Maßnahmen zu einer Erhöhung der Verfügbarkeit von Eisenbahninfrastruktur
Erstellt am: 01.07.2011 | Stand des Wissens: 19.07.2019
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Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Der Fachausdruck "technische Verfügbarkeit" beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein technisches Element zu einem bestimmten Zeitpunkt in einwandfreiem, funktionsfähigem Zustand zur Verfügung steht [FoNa06, S. 3]. Für Schienenfahrwege erweist sich eine hohe Verfügbarkeit als besonders bedeutsam, da das Verkehrssystem aufgrund seiner Spurgebundenheit wesentlich unflexibler auf Infrastrukturausfälle reagiert als dies beispielsweise bei straßengebundenen Transporten der Fall ist. So kann im Falle einer außerplanmäßig gesperrten Strecke oft nur schwerlich eine alternative Umfahrung mit geringem Umwegfaktor eingerichtet werden. Mit zunehmender Kundensensibilität [im Hinblick auf Verspätungen und Zugausfälle] haben die systemimmanente Störungsempfindlichkeit sowie das daraus abgeleitete Optimierungsziel "Erhöhung der Verfügbarkeit" mittlerweile große Bedeutung erlangt. Im Fokus stehen dabei insbesondere die drei Infrastrukturkomponenten Fahrbahnoberbau (Schienen, Schwellen und Gleisbett), Energieversorgung sowie Leit- und Sicherungstechnik. [HuLi04, S. 61] Nachfolgend wird auf die Komponente "Fahrbahnoberbau" näher eingegangen.
Schiene
Bei Maßnahmen zur Förderung der Langlebigkeit von Schienen erweist sich der - durch den Rad-Schiene-Kontakt bedingte - höhere Fahrzeugverschleiß als problematisch. Das gilt besonders bei härteren Schienenwerkstoffen. Gleichzeitig geht damit auch zumeist eine Verwendung teureren Materials einher, weshalb abzuwägen ist, ob der geringere Instandhaltungsaufwand unter Berücksichtigung der genannten investiven Mehrausgaben trotzdem wirtschaftlich ist [Tapp14, S. 12]. Um einem kostenintensiven "Wettrüsten" zwischen den Werkstoffen entgegen zu wirken, untersuchte die DB Netz AG zusammen mit bundeseigenen Eisenbahnverkehrsunternehmen und der Fahrzeugindustrie in zwei Projekten die Eignung verschiedener Werkstoffpaarungen von Rad und Schiene sowie die Ursachen auftretender Oberflächenermüdungen [Beck11, S. 23].
Weitere Optimierungsmöglichkeiten bestehen in einer Änderung der Schienenform. Mit dem in der Vergangenheit vollzogenen Übergang vom Schienenprofil S49 über das Profil S54 auf das gegenwärtig als Standard verwendete Profil UIC60 für Strecken mit hoher Belastung vergrößerte sich neben der jeweiligen Schienenhöhe auch der Schienenkopf. Diese Entwicklung ist in Abbildung 1 für Profil- und Rillenschienen dargestellt. Die Intervalle für den Austausch der Schienen, die unter anderem an die maximale vertikale Abnutzung des Kopfes (Rad-Schienen-Abnutzung und Schienenschleifen) gekoppelt sind, können auf diese Weise verlängert werden. [Lich10, S. 98 f.]
Für die schwellenseitige Schienenbefestigung liegen mögliche Optimierungsansätze vor allem in einer Vergrößerung des Querverschiebewiderstands (QVW). Dadurch könnten Gleislagefehler reduziert werden. Ausrichtungsarbeiten, meist gefolgt von Streckensperrungen, wären entsprechend seltener erforderlich. [Licht07, S. 62 ff.] Die gegenwärtig bei Neubauten am häufigsten verwendeten Schienenbefestigungen der Bauart W (Abbildung 2) vergrößern den QVW unabhängig von der jeweils vorliegenden Schwellenbettung [Fied05, S. 112].

Abbildung 1: Schienenprofile, Bauarten S49, S54 und UIC60 [Fied05, S. 105] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Für die schwellenseitige Schienenbefestigung liegen mögliche Optimierungsansätze vor allem in einer Vergrößerung des Querverschiebewiderstands (QVW). Dadurch könnten Gleislagefehler reduziert werden. Ausrichtungsarbeiten, meist gefolgt von Streckensperrungen, wären entsprechend seltener erforderlich. [Licht07, S. 62 ff.] Die gegenwärtig bei Neubauten am häufigsten verwendeten Schienenbefestigungen der Bauart W (Abbildung 2) vergrößern den QVW unabhängig von der jeweils vorliegenden Schwellenbettung [Fied05, S. 112].

