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Mobilitätsmuster älterer Menschen

Erstellt am: 12.08.2012 | Stand des Wissens: 05.08.2019
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Ältere Menschen verhalten sich bezüglich der Verkehrsmittelwahl, der Umsetzung von Ortsveränderungen, der Wegezahl und Wegezwecke sowie durch fortschreitende Digitalisierung der Mobilitätsdienste anders als andere Personengruppen. Sie haben differenzierte Ansprüche sowie Mobilitätsbedürfnisse.
Die Mobilität älterer Menschen wird insbesondere von den folgenden Faktoren beeinflusst [Moll02; Ap07; FlMo01]:
  • Raumstruktur: In ländlichen Gebieten werden weniger und kürzere Wege von älteren Personen mit überwiegend nur einem Wegezweck durchgeführt. In Städten hingegen legen Ältere häufiger Wegeketten, das heißt Wege mit mehr als einem Wegezweck, zurück.
  • Gesundheit: Mit zunehmendem Alter kommt es zur Verlagerung der Verkehrsmittelnutzung. Dabei erlangen der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) sowie das zu Fuß gehen eine größere Bedeutung, denn ab einem bestimmten Grad der physischen Einschränkung oder der Einnahme von Medikamenten können Ältere nicht mehr selbst Pkw fahren.
  • soziales Umfeld: Bestehen soziale Kontakte zu Familie oder Freunden beziehungsweise wohnen diese in der Nähe, sind ältere Personen mobiler.
  • Wohnumfeld: Ein hohes Sicherheitsgefühl im Wohnumfeld sowie die multifunktionale Ausstattung des Wohnumfeldes mit altersgerechten Versorgungseinrichtungen führen zu einer erhöhten nahräumlichen Mobilität im Alter.
  • Begleiter: Die Zahl der Wege von Älteren, die einen Hund besitzen, ist höher. Die Zahl begleiteter Wege von Älteren bleibt unverändert.
Die Abbildung 1 zeigt die Wegezwecke nach Alter und Geschlecht an einem Stichtag. In der Gruppe der 70-Jährigen und älter wird deutlich, dass bedingt durch den Berufsausstieg die Wegezwecke Arbeit, Ausbildung sowie dienstliche Wege an Gewicht verlieren. Häufige Wegezwecke sind demnach Freizeit, Einkauf und private Erledigungen. Dabei gibt es nur leicht variierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern beziehungsweise zwischen den Altersgruppen der 70- bis 79-Jährigen und der über 80-Jährigen [Nobi18, S.64]. 
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Abbildung 1: Wegezwecke nach Alter und Geschlecht [Nobi18, S. 64]
Charakteristisch für das Mobilitätsverhalten älterer Kraftfahrer ist zum einen die Reduktion der Gesamtfahrleistung [KuJa09]. Zum anderen meiden sie risikoreiche Situationen. Ältere Autofahrer fahren beispielsweise seltener bei schlechten Wetterbedingungen, während des Berufsverkehrs oder bei Nacht [Ball98; Schlag08]. Typisch für ältere Autofahrer ist zudem eine Abnahme von Normverstößen, wie etwa Geschwindigkeitsübertretungen und Fahren unter Alkoholeinfluss [LaKo06; LyFe02]. Die Abbildung 2 veranschaulicht die Fahrten nach Tagesstrecke, Altersgruppe sowie Geschlecht in Deutschland. Es ist deutlich erkennbar, dass sich die Tagesstrecke der älteren Männer ab etwa 70 Jahre deutlich verringert hat, aber sie legen immer noch mehr Kilometer zurück als ältere Frauen [Nobi18, S.52].
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Abbildung 2: Fahrten nach Tagesstrecke, Altersgruppe und Geschlecht in Deutschland [Nobi18, S. 52].
Aufgrund der Inhomogenität der Personengruppe der über 70-Jährigen zeigt sich zudem ein differenziertes Mobilitätsverhalten hinsichtlich der Verkehrsmittelwahl. Es bestehen Unterschiede in der Verkehrsmittelwahl zwischen den jüngeren Älteren (70 bis 79 Jahre) und den Hochbetagten (ab 80 Jahren). Aus der Abbildung 3 geht hervor, dass der Nutzungsanteil des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) als Fahrer mit zunehmendem Alter sinkt. Jedoch erhöht sich das zu Fuß gehen von 28 Prozent bei den 70 bis 79-Jährigen auf 34 Prozent bei den über 80-Jährigen. Hochbetagte nutzen zudem häufiger den ÖPNV und weniger das Rad als jüngere Ältere. Der Anteil der MIV-Mitfahrer steigt mit dem Alter [Nobi18].
