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Das Schienennetz der Bundesrepublik Deutschland

Erstellt am: 24.08.2011 | Stand des Wissens: 07.11.2019
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Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Mit gut 42.200 Kilometer Betriebslänge (Angabe für 2015, Summe für alle Eisenbahninfrastrukturunternehmen) verfügt die Bundesrepublik Deutschland über das längste Schienennetz innerhalb der Europäischen Union [BMVI17q,; EUKOM13b, DESTATIS17ba]. Ausgehend von durch Friedrich List und Carl Grote entwickelten Konzeptionen wurde 1835 die erste Eisenbahnstrecke auf deutschem Gebiet eröffnet; bereits gut fünfzig Jahre später war ein Schienennetz von ausgeprägtem Flächenerschließungsgrad realisiert. Insbesondere seit der Einleitung der Bahnreform 1994 ergab sich aufgrund zahlreicher Streckenstilllegungen jedoch eine nennenswerte Reduktion der Gesamtnetzlänge um mehrere tausend Kilometer [EBA13; BMVBW04r, S. 7]. Damit fand die schon vor der Wiedervereinigung in der Bundesrepublik zu verzeichnende Entwicklung hin zu einer Betriebseinstellung auf wenig frequentierten Strecken ihre Fortsetzung.

Angesichts seiner systemspezifischen Relevanz für eine sichere und zuverlässige Verkehrsabwicklung ist dem baulichen Zustand der vorhandenen Schienenverkehrsinfrastruktur besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Vor diesem Hintergrund wird zwischen Oberbau-, Untergrund-, Brücken- und signaltechnischen Mängeln unterschieden. Der jährlich durch den Deutsche Bahn AG Konzern zu erstellende Infrastrukturzustands- und Entwicklungsbericht weist 578 entsprechende Mängel für das Jahr 2016 aus. Dies entspricht einer Reduktion um etwas mehr als ein Drittel gegenüber Vorjahr (786 Mängel). Die zur Behebung der Mängel notwendige sogenannte Störbestehenszeit betrug 2016 10,3 Millionen Minuten (+ 6,2 Prozent gegenüber 2015). Gleiches gilt auch für die Gesamtanzahl der auftretenden Störungen, die 2016 leicht auf den Wert von 190.266 pro Jahr stieg (+ 1,6 Prozent gegenüber 2015). Das Alter der Gleise und Weichen beträgt in Deutschland etwa 20 Jahre und ist seit langem konstant geblieben. Bei den Brücken beträgt im Jahr 2016 das durchschnittliche Alter 57 Jahre, was seit vielen Jahren erstmals eine leichte Verjüngung des Alters bedeutet. [DBAG17d, S. 19][DBAG17d, S. 19]

Die größte Herausforderung hinsichtlich Betrieb und Unterhalt des Schienennetzes ergibt sich aus der prognostizierten zukünftigen Verkehrsbelastung. Bereits heute wird eine stark heterogene Aufkommensverteilung verzeichnet. Diese führt insbesondere auf einzelnen Hauptabfuhrstrecken wie vor allem der Nord-Südkorridor von Hamburg-Hannover / Bremen-Hannover und weiter über Fulda-Frankfurt-Mannheim nach Basel und der Verbindung Frankfurt-Nürnberg-Passau bereits heute zu Vollauslastungen beziehungsweise Kapazitätsengpässen auf einigen Streckenabschnitten, siehe Abbildung 1. Verkehrsprognosen, speziell mit Blick auf Hafenhinterlandtransporte, sagen eine erhebliche Steigerung der Trassennachfrage voraus. So erwartet das Bundesverkehrsministerium ( bis zum Jahr 2030 ein Wachstum des Schienenpersonenverkehrs um 19,2 Prozent gegenüber dem Jahr 2010. [BMVI16d, S. 56] Im selben Zeitraum wird für den Schienengüterverkehr eine Steigerung von 42,9 Prozent prognostiziert, wodurch die schon heute hoch belasteten Strecken ihre Leistungsfähigkeitsgrenze erreichen könnten [BMVI16d, S. 55ff.].
359036_ Bezugsfall_Schiene.PNGAbbildung 1: Engpassanalyse Schiene - Bezugsfall Bundesverkehrswegeplan 2030 [BMVI16d, S. 20]

