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Knappheitsbepreisung nach Pigou

Erstellt am: 14.04.2012 | Stand des Wissens: 25.09.2024

Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics

Die Erhebung von Straßennutzungsgebühren zur Reduzierung von Staus lässt sich auf die Theorie von Arthur Cecil Pigou (1877-1959) zurückführen. Diese Theorie wurde ursprünglich auf den Verkehrssektor angewandt, bevor sie auch für die Internalisierung externer Effekte in anderen Sektoren genutzt wurde. Der Ansatz von Pigou besagt, dass durch die Erhebung einer Staugebühr das Verhalten der Verkehrsteilnehmer in solch einer Weise geändert werden kann, dass die volkswirtschaftlich optimale Verkehrsnachfrage erreicht wird [Puls09, BMBF21c].

Es wird angenommen, dass alle Verkehrsteilnehmer homogen sind und individuell rational handeln. Sie nutzen diejenige Route, mit der sie ihre privaten Durchschnittskosten minimieren können. Ab einer bestimmten Verkehrsstärke behindern sich die Fahrzeuge gegenseitig. Jedes hinzukommende Fahrzeug reduziert die Reisegeschwindigkeit der bereits vorhandenen Fahrzeuge und verursacht für diese einen höheren Zeitaufwand. Das hinzukommende Fahrzeug berücksichtigt in seiner Entscheidung zum Fahrantritt nur seine privaten Durchschnittskosten, nicht aber die zusätzlichen Zeitkosten, die er anderen Fahrzeugen durch seine Teilnahme anlastet. Diese zusätzlichen Zeitkosten werden auch als externe Staukosten bezeichnet. Ab einem bestimmten Punkt weichen die sozialen Grenzkosten von den privaten Durchschnittskosten ab. Durch die fehlende Anrechnung der externen Staukosten entsteht ein Marktgleichgewicht mit einer überoptimalen Verkehrsstärke und einem hohen Stauaufkommen. Pigous Theorie besagt, dass eine Straßennutzungsgebühr erhoben werden sollte, die die privaten Durchschnittskosten um die verursachten zusätzlichen Staukosten erhöht. Folglich wird im Ergebnis eine wohlfahrtsoptimale (niedrigere) Verkehrsstärke mit einem wohlfahrtsoptimalen Stauniveau auf dem Markt entstehen [Roth06, Puls09].
Das Modell der Pigou Steuer berücksichtigt jedoch folgende Probleme nicht [Roth06]:
  • Zur Bestimmung der optimalen Steuer sind Informationen über die optimale Verkehrsstärke notwendig, die nicht beobachtbar sind. Wird stattdessen die beobachtbare Verkehrsstärke als Grundlage zur Erhebung der Pigou-Steuer verwendet, so wäre die erhobene Steuer zu hoch.
  • Die Vermeidung des Wohlfahrtsverlustes geschieht ohne Berücksichtigung der dadurch entstehenden Kosten. Bei der Erhebung der relativ hohen Steuereinnahmen entstehen Transaktionskosten, die möglicherweise höher sind, als der vermiedene Wohlfahrtsverlust.
  • Mit der Erhebung einer Staugebühr können vielfältige Reaktionen der Verkehrsnachfrage verbunden sein, die in diesem Modell nicht berücksichtigt werden (zum Beispiel Routenänderung, Wahl des Wohnortes, Wechsel des Verkehrsmittels).
Ansprechperson
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Erhebung von Staugebühren zum Management knapper Kapazitäten (Stand des Wissens: 26.09.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?388207
Literatur
[BMBF21c] Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) Was Umweltschäden jährlich kosten und wie diese Kosten Steuern fairer machen könnten, 2021/06/01
[Puls09] Puls, T. Externe Kosten am Beispiel des deutschen Straßenverkehrs - ökonomisches Konzept, politische Relevanz, praktische Möglichkeiten und Grenzen, 2009
[Roth06] Rothengatter, Werner Wettbewerb in Netzen, vorlesungsbegleitendes Skript Sommersemester 2007, 2006
Weiterführende Literatur
[RoKa22] Roolfs, Christina, Kalkuhl, Matthias, Edenhofer, Ottmar, Haywood, Luke, Heinemann, Maik, Bekk, Anke, Flachsland, Christian, George, Jan, Held, Anne, aus dem Moore, Nils, Luderer, Gunnar, Kellner, Maximilian , Koch, Nicolas , Nikodinoska, Dragana, Pahle, Michael, Schill, Wolf-Peter, Amberg, Maximilian, Bergmann, Tobias, Meyer, Henrika Reformoptionen für ein nachhaltiges Steuer- und Abgabensystem. Wie Lenkungssteuern effektiv und gerecht für den Klima- und Umweltschutz ausgestaltet werden können, veröffentlicht in Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Ausgabe/Auflage Jahrgang 23, Ausgabe 3, 2022, Online-Referenz doi:10.1515/pwp-2021-0051, ISBN/ISSN 1468-2516
Glossar
Verkehrsstärke
Die Verkehrsstärke ist eine Kennzahl für die Stärke eines Verkehrsstroms an einem Querschnitt, gemessen in der Anzahl der Verkehrseinheiten, die diese Stelle pro Zeiteinheit passieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von Streckenbelastung, wenn sich die Quantifizierung des Verkehrsstroms alternativ auf einen betrachteten Streckenabschnitt und nicht auf einen Querschnitt bezieht.
Verkehrsstärke = Verkehrseinheiten am Querschnitt / Bezugsperiode
Gebräuchliche Einheiten für die Verkehrsstärke sind z. B. Fahrzeuge [Fzg] pro Tag [24h] oder Stunde [h] (z. B. durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke, kurz DTV [Fzg/24h])
Grenzkosten
Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes bezeichnen die zusätzlichen Kosten, die für den Einsatz jeweils einer zusätzlichen Faktoreinheit entstehen oder anders ausgedrückt: sie bezeichnen die Kosten der jeweils "letzten" Faktoreinheit. Da nur die variablen Kosten sich verändern, gehen auch nur diese in die Grenzkosten ein. Fixe Kosten werden nicht berücksichtigt.
Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes entsprechen im allgemeinen, das heißt bei proportionalen variablen Kosten, den variablen Durchschnittskosten. Weist jedoch die Funktion der variablen Kosten einen diskontinuierlichen Verlauf auf, weil beispielsweise ab einer bestimmten Grenze variable Abschreibungen entstehen, dann müssen die variablen Kosten der letzten Faktoreinheit zur Bestimmung der Grenzkosten herangezogen werden.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?387284

Gedruckt am Sonntag, 23. Februar 2025 09:58:28