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Die Ausbaustrecke Emmerich - Oberhausen als Beispiel aktueller Infrastrukturprojekte im deutschen Schienennetz

Erstellt am: 13.07.2011 | Stand des Wissens: 25.07.2019
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky

Mit der sogenannten Betuwe-Route haben die Niederlande eine für den Hinterlandverkehr des Rotterdamer Hafens bedeutende Schienenverbindung geschaffen, welche im Jahr 2007 ihren Betrieb aufnahm und über Zevenaar an die Grenze der Bundesrepublik führt. Die auf deutscher Seite an den technisch fortschrittlich ausgestatteten Infrastrukturabschnitt anschließende Strecke stößt jedoch aufgrund hoher Verkehrsnachfrage an ihre Kapazitätsgrenzen. Eine Ausbaunotwendigkeit des 72,6 Kilometer langen Abschnittes zwischen Emmerich und Oberhausen begründet sich vorrangig aus seiner Funktion als Teil des TEN-Korridors A, welcher Rotterdam über das Ruhrgebiet und Süddeutschland mit Genua verbindet (siehe Abbildung 1). Darüber hinaus wird die betreffende Strecke durch internationale Hochgeschwindigkeitsschienenverkehrsangebote genutzt. Die laut [IcMa07] prognostizierte Güterverkehrszunahme, welche nicht zuletzt auf wachsendem Containertransport beruht, tangiert zu Häfen führende Strecken in besonderem Maße, weshalb das Ausbauprojekt Emmerich - Oberhausen im Rahmen des Masterplans Schiene Seehafen-Hinterland-Verkehr als essentielles Infrastrukturvorhaben identifiziert wurde [DBAG07n, S. 11]. Ein geplanter dreigleisiger Ausbau soll in Kombination mit Entwurfsgeschwindigkeiten von 200 km/h auf freier Strecke, 130 km/h im Knotenbereich Oberhausen und 160 km/h im Knotenbereich Wesel Fahrzeitreduktionen von sieben Minuten ermöglichen. Leistungsfähigkeitsgewinne lassen sich zudem durch eine betriebliche Qualitätssteigerung aufgrund von Entmischung langsamerer Güter- und schnellerer Personenverkehre erzielen. Das 1992 auf Basis der sogenannten Warnemünder Vereinbarung beschlossene Projekt zur Verbesserung des deutsch-niederländischen Schienengüter- und -personenverkehrs verursacht Gesamtkosten in Höhe von 1342 Millionen Euro, wovon 954 Millionen Euro durch das Bundesschienenwegeausbaugesetz und weitere Investitionsanteile seitens des Landes Nordrhein-Westfalen getragen werden [DeBu11a, DBAG10s].
Abbildungen des Korridors A des Transeuropäischen Netzes mit Teilabschnitt Emmerich - Oberhausen finden sich in [DBAG17e].