Abbildung 3: Verkehrsmittelwahl nach Altersgruppen in Prozent (Angaben in Prozent mit Rundungsdifferenzen) [eigene Darstellung nach Nobi18, S. 50]
Die Verkehrsmittelwahl (Modal Split) ist nicht nur vom Alter und Gesundheitszustand abhängig, sondern auch von anderen Faktoren, wie dem Besitz eines eigenen Pkw. So beträgt der Anteil der MIV-Nutzung an allen Wegen der über 65-Jährigen, die einen Pkw besitzen, rund 50 Prozent, wohingegen der ÖPNV von ihnen lediglich zu rund zehn Prozent genutzt wird. Ältere Personen, die keinen privaten Pkw besitzen, nutzen mit rund 30 Prozent verstärkt den ÖPNV und nur zu etwa zehn Prozent den Pkw als Mitfahrer. Beim Fußanteil der über 65-Jährigen ist zu erkennen, dass Ältere ohne Pkw häufiger zu Fuß gehen als Personen mit Pkw. Der Radanteil mit rund zehn Prozent hingegen unterscheidet sich kaum zwischen den Gruppen (siehe Abbildung 4) [DVWG11, S. 168 Abbildung 12; Ahrens10].

Entwicklung des Modal Split nach verkehrssoziologischen PersonengruppenAbbildung 4: Entwicklung des Modal Split nach verkehrssoziologischen Personengruppen [DVWG11, S. 168, Abb. 12; Ahrens10] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)

Bezüglich des Fahrverhaltens weisen ältere Autofahrer Besonderheiten auf. So wiesen [PoWh02] nach, dass diese langsamer fahren und stufenweise bremsen und beschleunigen. Buld et al. [BuHoKr06] untersuchten die fahrerische Leistung verschiedener Altersgruppen beim Auffahren auf die Autobahn im Fahrsimulator. Auch hier zeigte sich, dass ältere Kraftfahrer langsamer fahren und häufig stärker bremsen als die Testfahrer der anderen Altersgruppen.
Ältere Menschen sind auch immer weniger multimodal unterwegs. Ihr Anteil liegt bei nur 17 Prozent, während alle jüngeren Altersgruppen Werte von 32 Prozent und mehr aufweisen (siehe Abbildung 5).
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Abbildung 5: Mono- und multimodale Altersgruppen [Nobi18, S. 57]
Die Altersgruppe der 70 bis 79-Jährigen sowie die über 80-Jährigen nutzen diverse Angebote wie beispielsweise Carsharing kaum bis gar nicht (weniger als ein Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland) [Nobi18, S. 84]. Eine Ursache dafür kann die immer weiter fortschreitende Digitalisierung von Mobilitätsdiensten sein, mit der manche Hochbetagte noch nicht ganz so vertraut sind wie die jüngeren Generationen. Die Nutzung der digitalen Mobilitätsdienste sinkt ebenfalls mit dem Alter (siehe Abbildung 6). Die 70 bis 79-Jährigen setzen die digitalen Dienste einigermaßen für die Routenplanung/ Straßennavigation (23 Prozent) und Fahrplan-/ Verspätungsauskunft (14 Prozent) ein. Fahrkarten über das Internet werden nur von sechs Prozent der Altersgruppe erworben. Die Hochbetagten nutzen nur in den wenigsten Fällen die digitalen Mobilitätsdienste [Nobi18, S.124].
Abbildung 6: Nutzung digitaler Mobilitätsdienste nach Altersgruppen [eigene Darstellung nach Nobi18, S. 124]
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Mobilität älterer Menschen (Stand des Wissens: 01.03.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?399136
Literatur
[Ahrens10] Ahrens, G.-A., Ließke, F., Wittwer, R. Chancen des Umweltverbundes in nachfrageschwachen städtischen Räumen, veröffentlicht in Informationen zur Raumentwicklung, Ausgabe/Auflage Heft 7, 2010
[Ap07] Appel, L. Demografische Entwicklung und öffentlicher Personennahverkehr im ländlichen Raum, Kassel, 2007/05
[Ball98] Ball, K., Owsley, C., Stalvey, B., Roenker, D. L., Sloane, M. E., Graves, M. Driving avoidance and functional impairment in older drivers, veröffentlicht in Accident Analysis & Prevention, Ausgabe/Auflage 30 (3), 1998
[BuHoKr06] Buld, S., Hoffmann, S., Krüger, H.-P. Vergleich der fahrerischen Leistungen dreier Altersgruppen beim Auffahren auf die Autobahn, veröffentlicht in VDI-Berichte, Ausgabe/Auflage Vol. 160, Düsseldorf: VDI-Verlag, 2006
[DVWG11] Ahrens, G.-A., Ließke, F. Urbane Mobilität heute - Status quo, veröffentlicht in Ansprüche einer mobilen Gesellschaft an ein verlässliches Verkehrssystem, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, 2011, ISBN/ISSN 978-3-942488-05-1
