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Faktoren der Verkehrsmittelwahl im Fernverkehr

Erstellt am: 25.04.2013 | Stand des Wissens: 18.01.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Die Entwicklung eines Buslinienfernverkehrsmarktes hängt im Wesentlichen von der Verkehrsmittelwahl der Nachfrager ab. Die Wahl eines Verkehrsmittels ist eine Entscheidung, die von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Unter der Annahme, dass verschiedene Alternativen vorhanden sind, können folgende Faktoren die Verkehrsmittelwahl im Fernverkehr beeinflussen [LaMa03, S. 6f.]:
  • verkehrssystemabhängige Faktoren wie Preis, Frequenz, Reisedauer, Netzwerkdichte, Verfügbarkeit, Komfort, Zuverlässigkeit, Distanz,
  • reisesituationsabhängige Faktoren wie Fahrzweck, Gruppengröße, Gepäck und
  • personenabhängige Faktoren wie Gewohnheiten, Ängste, Informationslage, Erfahrungen und Einkommen.
Bezüglich der Faktoren der Verkehrsmittelwahl im Fernverkehr wurden unter anderem zwei Studien durchgeführt. Dargay und Clark (2012) untersuchten mithilfe eines ökonometrischen Modells die Determinanten der Verkehrsmittelwahl im Fernverkehr in Großbritannien [DaCl12]. Dazu wurden Zeitreihen der Jahre 1995 bis 2006 des National Travel Survey ausgewertet. Eine zweite Studie von Becker et al. (2008) hat im Rahmen eines Studienprojekts zum Intercity Busverkehrs in Europa die Wichtigkeit einzelner Merkmale im Fernverkehr (mehr als 100 Kilometer) und mögliche Anteile des Buslinienfernverkehrs in Deutschland ermittelt [BeBo08a].

