen einen Mindestabstand von 15 Meilen (24,14 Kilometer) aufweisen. Heutzutage nutzen jüngere Personen (0 bis 20 Jahre) am häufigsten lokale sowie überregionale Busse, im Durchschnitt mehr als 1000 Meilen pro Person und Jahr. Dies ist unter anderem auch auf die Schülerbeförderung zurückzuführen. Die Altersgruppe der über 70-Jährigen ist mit durchschnittlich 400 Meilen pro Person und Jahr die zweitgrößte Nutzergruppe. Ein Grund dafür sind die Vergünstigungen für Rentner vor allem in den lokalen Bussen. Die Altersgruppe zwischen 30 und 60 Jahren verkehrt am wenigsten mit dem Verkehrsmittel Bus [MOVE16, S. 254].
Die im britischen Fernbuslinienverkehr aktiven Unternehmen wie National Express und Stagecoach haben sich zu internationalen Verkehrsunternehmen entwickelt. So bietet die National Express Group PLC nicht nur Buslinienfernverkehr und städtischen Busverkehr in Großbritannien an, sondern betreibt mit dem Kauf des spanischen Busunternehmens ALSA im Jahr 2005 auch in Spanien und Marokko lokalen Busverkehr und Fernbuslinienverkehr. Darüber hinaus ist National Express an mehreren Busunternehmen für lokalen Busverkehr in den USA, in Kanada, in der Schweiz und in Bahrain beteiligt. Das Unternehmen befährt auch mit Zügen einige Eisenbahnstrecken in Großbritannien und Deutschland [NEG18].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Buslinienfernverkehr (Stand des Wissens: 08.02.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?409383
Literatur
[BeBo08a] Becker, M., Bohn, A., Gätner, C., Haunerland, F., Kluge, M., Krause, M., Krischok, F., Künzel, C., Mösken, M., Moll, R., Neumann, F., Rößler, R., Rüsike, V., Schönherr, O., Siehlow, M., Splinter, C., Sturtz, M. InterCity-Busverkehr in Europa, veröffentlicht in Transport Economics and Other Infrastructure Working Papers , Ausgabe/Auflage WP-TR-14, 2008/09/15
[MOVE16] DG Move, European Commission, stear davies glave (Hrsg.) Comprehensive Study on Passenger Transport by Coach in Europe, 2016/04
[NaEx11] National Express Group UK coach, 2011/04/07
[NaEx13a] National Express Group Focusing on our strategy - Annual Report and Accounts 2012, Ausgabe/Auflage 2012, 2013
[NEG18] National Express Group (Hrsg.) Our businesses , 2018
[NTS21] National Travel Survey (Hrsg.) Long distance trips within Great Britain by main mode and length: England, 2021/09/22
[Robb07] Robbins, D. Competition in the UK express coach market 25 years after deregulation: the arrival of Megabus.com, veröffentlicht in EUROPEAN TRANSPORT CONFERENCE 2007, 2007, ISBN/ISSN 1905701020
[RoWh86] Robbins, D., White, P. The experience of express coach deregulation in Great Britain, veröffentlicht in Transportation, Ausgabe/Auflage 13, 1986
[Stat21g] Statista (Hrsg.) Size of the coach and bus transport market in the UK between 2018 and 2021, 2021/07
[StGr21] Stagecoach Group (Hrsg.) Stagecoach market share, 2021
[VdVe09] Van de Velde, D. Long-Distance Bus Services in Europe: Concessions or Free Market? , 2009/12
[White01] White, P. Great Britain, veröffentlicht in Regular interurban coach service in Europe, 2001
[WhRo12] White, P., Robbins, D. Long-term development of express coach services in Britain, veröffentlicht in Research in Transportation Economics, Ausgabe/Auflage Volume 36, Issue 1, 2012/09
Weiterführende Literatur
[DfTr20] Department for Transport (Hrsg.) Annual bus statistics: England 2019/20, 2020/10/28
[UBA20n] Umweltbundesamt (Hrsg.) Grundlagen für ein umweltorientiertes Recht der Personenbeförderung, 2020/11, ISBN/ISSN 1862-4804
[DfTr19] Department for Transport (Hrsg.) Transport Statistics Great Britain 2019, 2021
[Stat650] Long distance trips within Great Britain by main mode and length: Great Britain (NTS0317), 2013/07/30
Glossar
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.
Geschäftsmodell
Ein Geschäftsmodell besteht allgemein aus den drei Hauptkomponenten Nutzenversprechen (value proposition), Architektur der Wertschöpfung und Ertragsmodell.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?409414

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 15:06:19