Kooperationen im grenzüberschreitenden Schienenpersonenfernverkehr
Erstellt am: 02.08.2012 | Stand des Wissens: 22.04.2022
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Mit Einführung des "EuroCity" durch die Bahnen der Europäischen Gemeinschaft sowie der Schweiz und Österreich im Jahr 1987 begann eine bis heute andauernde Tradition der Kooperation zwischen den nationalen Eisenbahnunternehmen im grenzüberschreitenden Verkehr [Zöll11, S. 7 ff.; LaWe89, S. 631].
Durch Umsetzung der Richtlinie 2007/58/EG (Entwicklung von Eisenbahnunternehmen sowie Zuweisung von Fahrwegkapazitäten und Entgelterhebung für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur) Anfang 2010 wurde die Liberalisierung des Schienenpersonenfernverkehrsmarkts in der EU ermöglicht, was den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) grenzüberschreitende Verkehre inklusive Zwischenhalten in allen Mitgliedsländern erlaubt. Die nationalen Behörden können das Recht auf Zwischenhalte jedoch einschränken, wenn dies gemeinwirtschaftliche Verkehre gefährdet. Von diesem Recht haben italienische Behörden Gebrauch gemacht, nachdem die DB Fernverkehr AG gemeinsam mit der ÖBB-Personenverkehr AG und einem italienischen Partner eine Verbindung zwischen München und Mailand einsetzen wollte. Zwischenhalte in Norditalien wurden ihnen verwehrt. [Tiem10, S. 4 ff.]
Kooperationsstrategien und -beispiele
Obwohl der Deutsche Bahn AG Konzern (DB AG) die seitens der EU vorangetriebene Liberalisierung des Eisenbahnmarktes begrüßt (vergleiche [Tiem10, S. 11]), sieht er auch weiterhin Vorteile in der Kooperationen mit regionalen EVU gegenüber der Erbringung einer vollständig eigenen Verkehrsleistung. Diese liegen insbesondere darin, dass für das operierende Unternehmen umfassende Maßnahmen für das örtliche Notfall- und Sicherheitsmanagement sowie der Personalschulung anfielen. Im Rahmen einer Kooperation kann jedoch auf die vorhandene Infrastruktur und Personal der Partner zurückgegriffen werden. [Zöll11, S. 7 ff.] Der überwiegende Anteil der circa 220 internationalen Verbindungen in 150 europäische Städte, welche die DB Fernverkehr AG täglich anbietet, werden in Form von Kooperationen mit heimischen EVU durchgeführt (unter anderem mit der DSB, der ÖBB und der SBB) [Ueck14; DBAG17m]. Die DB AG plant jedoch weiterhin auch eigenwirtschaftliche Verkehre nach London, welche in Konkurrenz zu den Eurostar-Zügen stehen würden. Dessen Betreiber, die Eurostar International Limited (Eurostar), befindet sich in Besitz der Société Nationale des Chemins de fer Francais (SNCF), der Société Nationale des Chemins de fer Belges (SNCB) und des britischen Staates [Tiem10, S. 7 f.; EIL12; DVVM09]. Auch sollen bis zum Jahr 2024 anhand der bestehenden Kooperationen zwischen DB AG, SNCF, ÖBB-Holding AG (ÖBB) und Schweizerische Bundesbahnen (SBB) weitere Nightjet-Verbindungen geplant werden [DBAG20j].
Die Allianz Railteam wurde im Sommer 2007 von zahlreichen großen Bahnen Europas (DB AG, SNCF, SNCB, NS International, ÖBB, SBB, Eurostar UK sowie deren Tochtergesellschaften Thalys und Lyria) gegründet. Der Verbund hat das Ziel, einzelne Bahnangebote besser zu vernetzen sowie Reisen in Hochgeschwindigkeitszügen für die Kunden noch einfacher und komfortabler zu gestalten (Information, Fahrkartenkauf etc.). Die Kooperation ist bewusst als Gegenpol zu den Angeboten des Luftverkehrs ausgerichtet und soll die Wettbewerbsposition auf Strecken konkurrenzfähiger Reisezeiten verbessern. [Raus07, S. 7; DBAG07u]
Ein Beispiel für eine gescheiterte Kooperation und gegenseitige Beteiligungen (Joint-Ventures, Konsortien et cetera) war der DB AG-seitige Kauf von zehn Prozent des Stammkapitals der Bahngesellschaft Thalys International. Die weiteren Anteile an diesem grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeitsverkehrsangebot zwischen Amsterdam, Köln und Brüssel hielten die französische Bahn SNCF (mehrheitliche Beteiligung) und die belgische SNCB [DBAG07ad]. Im Dezember 2011 ist die DB AG jedoch aus dem Gemeinschaftsunternehmen wieder ausgetreten und hat in diesem Zusammenhang auch den Vertrieb von Thalys-Fahrkarten durch ihre Verkaufsstellen eingestellt [HaKo13, S. 108; DBAG13g; Pring13, S. 356].
Als ein weiteres, unglückliches Beispiel einer internationalen Koordination kann die Einführung des "Premiumprodukts" Fyra im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) zwischen Amsterdam und Brüssel betrachtet werden, das im Dezember 2012 die Mehrzahl der bestehenden Direktverbindungen zwischen den beiden Städten ersetzte. Auf Grund nicht nachfragegerechter Gestaltung (komplizierte und teure Tarife, neue Reservierungspflicht, ungünstige Halte, schlechter Laufweg) und massiver Probleme mit den eingesetzten Fahrzeugen musste das Gemeinschaftsangebot der SNCB und der niederländischen NS bereits zwei Monate später beendet werden. Dies hat bei den beteiligten Verkehrsunternehmen Schaden in Millionenhöhe durch ausbleibende Fahrgeldeinnahmen, Entschädigungszahlungen an Fahrgäste sowie die Bereitstellung von Ersatzzügen verursacht. [Bien13, S. 180 f.; Ferr13, S. 30 f.; Vosm13, S. 348]
Wettbewerbsverzerrung durch Kooperationen
Die Kooperationen wirken sich, wie in den Berichten der Monopolkommission dargestellt ist, auf zweierlei Weise wettbewerbshemmend aus:
- Durch die Abgabe von Angeboten kooperierender EVU können diese Wettbewerbsvorteile nutze, welche Einzelbewerbern nicht zur Verfügung stehen.
- An internationalen Kooperationen beteiligte nationale Staatsbahnen vermeiden in der Regel die direkte Konfrontation (Markteintritt) mit den einzelnen Kooperationspartnern auf deren nationalen Märkten.
In diesem Zusammenhang konstatierte die Monopolkommission 2009: "Vieles spricht deshalb eher für eine Gebietsaufteilung und gegen baldigen Wettbewerb der Staatsbahnen untereinander." [MON09, S. 56] Entsprechende Aussagen sind auch in Wettbewerbsberichten des Netzwerks Privatbahnen zu finden [HoBe09, S. 15; HoBe11, S. 122]. Die gegenwärtige Entwicklung auf dem Markt des grenzüberschreitenden SPFV bekräftigt diese Prognosen.