Schwelle
Die Schwelle als Schnittstelle zwischen Schiene und Schotter nimmt größte Belastungen auf. Eine durchgehende Verwendung von langlebigen, schweren Betonschwellen mit einem gegenüber Holzschwellen um 15 Prozent größeren QVW ermöglicht im günstigsten Fall eine Lebensdauer von circa 40 bis 60 Jahren [Lich10, S. 169, Fied05, S. 114]. Eine Lebensdauer ähnlicher Größenordnung bieten auch Schwellen aus Kunstholz - eine Technologie, die in Japan bereits seit Jahrzehnten eingesetzt, im Schienennetz der DB Netz AG nach einer Testphase erst seit 2017 zugelassen sind [Koll13, S. 22 ff.; Koll13a, S. 24 ff., EBA17b]. Weitere Optimierungsmöglichkeiten bietet die Verwendung sog. Breitschwellengleise (Abbildung 3). Sie weisen zwar eine geringere Querausdehnung auf, sind allerdings im Vergleich zu herkömmlichen Betonschwellen doppelt so breit. Das Setzungsverhalten im Schotter konnte im Gegensatz zu normalen Betonschwellen um 50 Prozent reduziert werden. [Unbe00, S. 31]

Eine weitere Neuerung, die zur Erhöhung der Verfügbarkeit aufgrund der geringeren Instandhaltungsarbeiten und längeren Nutzungsdauer führt, ist das Rahmenschwellengleis, auch "Festere Fahrbahn" genannt. Es dient als Zwischenstufe zwischen dem Schwellenoberbau und der festen Fahrbahn [Fied05, S. 124]. Grundlage sind doppelt H-förmige Schwellenrahmen (Abbildung 4), die aneinandergefügt werden. Dadurch verkleinert sich die verschleißbehaftete Schottermenge bei gleichzeitiger Erhöhung des QVW durch eine größere aktive Fläche entlang des Schienenstranges. [Lich10, S. 172 und 299 f.; Ries00, S. 120]

Gleisbett
Dem Schotter als Abfederungselement für die entstehenden Gleiskräfte kommt eine besondere Bedeutung zu. Da dieser als grobkörniges Material Verschmutzung und Abnutzung ausgesetzt ist, muss er druck-, schlag- und abriebfest sowie möglichst schwer spaltbar sein. Zudem soll der Schotter großen Widerstand gegen Schwellenquerverschiebungen bieten [Lich10, S. 180 ff.]. Obwohl heute bereits technische Verfahren zur Verringerung der Wartungsintensität von klassischem Schotteroberbau existieren, wie zum Beispiel die Verklebung des Schotters oder der Einsatz von elastischen Komponenten wie Schwellenbesohlungen oder Zwischenlagen, bietet die Feste Fahrbahn wesentlich längere Liegezeiten [Lich10, S. 201; LoAu13, S. 16 ff.; BeKl14, S. 7 ff.]. Dabei wird auf eine Verwendung von Schotter und separaten Schwellen gänzlich verzichtet; stattdessen wird die Schiene auf einer durchgängig ausgeführten Beton- oder Asphalt-Decke gelagert. Diese Bauweise eignet sich besonders für das Anforderungsprofil von Hochgeschwindigkeitsstrecken. Die erhöhte Liegedauer der Festen Fahrbahn von etwa 50 bis 60 Jahren geht jedoch mit höheren Investitionskosten einher. [Lich10, S. 306 ff.]
Instandhaltung
Verbesserungen in der Verfügbarkeit können ferner durch eine optimierte Instandhaltungsorganisation erzielt werden. Mithilfe einer intelligenten zeitlichen und räumlichen Bündelung der notwendigen Verfahrensschritte lassen sich etwaige Streckenabschnittssperrungen zumindest teilweise reduzieren. Der Einsatz komplexer Gleisumbauzüge, die sämtliche Instandhaltungsaufgaben maschinell unterstützen, verringert die Sperrzeiten noch zusätzlich. [Lich10, S. 575 ff.]
Beim Bau und Betrieb der niederländischen Hochgeschwindigkeitsstrecke "HSL Zuid" zwischen Amsterdam und Rotterdam wurde in puncto Verfügbarkeit ein neuer Weg beschritten. Nach Inbetriebnahme des öffentlich-privaten Partnerschaftsprojekts (englisch Public-Private-Partnership) erhält der private Betreiber von den zuständigen Behörden monatlich eine festgelegte Benutzungsgebühr, welche sich bei verminderter Verfügbarkeit um vertraglich festgesetzte Pönalien reduziert. Dies erhöht den Anreiz zu einer ordnungsgemäßen Infrastrukturinstandhaltung durch den Betreiber. [HuLi04, S. 61; Jans09, S. 550 ff.] Ein ähnliches Prinzip wird auch in der zwischen Bund und dem Deutsche Bahn AG Konzern geschlossenen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV II) eingesetzt. Die zum Konzern gehörenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen verpflichten sich darin, "ihre Schienenwege in einem uneingeschränkt nutzbaren Zustand vorzuhalten" [BMVBS11m, § 13 Abs. 1]. Wird anhand objektiver Kennzahlen festgestellt, dass diese Forderung verletzt worden ist, kann der Bund einen Teil der geleisteten Beiträge zur Infrastrukturfinanzierung zurückfordern.