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Die Neu- und Ausbaustrecke Karlsruhe - Basel als Beispiel aktueller Infrastrukturprojekte im deutschen Schienennetz

Erstellt am: 13.07.2011 | Stand des Wissens: 10.02.2021
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky

Im Bundesverkehrswegeplan 2003 und auch in den nachfolgenden BVWP wird das Projekt Neu- und Ausbaustrecke (NBS / ABS) Karlsruhe - Basel als "vordringlicher Bedarf" bewertet. Mit einer Gesamtlänge von 183 Kilometer wird es auf Europas wichtigstem, von Rotterdam über Köln und Basel nach Genua führenden Güterverkehrskorridor und einer der meist befahrenen Magistralen der Bundesrepublik Deutschland realisiert [BMV03a, S. 24, 54 und 76]. Die Kapazitätsengpassbeseitigung auf der sogenannten "Rheintalbahn" als Teilabschnitt des Rhein-Alpen Korridors des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) erhält somit von Seiten der Europäischen Union besondere Unterstützung. Nicht zuletzt angesichts des prognostizierten Mehrverkehrs auf der genannten Achse sollen mit Hilfe der Baumaßnahmen sowohl qualitäts- als auch leistungsfähigkeitssteigernde Effekte realisiert werden. Eine Verkürzung der Reise- und Transportzeiten findet in diesem Zusammenhang ebenso Berücksichtigung wie Kapazitätsengpassbeseitigungen durch eine Entmischung von langsamerem Nah- beziehungsweise Güterverkehr und schnellerem Fernverkehr. Gegenseitige Beeinträchtigungen aufgrund unterschiedlicher Fahrgeschwindigkeitsprofile lassen sich hierdurch in effektiver Weise reduzieren. [DBAG12z, S. 6 f.; DeBu10a, S. 94; Huda13, S. 12 ff.]
Der 1996 geschlossene bilaterale Staatsvertrag von Lugano verpflichtet Deutschland zu einem Neu- und Ausbau des relevantesten nördlichen Zulaufs für die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT). In Verbindung mit dem bereits fertiggestellten Lötschbergtunnel auf schweizer Seite und dem ebenso fertig gestellten Gotthard-Basis-Tunnel zwischen der Schweiz und Italien leistet der Neu- und Ausbau einen erheblichen Beitrag zur Leistungsfähigkeitssteigerung des Schienengüterverkehrs (SGV) auf der zentraleuropäischen Nord-Süd-Achse. [DBAG12z, S. 4; DeBu10a, S. 94, BAV15]
Linienführung und Bauwerke
Realisiert werden soll das Projekt durch den Bau zweier parallel zur bestehenden Rheintalbahn verlaufender Gleise von Karlsruhe bis Kenzingen, durch eine neu angelegte, von Kenzingen nach Heitersheim / Buggingen verlaufende Umgehungsstrecke für den SGV westlich Freiburgs sowie durch eine Untertunnelung des Katzenberges. Der neu zu erstellende Abschnitt misst eine Länge von 50 km, die auszubauenden Teilabschnitte entlang der Rheintalbahn 132 km. Die aufwändigste Einzelmaßnahme des gesamten Projektes stellt der nördlich von Basel gelegene Katzenbergtunnel dar. Konzipiert nach den neuen Richtlinien zu den "Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und Betrieb von Eisenbahntunneln" des Eisenbahn-Bundesamtes, erstreckt sich der Tunnel zweiröhrig auf einer Länge von insgesamt 9.385 m. [NiDa07, S. 507; Haid13, S. 330 ff.; EBA08]. Das Bauwerk wurde unter Einsatz zahlreicher technischer Innovationen errichtet [Haid13a, S. 47 ff.; Rose13, S. 285 ff.]. Mit 4.270 Meter Länge ist der Tunnel bei Raststatt der zweitlängste des Projekts. Aufgrund seiner Lage im hoch anstehenden Grundwasser handelt es sich hierbei um ein strukturell anspruchsvolles Bauwerk. Der Mengener Tunnel (1.956 Meter), der als Teil der Freiburger Güterumfahrung fungiert, ist der drittlängste Tunnel [Huda13, S. 15 f.]. Abbildung 1 veranschaulicht die Linienführung des beschriebenen Verkehrsinfrastrukturprojektes, das zudem im "Masterplan Schiene Seehafen-Hinterland-Verkehr" als notwendiges Bauvorhaben enthalten ist [DBAG07n, S. 11].

