Buslinienfernverkehr in Deutschland
Erstellt am: 25.04.2013 | Stand des Wissens: 18.01.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Der Buslinienfernverkehr war bis zum 1. Januar 2013 reguliert.
Zurückzuführen war dies auf ein Gesetz, dessen Ursprung in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts lag und das in einer geänderten Form heute als das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) bekannt ist. Dieses Gesetz regelt die"entgeltliche oder gemeinschaftliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Oberleitungsbussen (Obussen) und mit Kraftfahrzeugen" [PBefG, §1 Abs. 1]. Vor der Liberalisierung des Buslinienfernverkehrs hatten Busverkehrsunternehmen im Linienverkehr sowohl subjektive Kriterien wie Sicherheits- oder Leistungsfähigkeitsanforderungen [PBefG, §13 Abs. 1] als auch objektive Kriterien zu erfüllen. Die letzteren Kriterien boten der Deutschen Bahn AG (DB AG) jahrzehntelang einen Konkurrenzschutz mit der Begründung, dass das öffentliche Verkehrsinteresse nicht beeinträchtigt werden dürfe. Eine solche Beeinträchtigung lag insbesondere dann vor, wenn nach [PBefG, § 13 Abs. 2]
- der Verkehr mit den vorhandenen Verkehrsmitteln befriedigend bedient werden konnte,
- der beantragte Verkehr ohne eine wesentliche Verbesserung der Verkehrsbedienung Verkehrsaufgaben übernahm, die vorhandene Unternehmer oder Eisenbahnen bereits wahrnahmen oder
- die bereits verkehrenden Dienstleister zwar ein lückenhaftes Angebot anboten, aber bereit waren, Verbesserungen im Angebot innerhalb einer von der Genehmigungsbehörde festzusetzenden angemessenen Frist durchzuführen.
Vor der Liberalisierung war der Markt für Buslinienfernverkehr dominiert von Verkehren von und nach Berlin. Diese Linien wurden von dem Unternehmen Berlin Linien Bus GmbH ausgeübt, einem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG (DB AG). Diese Regelung stammt noch aus Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Damals sollte der Buslinienfernverkehr eine unabhängige Alternative zur Reichsbahn der DDR bieten und Westberlin mit Westdeutschland verbinden. Nach der Wiedervereinigung gewährleistete der im PBefG enthaltene Besitzstandschutz Altunternehmern die weitere Bedienungsgenehmigung und auch den Buslinienfernverkehren. Abgesehen von den Berlinfahrten wurden auch ausgewählte Flughäfen von Buslinienfernverkehren bedient. Insgesamt fuhren im Jahr vor der Liberalisierung 2,4 Millionen Personen mit dem Buslinienfernverkehr [Stat13a]. Verglichen mit der Verkehrsleistung des gesamten Personenverkehrs in Deutschland war die Bedeutung des Buslinienfernverkehrs mit einem Marktanteil von 0,1 Prozent am gesamten Personenverkehr aber sehr gering [BMVBS12i, S. 219; eigene Berechnungen].
Seit 2009 wurde der politische Prozess der Liberalisierung des deutschen Buslinienfernverkehrsmarktes von verschiedenen politischen und rechtlichen Entscheidungen begleitet.
Zunächst hatte die Koalition bestehend aus der CDU, CSU und FDP in ihrer Koalitionsvereinbarung 2009 niedergeschrieben, das PBefG zu novellieren und den Markt für Buslinienfernverkehre zu liberalisieren [CCF09, S. 37]. Fast zeitgleich hat das EU-Parlament im Oktober 2009 die Verordnung 1073/2009 bezüglich der gemeinsamen Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt beschlossen. Mithilfe dieser Verordnung ist es für ausländische Busunternehmen seit dem 4. Dezember 2011 möglich, im Inland einen Linienverkehr anzubieten und Passagiere ein- und aussteigen zu lassen, solange der Start oder das Ende der Linie sich im Ausland befindet [EG09a, Kap. 5 Art. 15c, Kap. 8 Art. 31].
Weitere rechtliche Entscheidungen zugunsten des freien Buslinienfernverkehrsmarktes wurden von dem Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2010 und von dem Landgericht Frankfurt im Jahr 2011 getroffen. In beiden Fällen hatte die DB AG versucht Fernbuslinien zu verbieten. Im Jahr 2005 klagte die DB AG gegen die Genehmigung der Fernbuslinie der Deutschen Touring zwischen Dortmund und Frankfurt. Dieser Rechtsstreit wurde bis zum Bundesverwaltungsgericht ausgetragen. Dies entschied im Jahr 2010, dass ein deutlich günstigeres Angebot eine wesentliche Verbesserung des Verkehrsangebotes darstellt und die Genehmigung eines Linienfernverkehrs für eine Strecke nicht ausgeschlossen werden dürfe, auch wenn diese Strecke bereits mit der Bahn bedient werde [BVerwG10].