Es ist bekannt, dass mit steigendem Einkommen der Wert der Zeit im Vergleich zum Geld steigt. Daher nutzen Personen mit einem hohen Einkommen eher schnelle Verkehrsmittel. Dies konnte in der ökonometrischen Analyse von Dargay und Clark gezeigt werden [DaCl12]. Das Einkommen ist laut ihrer Analyse ein wichtiger Faktor für die Wahl eines Verkehrsmittels im Fernverkehr. Insbesondere das Verkehrsmittel des Flugzeugs zeigt eine sehr hohe Einkommenselastizität, gefolgt von dem Zug, dem Auto und schließlich dem Fernbus. Mit steigendem Einkommen steigt die Nutzung des Flugzeugs zulasten der Eisenbahn und der Fernbusse bei gleichen Distanzen. Becker et al (2008) kamen zu einem vergleichbaren Ergebnis [BeBo08a]. In diesem Projekt wurde differenziert nach Einkommen der Modal Split im Fernverkehr prognostiziert. Die Autoren konnten feststellen, dass mit einem größeren Monatseinkommen der Anteil des Flugzeugs und der Bahn steigt, während der Anteil der Personen, die den Fernbus nutzen, sinkt (vgl. Abbildung 1) [BeBo08a].
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Abbildung 1: Modalwahl in Abhängigkeit unterschiedlicher Einkommen
Eigene Darstellung nach [BeBo08a, S. 127 ff.] 
Ein weiterer Faktor der Verkehrsmittelwahl ist der Fahrzweck. Die Daten des National Travel Survey von Dargay und Clark (2012) differenzieren für alle Fahrstrecken nach den Verkehrszwecken Geschäftsreisen, Pendeln, Urlaub, Freizeit und Verwandtschaftsbesuchen [DaCl12]. Der Hauptteil der Fahrten wird unabhängig von den Verkehrszwecken mit dem Auto bedient. Neben dem Auto (75 Prozent) werden Geschäftsreisen auch noch mit dem Zug (13 Prozent) oder dem Flugzeug (10 Prozent) getätigt. Im Bereich der Urlaubs- und Freizeitfahrten zählen neben dem Auto mit 75 Prozent bzw. 79 Prozent auch der Fernbus (12 Prozent bzw. 11 Prozent) und der Zug (jeweils 9 Prozent) eine Rolle (vgl. Tabelle 1).
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Tabelle 1: Modalwahl nach Fahrzweck in Großbritannien 2002 bis 2006
Eigene Darstellung nach [DaCl12]
In Großbritannien wurden die Daten des National Transport Survey nach einer Entfernung bis 150 Meilen und ab 150 Meilen differenziert. Bis zu einer Strecke von 150 Meilen wurde mit 84 Prozent vor allem das Auto gewählt. Strecken ab 150 Meilen wurden zunehmend auch mit der Bahn, dem Fernbus und dem Flugzeug zurückgelegt (vgl. Abbildung 2).
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Abbildung 2: Modalwahl Fernverkehr in Großbritannien 2002 bis 2006 in Abhängigkeit von der Distanz
Eigene Darstellung nach [BeBo08a, S. 127ff.]
Hinsichtlich des Komfort- und Serviceniveaus (Sitzkomfort, Gepäckmitnahmemöglichkeit, Speise- und Getränkeangebot) wird der Fernlinienbus in der Umfrage von Becker et al. (2008) von knapp 90 Prozent der Befragten als das Fernverkehrsmittel mit der geringsten positiven Merkmalsausprägung wahrgenommen. Den höchsten Komfort bietet laut dieser Untersuchung die Bahn [BeBo08a, S. 101ff.].
Der Faktor der Zuverlässigkeit eines Verkehrsmittels wird beeinflusst von der Planbarkeit und der Pünktlichkeit der Reise. In der Studie von Becker et al. (2008) wird der (eigene) Pkw als das zuverlässigste Verkehrsmittel eingeschätzt, obwohl dieser Unsicherheitsfaktoren unterliegt (Staugefahr, Witterungseinflüsse). Ausschlaggebend für diese Bewertung kann die hohe Flexibilität sein. Der Fernlinienbus erreicht hier gleichauf mit dem Zug die nächstbeste Bewertung [BeBo08a, S. 103ff.].
Bei der Betrachtung der Faktoren zur Verkehrsmittelwahl ist zu beachten, dass auch im Fernverkehr viele Entscheidungen habitualisiert sind und von sozioökonomischen Faktoren beeinflusst werden. Laut einer in dem Forschungsprojekt INVERMO durchgeführten Umfrage zum Verhalten im Personenfernverkehr gaben durchschnittlich nur 13 Prozent der befragten Personen, die eine Fernreise getätigt hatten, an, alternative Verkehrsmittel im Fernverkehr in Betracht zu ziehen. Dies betrifft insbesondere Personen über 60 Jahre (87 Prozent) und Urlaubsreisende (89 Prozent) [BMBF05c, S. 80].

Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Buslinienfernverkehr (Stand des Wissens: 08.02.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?409383
Literatur
[BeBo08a] Becker, M., Bohn, A., Gätner, C., Haunerland, F., Kluge, M., Krause, M., Krischok, F., Künzel, C., Mösken, M., Moll, R., Neumann, F., Rößler, R., Rüsike, V., Schönherr, O., Siehlow, M., Splinter, C., Sturtz, M. InterCity-Busverkehr in Europa, veröffentlicht in Transport Economics and Other Infrastructure Working Papers , Ausgabe/Auflage WP-TR-14, 2008/09/15
[BMBF05c] Manz, Dr.-Ing. Wilko, Last, Dipl.-Wi.-Ing. Jörg, Chlond, Dr.-Ing. Bastian, Zumkeller, Dirk, Prof. Dr.-Ing. Die intermodale Vernetzung von Personenverkehrsmitteln unter Berücksichtigung der Nutzerbedürfnisse (INVERMO) - Schlussbericht, 2005/03
[DaCl12] Dargay, J. M., Clark, S. The determinants of long distance travel in Great Britain, veröffentlicht in Transportation Research Part A: Policy and Practice, Ausgabe/Auflage Vol. 46, Issue 3, 2012/03
[LaMa03] Last, J., Manz, W. Unselected mode alternatives: What drives modal choice in long-distance passenger transport? , 2003
Glossar
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?409402

Gedruckt am Dienstag, 16. April 2024 11:01:58