Abb. 1: Linienführung der NBS / ABS Karlsruhe - BaselAbbildung 1: Neu- und Ausbaustrecke Karlsruhe-Basel [DBAG07ao, S. 2] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)

Durch Anhebung der streckenseitigen Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h auf 250 km/h wird nach Baufertigstellung eine mehr als 30 prozentige Reisezeitverkürzung auf 69 Minuten ermöglicht. Fahrtempi von 250 km/h sind allerdings nur auf Neubaustrecken-Abschnitten realisierbar, die Ausbaustrecke erlaubt lediglich Höchstgeschwindigkeiten bis zu 200 km/h. Die 44 km lange Güterumfahrung bei Freiburg ist auf maximal 160 km/h ausgelegt. [DBAG12z, S. 2; Penn09]
Ursprünglich war das in neun Strecken- und, aufgrund vorliegender Kreis- und Gemeindegrenzen, in 21 Planfeststellungsabschnitte untergliederte Verkehrsinfrastrukturprojekt auf rund 4,5 Milliarden Euro taxiert. Es wird gemeinsam durch den Deutsche Bahn AG Konzern mit 250 Millionen Euro Eigenmitteln, durch den Bund mit rund 4,2 Milliarden Euro sowie durch Dritte mithilfe von Baukostenzuschlägen zu rund 50 Millionen Euro finanziert [NiDa07, S. 507]. Aktuell werden Gesamtkosten in Höhe von 11,6 Milliarden Euro veranschlagt [DBAG17l]. Diese Korrektur fand aufgrund geänderter Richtlinien und Anforderungen im Rahmen laufender Planfeststellungsverfahren, zusätzlicher Baumaßnahmen sowie aufgrund von Lohn- und inflationsbedingten Preissteigerungen statt [DBAG10n]. Darüber hinaus durch angesprochene Anpassungen entstehende Kosten werden seitens benannter Akteure getragen, wobei deren jeweilige Aufwandsbeteiligung in turnusmäßigen Projektbeiratssitzungen festzulegen sind [Müll11a, S. 5].
Strecken- und Planfeststellungsabschnitte sowie deren Realisierungsfortschritt
Die Anfänge der Baumaßnahmen basieren auf Überlegungen aus dem Jahr 1977. Angesichts der hohen Planungssensibilität einzelner Abschnitte zogen sich technische Konzeption, Erstellung der Raumordnungsunterlagen sowie entsprechende Verfahrensfortschritte teilweise über einen Zeitraum von 18 Jahren hin. In Abbildung 2 sind hierzu detaillierte Informationen über die Strecken- und Planfeststellungsabschnitte aufbereitet.

Abb. 2: NBS / ABS Karlsruhe - Basel, Strecken- und PlanfeststellungsabschnitteAbbildung 2: Neubau-/ Ausbaustrecke Karlsruhe - Basel, Strecken- und Planfeststellungsabschnitte (eigene Darstellung nach [DBAG20h; NiDa07])