In einem weiteren Rechtstreit hatte die DB AG im Jahr 2010 das "Startup-Unternehmen" DeinBus.de verklagt. Dieses versuchte das Gesetz zu umgehen, indem es Mitfahrgelegenheiten mit dem Bus anbot. Die DB AG argumentierte, dass es sich hierbei um einen Linienverkehr und nicht um einen Charterverkehr handelte. Das Landesgericht Frankfurt entschied gegen die Argumentation der Bahn und war der Meinung, dass es Aufgabe der Behörde sei, zu entscheiden, ob ein Linien- oder ein Charterverkehr vorliege. Die Behörden hatten zuvor den Verkehr von DeinBus.de genehmigt [FAZ11].
Vor dem Hintergrund dieser politischen und rechtlichen Entscheidungen brachte das Bundeskabinett am 3. August 2011 einen Gesetzentwurf auf den Weg, um den Buslinienfernverkehrsmarkt zu liberalisieren. Dieser Gesetzentwurf wurde von der SPD und dem Bündnis90/Grünen im Bundesrat am 23. September 2011 abgelehnt. Diese forderten in einem Gegen-Gesetzentwurf, zusätzlich zu dem Gesetzentwurf des Kabinetts eine Mautpflicht und Passagierrechte einzuführen [Bund11a]. Seit dem Frühjahr 2012 verhandelten die vier Faktionen unter der Beteiligung des BMVBS und der Vertreter der Länderministerien. Am 14. September 2012 einigten sich schließlich die Bundestagsfraktionen bestehend aus CDU/CSU, SPD, FDP und dem Bündis90/Grünen im Rahmen eines parlamentarischen Verfahrens auf einen Kompromiss zwischen dem Regierungsentwurf und dem Gesetzentwurf der SPD und der Grünen. Am 27. September 2012 nahm der Deutsche Bundestag daraufhin in seiner 195. Sitzung diesen Antrag an und der Deutsche Bundesrat stimmte dem geänderten Gesetzesentwurf am 2. November 2012 zu. Damit traten das novellierte Personenbeförderungsgesetz und folglich die Liberalisierung des Buslinienfernverkehrsmarktes am 1. Januar 2013 in Kraft.
Die Fernbusliberalisierung sieht vor, dass ausschließlich subjektive Kriterien beispielsweise bezüglich der Sicherheits- und der Leistungsfähigkeit eines Busunternehmens geprüft werden müssen [PBefG, §13 Abs. 2]. Damit ist der Konkurrenzschutz gegenüber der Bahn aufgehoben worden. Um zumindest den öffentlichen Nahverkehr vor einer Kannibalisierung zu schützen, dürfen Buslinienfernverkehre nur dann angeboten werden, wenn zwischen zwei Haltestellen mehr als 50 Kilometern Abstand liegt und auf dieser Strecke kein Schienenpersonennahverkehr mit einer Reisezeit bis zu einer Stunde betrieben wird. Ausnahmen sind dann zu gewähren, wenn kein ausreichendes Nahverkehrsangebot vorhanden ist oder das Fahrgastpotenzial der vorhandenen Verkehrsangebote nur unerheblich beeinträchtigt wird [PBefG; §42 a PBefG; BMVI21m].
Außerdem sieht die Novelle vor, dass seit dem 1. Januar 2016 neu zugelassene Fernbusse mindestens zwei Plätze für Rollstuhlnutzer aufweisen müssen und Fahrzeuge, die vor 2016 zugelassen wurden, eine Umrüstfrist bis Ende des Jahres 2019 eingeräumt wured [PBefG, §42b und §62]. Seit dem 1. Januar 2020 gilt dies also für alle im Personenverkehr eingesetzten Kraftomnibusse [BAFG20, S. 21]. Damit leistet der Gesetzgeber auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels einen Beitrag zu mehr inklusiver Mobilität. Busunternehmer reagieren mit dem vermehrten Einsatz von barrierefreien Bussen sowie speziellen Angeboten für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen [BDO18]. Jedoch ist nicht nur die Barrierefreiheit in den Fernbussen relevant, sondern auch bei den Haltestellen sowie bei den Fernbusterminals [BMVI17ad].