Mit Hilfe eines zeitgerecht realisierbaren Wachstumsprogramms, welches das bereits in seiner Umsetzung befindliche Sofortprogramm Seehafen-Hinterland-Verkehr II ergänzt, strebt die DB Netz AG kurz- bis mittelfristige Infrastrukturkapazitätserweiterungen an, die dazu dienen sollen, die prognostizierten Aufkommenssteigerungen in vollem Umfang abwickeln zu können. Neben der Modifikation relevanter Knoten steht hierbei in erster Linie ein nachfragegerechter Ausbau alternativer Laufwege im Vordergrund, um betreffende Verkehrsströme besser auf das vorhandene Schienennetz zu verteilen [DBAG11c, S. 24ff.]. Darüber hinaus befinden sich gegenwärtig zahlreiche weitere Neu- und Ausbauprojekte im Realisierungs- oder Planungsstadium, wobei die Priorisierung entsprechender Vorhaben gemäß dem Bedarfsplan für die Bundesschienenwege erfolgt (vergleiche [BSWAG, Anlage (zu § 1)]). Eine umfassende Aufstellung der jeweiligen Projektfortschritte findet sich in [BMVI16d, S. 155-170]. Anhand der Kriterien "Verkehrliche Effekte", "Umweltwirkungen", "wirtschaftliche Effekte" und "raumordnerische Belange" wurde die Gesamtinvestitionssumme des Bundesverkehrswegplans auf die einzelnen Verkehrsträger verteilt. Bis 2030 fließen Aus- und Neubaumittel in Höhe von 26,7 Milliarden Euro in den Verkehrsträger Schiene und 58,4 Milliarden Euro werden in die Erhaltung des Schienennetzes investiert.
Neben dem Ziel, ergänzende Kapazitäten für vermehrte Zugbewegungen zu schaffen, tragen Infrastrukturvorhaben häufig der Maßgabe nach verkürzten Reisezeiten im Personenverkehr Rechnung. Überdies bietet sich im Rahmen betreffender Projekte die Möglichkeit, konstruktive Verfahren anzuwenden, welche die Verfügbarkeit erneuerter Fahrwegabschnitte signifikant erhöhen. Sowohl planmäßige Verkehrsbeeinträchtigungen aufgrund regulärer Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten als auch nicht vorhersehbare, störungsbedingte Streckensperrungen können somit reduziert werden, was eine verlässlichere Betriebsabwicklung ermöglicht [Beck11].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Das Schienennetz der Bundesrepublik Deutschland (Stand des Wissens: 19.07.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?359042
Literatur
[Beck11] Beck, Andreas Lang lebe die Schiene, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen (Einleger "Infrastruktur Spezial"), Ausgabe/Auflage 03/2011, DVV Media Group GmbH / Hamburg , 2011/03, ISBN/ISSN 0020-9511
[BMVBW04r] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin Verkehr in Zahlen 2004/2005, Deutscher Verkehrs-Verlag GmbH Hamburg, 2004, ISBN/ISSN 3-87154-315-2 (Buch und CD-ROM)
[BMVI16d] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) Bundesverkehrswegeplan 2030, Ausgabe/Auflage März 2016, Berlin, 2016/03
[BMVI17q] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehr in Zahlen 2017/2018, Ausgabe/Auflage 46. Jahrgang, 2017, ISBN/ISSN ISBN 978-3-87154-617-4
[DBAG11c] o. A. Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung - Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht 2010, 2011/04
[DBAG17d] Deutsche Bahn AG Konzern (Hrsg.) Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung - Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht 2016, 2017/09
[DESTATIS17ba] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Statistisches Jahrbuch 2017, 2017
[EBA13] o. A. Liste der stillgelegten (DB-) Strecken (seit 01.01.1994), 2013/07/08
[EUKOM13b] EUROSTAT Eisenbahnverkehr - Länge der Linien - nach Geschwindigkeit, 2013/05/14
Weiterführende Literatur
[DBAG08p] o. A. Sofortprogramm Seehafen-Hinterland-Verkehr: Eine gute Investition in die Zukunft., Frankfurt (Main), 2008/10
[BiMa10] Birn, Kristina, Dr., Mann, Hans-Ullrich, Pohl, Michael, Überprüfung des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege - Abschlussbericht, Freiburg / München, 2010/11/29
[Bund20] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehrsinvestitionsbericht für das Berichtsjahr 2018, 2020/08
[BSWAG] Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (Bundesschienenwegeausbaugesetz)
Glossar
Eisenbahninfrastrukturunternehmen Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) ist ein Rechtsbegriff des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). Gemäß § 2 Abs. 1 AEG sind Eisenbahninfrastrukturunternehmen öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen die eine Eisenbahninfrastruktur betreiben.
Schienengüterverkehr
Unter Schienengüterverkehr (SGV) wird der Transport von Gütern mit der Eisenbahn verstanden. Diese werden in Güterzügen unter Verwendung (spezieller) Güterwagen befördert. Diese Verkehre können entweder auf gesonderten Güterverkehrsstrecken oder im Mischverkehr, auf gemeinsam durch den Güter- und Personenverkehr genutzten Strecken, realisiert werden. Leistungen des Schienengüterverkehrs werden häufig als Teil einer Logistikkette in logistische Gesamtkonzepte eingebunden.
Hinterland Das Hinterland eines Seehafen ist das landeinwärts hinter dem Hafen liegende Territorium, welches durch die Herkunfts- und Bestimmungsorte der im Hafen abzufertigen Güter und Passagiere begrenzt wird. Seine Grenzen hängen von den Hinterlandverkehrsanbindungen ab und variieren nach Gutarten, den Umschlagkapazitäten, dem Schiffstyp und der Verkehrsinfrastruktur. Das Vorland eines Seehafens ist das seewärts vor dem Hafen liegende Territorium, welches durch die überseeischen Herkunfts- und Bestimmungsorte der Güter begrenzt wird.
Bundesverkehrswegeplan
Als Instrument einer mittel- bis langfristigen Investitionsrahmenplanung für den Erhalt und Ersatz bundeseigener Verkehrsinfrastruktur erfasst der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) das zwecks zielgerichteter Ausgestaltung sowie Erweiterung von Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und Schienenwegen des Bundes erforderliche Finanzierungsvolumen. Auf Basis verkehrsträgerübergreifender Prognosen findet in diesem Zusammenhang eine Priorisierung vorgesehener Neu- und Ausbauprojekte gemäß ihrer gesamtwirtschaftlichen Bewertung sowie ökologischer und raumordnerischer Einschätzungen statt. Grundsätzlich wird infolgedessen zwischen "vordinglichem Bedarf" (VB) und "weiterem Bedarf" (WB) unterschieden.