Das angestrebte Ziel der Inbetriebnahme des größten Einzelbauprojektes, des Katzenbergtunnels, bis 2013 wurde mit der Freigabe durch das Eisenbahn-Bundesamt am 4. Dezember 2012 erreicht [Haid13, S. 330]. Den Umsetzungsfortschritt des Gesamtprojekts und der jeweiligen Planfeststellungsabschnitte zeigt Abbildung 3.
Planungs- und Realisierungsstand der Neu- und Ausbaustrecke Karlsruhe - BaselAbbildung 3: Planungs- und Realisierungsstand der Neu- und Ausbaustrecke Karlsruhe - Basel [DBAG17g] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Als nächstes sollen laut aktuellem Terminplan [DBAG17g] ab 2021 die Planfeststellungsverfahren für die Planfeststellungsabschnitte 7 veranlasst sowie erste Bauvorbereitungen in den Abschnitten 8 eingeleitet werden. Erste Bauphasen in beiden Abschnitten sind für die Jahre 2026 bzw. 2024 vorgesehen. Ende 2024 soll Streckenabschnitt 1 fertiggestellt werden, ein Jahr später Streckenabschnitt 9 [DBAG17g].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Literatur
[BAV15] Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) Der Gotthard- Basistunnel, 2016/6
[BMV03a] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Bundesverkehrswegeplan 2003 , Berlin, 2003
[DBAG07ao] o. A. Die Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe-Basel - Verkehrsachse für Europa, Frankfurt am Main , 2007/10
[DBAG07n] o.A. Masterplan Schiene, Seehafen-Hinterlandverkehr, Berlin, 2007/08/27
[DBAG10n] o. A. Gesamtinvestitionen in das Projekt, veröffentlicht in Karlsruhe-Basel im Fokus, Ausgabe/Auflage 01/2010, 2010/01
[DBAG12z] o. A. Die Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe-Basel - Verkehrsachse für Europa, Frankfurt am Main, 2012/02
[DBAG17g] Deutsche Bahn AG Konzern (Hrsg.) Übersicht: Rahmenterminplan Gesamtprojekt [Karlsruhe-Basel], 2017
[DBAG17l] Deutsche Bahn AG Konzern (Hrsg.) Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe-Basel - Starke Verkehrsachse für Europa, 2017/01
[DBAG20h] Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe-Basel, 2020
[DeBu10a] Bundesregierung Verkehrsinvestitionsbericht 2009 (Berichtsjahr 2008), 2010/01/14
[Haid13] Haid, Heinz-Heorg Die Inbetriebnahme des Katzenbergtunnels, veröffentlicht in ZEVrail, Ausgabe/Auflage 09/2013, Georg Siemens Verlag , Berlin, 2013/09, ISBN/ISSN 1618-8330
[Haid13a] Haid, Heinz-Georg Innovatives Bauwerk für den europäischen Schienenverkehr, veröffentlicht in Deine Bahn, Ausgabe/Auflage 05/2013, Bahn Fachverlag GmbH, Berlin, 2013/05, ISBN/ISSN 0948-7263
[Huda13] Hudaff, Matthias Ausbau der Rheintalbahn für Europas wichtigste Magistrale, veröffentlicht in Deine Bahn, Ausgabe/Auflage 04/2013, Bahn Fachverlag GmbH, Berlin, 2013/04, ISBN/ISSN 0948-7263
[Müll11a] Müller, Christoph Projektbeirat und Planer einigen sich auf wichtige Details beim Ausbau, veröffentlicht in Rail Business, Ausgabe/Auflage 10/2011, DVV Media Group GmbH / Hamburg , 2011/03/07, ISBN/ISSN 1867-2728
[NiDa07] Nied, Joachim, Dassler, Bernd, Dipl.-Ing., Zieger, Thomas, Dipl.-Ing. (TU) Neu- und Ausbau der Strecke Karlsruhe-Basel - Aktueller Planungsstand und Bauablauf, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe/Auflage 09/2007, DVV Media Group GmbH / Hamburg , 2007/09, ISBN/ISSN 0013-2845
[Penn09] Penn, Stefan, Dipl.-Ing. Der Katzenbergtunnel auf der Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe-Basel, veröffentlicht in ZEVrail, Ausgabe/Auflage 133/2009, Georg Siemens Verlag / Berlin , 2009/03, ISBN/ISSN 1618-8330
[Rose13] Roser, Frank Tunnel Rastatt: Größtes Bauwerk im Streckenabschnitt 1 der Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe-Basel, veröffentlicht in ZEVrail, Ausgabe/Auflage 08/2013, Georg Siemens Verlag , Berlin, 2013/08, ISBN/ISSN 1618-8330
Rechtsvorschriften
[EBA08] Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und den Betrieb von Eisenbahntunneln
Glossar
Ausbaustrecke Als Ausbaustrecken (ABS) werden im Bereich des spurgebundenen Verkehrs bestehende Netzabschnitte bezeichnet, die mittels umfangreicher Baumaßnahmen für höhere Kapazitäten und / oder Geschwindigkeiten ertüchtigt wurden. Häufig findet der Begriff im Zusammenhang mit für den Einsatz von Neigetechnikfahrzeugen angepassten Strecken Verwendung. Durch eine geeignete bauliche Auslegung des Fahrweges ermöglicht dieses System entsprechend ausgestatteten Triebwagen schnellere Gleisbogendurchfahrten, m. a. W. höhere Kurvengeschwindigkeiten.
Neubaustrecke Als Neubaustrecken bezeichnet man gänzlich neu errichtete Verkehrswege, die einem bestehenden Netz hinzugefügt werden. Im Eisenbahnwesen findet der Begriff zumeist auf für den Hochgeschwindigkeitsverkehr gebaute Strecken Anwendung, wobei diese entweder exklusiv durch Personenbeförderungsangebote oder gemeinsam mit dem Güterverkehr genutzt werden. Das konstruktive Anforderungsniveau von Neubaustrecken reicht dabei gemeinhin über die für Ausbaustrecken (ABS) geltende Anforderungen hinaus.
Schienengüterverkehr
Unter Schienengüterverkehr (SGV) wird der Transport von Gütern mit der Eisenbahn verstanden. Diese werden in Güterzügen unter Verwendung (spezieller) Güterwagen befördert. Diese Verkehre können entweder auf gesonderten Güterverkehrsstrecken oder im Mischverkehr, auf gemeinsam durch den Güter- und Personenverkehr genutzten Strecken, realisiert werden. Leistungen des Schienengüterverkehrs werden häufig als Teil einer Logistikkette in logistische Gesamtkonzepte eingebunden.
Hinterland Das Hinterland eines Seehafen ist das landeinwärts hinter dem Hafen liegende Territorium, welches durch die Herkunfts- und Bestimmungsorte der im Hafen abzufertigen Güter und Passagiere begrenzt wird. Seine Grenzen hängen von den Hinterlandverkehrsanbindungen ab und variieren nach Gutarten, den Umschlagkapazitäten, dem Schiffstyp und der Verkehrsinfrastruktur. Das Vorland eines Seehafens ist das seewärts vor dem Hafen liegende Territorium, welches durch die überseeischen Herkunfts- und Bestimmungsorte der Güter begrenzt wird.
NEAT Neue Eisenbahn-Alpentransversale: Projekt zum Ausbau der Schieneninfrastruktur in der Schweiz, in dessen Rahmen u. a. der Lötschberg- und der Gotthard-Basistunnel verwirklicht werden; Ziel ist die Verlagerung des transalpinen Schwerverkehrs von der Straße auf die Schiene.
Bundesverkehrswegeplan
Als Instrument einer mittel- bis langfristigen Investitionsrahmenplanung für den Erhalt und Ersatz bundeseigener Verkehrsinfrastruktur erfasst der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) das zwecks zielgerichteter Ausgestaltung sowie Erweiterung von Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und Schienenwegen des Bundes erforderliche Finanzierungsvolumen. Auf Basis verkehrsträgerübergreifender Prognosen findet in diesem Zusammenhang eine Priorisierung vorgesehener Neu- und Ausbauprojekte gemäß ihrer gesamtwirtschaftlichen Bewertung sowie ökologischer und raumordnerischer Einschätzungen statt. Grundsätzlich wird infolgedessen zwischen "vordinglichem Bedarf" (VB) und "weiterem Bedarf" (WB) unterschieden.