Im Detail resultiert die erwähnte Qualitäts- und Kapazitätssteigerung zunächst aus einer Einführung moderner Leit- und Sicherungstechnik auf bestehender Strecke in Verbindung mit dem Bau eines neuen elektronischen Stellwerkes (ESTW). Darüber hinaus kann mit Hilfe einer Blockverdichtung die betriebliche Leistungsfähigkeit weiter erhöht werden. Durch Realisierung der geplanten zweigleisigen, höhenfreien Verbindungskurve Sterkrade-Oberhausen-Grafenbusch lassen sich ferner auftretende Fahrstraßenkonflikte minimieren und somit einfädelungsbedingte Behinderungen einzelner Zugpaare verringern. Insgesamt werden 46 Streckenkilometer durch ein drittes Gleis ergänzt, ein dreigleisiger Neubau findet auf 22 Kilometer statt und drei Kilometer sind mit zwei weiteren Gleisen auszubauen. Betriebliche Planungen sehen vor, Züge des Nah- und Güterverkehrs auf den äußeren Fahrwegen zu führen, während Fernverkehrsangebote in Mischung mit weiteren Güterverkehrstrassen über das mittlere Gleis abgewickelt werden. Mit der Inbetriebnahme des dritten Gleises ist darüber hinaus eine Verbesserung des Lärmschutzes zum Beispiel durch aktive Schallschutzmaßnahmen in Form von Schallschutzwänden vorgesehen. [DeBu10a, S.128; DBAG10s; DBAG12r].
Gemäß [DBAG12r] ging das Elektronische Stellwerk Emmerich im Herbst 2012 in Betrieb. Bis 2013 wurde die Strecke mit dem Zugleitsystem ETCS ausgestattet [DBAG17e]. Im Anschluss konnte die leistungsfähigkeitssteigernde Blockverdichtung vollständig umgesetzt werden. Im März 2017 das Rettungskonzept für die Ausbaustrecke vorgestellt. Dieses beinhaltet die Bereitstellung von Löschwasser und -pumpen sowie Zuwegungen in ausreichendem Maß [DBAG17f, Seite 4]. Bei allen Planfestellungsabschnitten die Einwendungsfrist abgelaufen ist. Die Einwände werden nun geprüft. Für einen Abschnitt liegt der Planfeststellungsbeschluss schon vor [DBAG17e].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Aktuelle Bauprojekte im deutschen Schienennetz (Stand des Wissens: 07.11.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?359045
Literatur
[DBAG07n] o.A. Masterplan Schiene, Seehafen-Hinterlandverkehr, Berlin, 2007/08/27
[DBAG10s] o. A. Ausbaustrecke Emmerich-Oberhausen - Bindeglied für Europa, 2010/03
[DBAG12r] Deutsche Bahn AG Konzern (Hrsg.) Frequently asked questions (FAQ): Ausbau der Strecke Emmerich-Oberhausen, 2012/05
[DBAG17e] DB Netz AG (Hrsg.) Ausbaustrecke Emmerich Oberhausen , 2017
[DBAG17f] DB Netz AG (Hrsg.) Newsletter Emmerich Oberhausen (02/2017), veröffentlicht in NEO - Newsletter Emmerich-Oberhausen, Ausgabe/Auflage 02/2017, 2017/07
[DeBu10a] Bundesregierung Verkehrsinvestitionsbericht 2009 (Berichtsjahr 2008), 2010/01/14
[DeBu11a] o. A. Verkehrsinvestitionsbericht 2010 (Berichtsjahr 2009), 2011/03/01
[IcMa07] Ickert, L., Matthes, U., Rommerskirchen, S., Weyand, E., Schlesinger, M., Limbers, J. Abschätzung der langfristigen Entwicklung des Güterverkehrs in Deutschland bis 2050, Basel/Berlin, 2007/05/31
Weiterführende Literatur
[DBAG10r] o. A. Ausbau der Eisenbahnstrecke Emmerich-Oberhausen - Verkehrliche Bedeutung der Strecke, 2010/07/01
Glossar
Ausbaustrecke Als Ausbaustrecken (ABS) werden im Bereich des spurgebundenen Verkehrs bestehende Netzabschnitte bezeichnet, die mittels umfangreicher Baumaßnahmen für höhere Kapazitäten und / oder Geschwindigkeiten ertüchtigt wurden. Häufig findet der Begriff im Zusammenhang mit für den Einsatz von Neigetechnikfahrzeugen angepassten Strecken Verwendung. Durch eine geeignete bauliche Auslegung des Fahrweges ermöglicht dieses System entsprechend ausgestatteten Triebwagen schnellere Gleisbogendurchfahrten, m. a. W. höhere Kurvengeschwindigkeiten.
Hinterland Das Hinterland eines Seehafen ist das landeinwärts hinter dem Hafen liegende Territorium, welches durch die Herkunfts- und Bestimmungsorte der im Hafen abzufertigen Güter und Passagiere begrenzt wird. Seine Grenzen hängen von den Hinterlandverkehrsanbindungen ab und variieren nach Gutarten, den Umschlagkapazitäten, dem Schiffstyp und der Verkehrsinfrastruktur. Das Vorland eines Seehafens ist das seewärts vor dem Hafen liegende Territorium, welches durch die überseeischen Herkunfts- und Bestimmungsorte der Güter begrenzt wird.
ETCS
Standard eines EU-weit harmonisierten Zugbeeinflussungssystems, welches im Falle einer entsprechenden Streckeninfrastrukturausstattung und Fahrzeugertüchtigung die unterbrechungsfreie Durchführung grenzüberschreitender Schienenverkehre ermöglicht, ohne zu diesem Zweck das triebfahrzeugseitige Mitführen unterschiedlicher, auf nationaler Ebene verwendeter Systemkomponenten vorauszusetzen.

Mit Hilfe von Zugbeeinflussungssystemen lassen sich auf dem Streckennetz stattfindende Fahrten beispielsweise hinsichtlich einer Einhaltung erlaubter Höchstgeschwindigkeiten oder der Befolgung signalisierter Befehle überwachen, um gegebenenfalls automatische Schutzreaktionen auszulösen. So können etwa Triebfahrzeuge, welche ein Halt zeigendes Signal überfahren, selbsttätig zum Stillstand gebracht werden.

In Zukunft wird der automatische Zugbetrieb (Automatic Train Operation, ATO) auf Grundlage des ECTS gebaut.
Leit- und Sicherungstechnik
Unter dem Begriff der Leit- und Sicherungstechnik (LST) werden technische Maßnahmen zusammengefasst, die getroffen werden, um einen sicheren, meist signalgeführten Eisenbahnbetrieb durchzuführen. Sie regelt die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den Anlagen, den Signalen und den Fahrzeugen, die zur sicheren Durchführung von Zug- und anderen Fahrten notwendig sind. Wichtigster Bestandteil der LST ist die Stellwerkstechnik, mit Hilfe derer das Stellen von Weichen und Signalen sowie die Sicherung von Fahrstraßen erfolgt. Zur LST gehört auch die Zugbeeinflussung (z. B. PZB, LZB, ETCS).
Entwurfsgeschwindigkeit
Die Entwurfsgeschwindigkeit ve ist beim Entwurf von Verkehrswegen ein Richtwert, der zur bautechnischen Bemessung der Wegführung bestimmt wird. Die Entwurfsgeschwindigkeit beeinflusst verschiedene Parameter wie zum Beispiel Kurvenmindestradius, Längs- und Querneigung, Höchstlänge von Geraden, Klothoidenparameter und Kuppen- und Wannenmindesthalbmesser.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?357069

Gedruckt am Samstag, 3. Juni 2023 16:42:51