Der BVWP tritt auf Beschluss des Bundeskabinetts in Kraft und umfasst jeweils einen Zeithorizont von circa zehn bis 15 Jahren. Seit 1973 sind bereits sechs konsekutive Verkehrswegepläne verabschiedet worden. Der letzten, dem Jahr 2016 entstammenden Fortschreibung liegt ein Planungszeitraum bis 2030 und ein Investitionsvolumen in Höhe von 269,6 Milliarden Euro zugrunde, siehe auch gesonderte Wissenslandkarte "Bundesverkehrswegeplanung" hier im Forschungsinformationssystem.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Eisenbahninfrastrukturunternehmen
Zur Erhaltung des Schienennetzes zählen Maßnahmen zur Instandhaltung und für die Durchführung von Ersatzinvestitionen. Grundsätzlich tragen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen die dabei anfallenden Kosten, werden aber nach der LuFV vom Bund mit einem bestimmten Betrag jährlich unterstützt.
Störbestehenszeit Unter Störbestehenszeit wird jene Dauer verstanden, welche vom Zeitpunkt des Auftretens einer Störung bis zur Freigabe der Anlage nach erfolgter Entstörung vergeht. Die Summe der Störbestehenszeiten betrieblich relevanter Störungen ist eine der Qualitätskennzahlen, die zur objektiven Messung des qualitativen Zustandes des deutschen Schienennetzes verwendet werden.
Laufweg Der Laufweg eines Zuges stellt den geografischen Fahrtverlauf auf einer konkreten Strecke bzw. Infrastruktur während einer Zugfahrt dar.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?359036

Gedruckt am Samstag, 3. Juni 2023 09:31:31