Der BVWP tritt auf Beschluss des Bundeskabinetts in Kraft und umfasst jeweils einen Zeithorizont von circa zehn bis 15 Jahren. Seit 1973 sind bereits sechs konsekutive Verkehrswegepläne verabschiedet worden. Der letzten, dem Jahr 2016 entstammenden Fortschreibung liegt ein Planungszeitraum bis 2030 und ein Investitionsvolumen in Höhe von 269,6 Milliarden Euro zugrunde, siehe auch gesonderte Wissenslandkarte "Bundesverkehrswegeplanung" hier im Forschungsinformationssystem.
Eisenbahn-Bundesamt Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) ist Aufsichts- und Genehmigungsbehörde für die Eisenbahnen des Bundes und Eisenbahnunternehmen mit Sitz im Ausland für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Es nimmt darüber hinaus die Landeseisenbahnaufsicht über die nichtbundeseigenen Eisenbahnen auf Weisung und Rechnung von 13 Bundesländern für diese wahr.
Trans-European Transport Network Das Trans-European Transport Network, TEN-T (dt. Transeuropäisches Verkehrsnetz, kurz TEN-V) ist ein Teilnetz der sog. Trans-European Networks, TEN (dt. Transeuropäische Netze, kurz TEN). Zu diesen zählen neben den Verkehrsnetzen bspw. auch Netzwerke der Telekommunikation oder der Energieversorgung.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?357042

Gedruckt am Montag, 2. Oktober 2023 17:41:57