[FlMo01] Flaschenträger, P., Mollenkopf, H. Erhaltung von Mobilität im Alter, Stuttgart, Berlin, Köln. Verlag W. Kohlhammer, 2001
[KuJa09] Kubitzki, J., Janitzek, T. Sicherheit und Mobilität älterer Verkehrsteilnehmer, München, 2009
[LaKo06] Langford, J., Koppel, S. Epidemiology of older driver crashes - Identifying older driver risk factors and exposure patterns, veröffentlicht in Transportation Research , Ausgabe/Auflage Part F, 9(5), 2006
[LyFe02] Lyman, S., Ferguson, S. A., Braver, E. R., Williams, A. F. Older driver involvements in police reported crashes and fatal crashes: trends and projections
, veröffentlicht in Injury Prevention, Ausgabe/Auflage 8, 2002
[Moll02] Mollenkopf, Heidrun Die Mobilität Älterer in städtischen und ländlichen Regionen Ost- und Westdeutschlands, veröffentlicht in Mobilität und gesellschaftliche Partizipation im Alter, Ausgabe/Auflage Band 230, Verlag W. Kohlhammer, Berlin, 2002
[Nobi18] Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (infas),, Deutsches Zentrum für Raum- und Luftfahrt (DLR),, IVT Research GmbH,, infas 360 GmbH Mobilität in Deutschland 2017 (MiD 2017) - Ergebnisbericht , 2018
[PoWh02] Porter, M., Whitton, M. J. Assessment of Driving with the Global Positioning System and Video Technology in Young, Middle-Aged, and Older Driver, veröffentlicht in Journal of Gerontology: Medical Sciences, Ausgabe/Auflage 57A(9), 2002
[Schlag08] Schlag, B. (Hrsg.) Leistungsfähigkeit und Mobilität im Alter, veröffentlicht in Reihe "Mobilität und Alter" der Eugen-Otto-Butz Stiftung , Ausgabe/Auflage Band 03, Köln Verlag TÜV Rheinland, 2008, ISBN/ISSN 978-3-8249-1151-6
Weiterführende Literatur
[Prog03] Matthes, Ulrike , Leypold, Patrick , Schumacher, Irina , et al. Kundenorientierung im ÖPNV - Maßnahmen zur Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen, 2003/07/23
[infas10] DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung, infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft Mobilität in Deutschland 2008 (MiD 2008) , 2010/02
[infas10a] DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung, infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft , Follmer, R., Gruschwitz, D., Jesske, B., Quandt, S., Lenz, B., Nobis, C., Köhler, K., Mehlin, M. Mobilität in Deutschland 2008 (MiD 2008) - Ergebnisbericht Struktur - Aufkommen - Emissionen - Trends, 2010/02
[SchBeck13] Beckmann, K. J. (Hrsg.), Boltze, M., Engeln, A., Gies, J., Ivisic, O., Johannsen, H., Moritz, J., Müller, G., Poschadel, S., Scheiner, J., Schlag, B. (Hrsg.), Schulze, C., Siegmann, J., Spellerberg, A., Stölzle, W., Topp, H., Weller, G. Mobilität und demografische Entwicklung, veröffentlicht in Reihe "Mobilität und Alter" der Eugen-Otto-Butz Stiftung , Ausgabe/Auflage Band 07, TÜV Media, TÜV Rheinland, Köln, 2013, ISBN/ISSN 978-3-8249-1757-0
Glossar
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
Carsharing
Der Begriff CarSharing stammt aus dem Englischen (car= Auto, to share= teilen) und kann sinngemäß mit der Bedeutung "Auto teilen" übersetzt werden. Er beschreibt die organisierte, gemeinschaftliche Nutzung von Kraftfahrzeugen, die meist von Unternehmen gegen Gebühr bereitgestellt werden.
Durch einen Rahmenvertrag oder eine Vereinsmitgliedschaft erhalten Kunden flexiblen Zugriff auf alle Kfz eines Anbieters. Die Fahrzeuge können über eine Webseite oder über eine Smartphone-App gebucht werden. Geöffnet werden sie in der Regel mit Hilfe von Chipkarten oder durch einen über die Smartphone-App vermittelten Zugangscode .
Bei dem System des stationsbasierten CarSharing stehen die Fahrzeuge auf reservierten Stellplätzen und werden nach der Nutzung auch wieder dorthin zurückgebracht. Ein anderes Modell ist das free-floating CarSharing. Hier stehen die Fahrzeuge in einem definierten Operationsgebiert verteilt. Sie können per Smartphone geortet werden und nach der Nutzung auf einem beliebigen Stellplatz innerhalb des Operationsgebiets zurückgegeben werden.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?396354

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 18:47:25