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Außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren

Erstellt am: 24.05.2011 | Stand des Wissens: 08.11.2024

Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics

Um aufwendige, lange und teure Gerichtsverfahren - beispielsweise bei Großbauprojekten - zu vermeiden können außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren angestrengt werden. Unter außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren werden verschiedene Verfahren, namentlich vertragliche Eskalationsmechanismen, die Mediation, die Schlichtung, das Schiedsgutachten, das Schiedsgerichtsverfahren und die Adjudikation, verstanden [AlHePü15].
Eine Mediation ist ein freiwilliges, kooperatives und außergerichtliches Verhandlungsverfahren, das im Rahmen privater und öffentlicher Konflikte möglichst frühzeitig eingesetzt wird, um einen gemeinsamen Kompromiss zwischen allen Verhandlungsparteien zu finden [Geis03, S. 7]. An einer Mediation sollten Experten mit verschiedenen, konträren Standpunkten teilnehmen, da somit eine Entscheidung unter Abwägung aller Interessen erzielt werden kann. So können die Verfahrensdauer verkürzt und das Verfahren kostengünstiger gestaltet werden, da Einwände und Klagen im späteren Verfahren größtenteils wegfallen [Zieh01, S. 14].
Für das Zustandekommen einer Mediation ist ein ernsthaftes Einigungsinteresse und eine gleichmäßige Machtverteilung erforderlich [Geis03, S. 9f.]. Das Machtgleichgewicht zwischen Projektgegner und Projektbefürworter kann von politischen Veränderungen abhängig sein. Problematisch bei der Mediation ist, dass die Ergebnisse einer Mediation in Deutschland nicht als rechtsverbindlich gelten. Inwieweit Mediationsergebnisse politisch durchgesetzt werden ist unklar. Beispielsweise hatten sich die Teilnehmer beim Mediationsverfahren um eine Landebahn am Frankfurter Flughafen im Jahr 2000 unter anderem auf ein absolutes Nachtflugverbot geeinigt. Im Jahr 2007 wurde das absolute Nachtflugverbot von Ministerpräsident Koch wieder gekippt [Welt07]. Nach einigen gerichtlichen Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht schließlich am 4. April 2012 beschlossen, dass ein Nachtflugverbot gilt. Mit zunehmendem Planungsverlauf sinkt die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Einigung unter den Mediationsteilnehmern. Daher sollte eine Mediation möglichst nicht erst im Planfeststellungsverfahren erfolgen.
Neben Mediationen finden sich weitere Konfliktlösungs-Verfahren, darunter auch sogenannte Schlichtungen. Während der Mediator bei einer Mediation darum bemüht ist, dass die Konfliktparteien sich auf eine Lösung einigen, hat der Schlichter bei einer Schlichtung aus einer neutralen Position heraus Einfluss auf die Lösungsfindung [RöScSp13] Der Schlichter verschafft sich hierbei ein eigenes Verständnis der Sachlage und versucht schließlich die Streitparteien von einem einvernehmlichen Schlichtungsergebnis zu überzeugen, wobei die Konfliktparteien ihrerseits wiederum versuchen, den Schlichter von ihrem Standpunkt zu überzeugen [RöScSp13; zlise586704]. Dabei kann der Schlichter versuchen mithilfe mediativer Methoden eine Einigung zu erreichen. Besteht weiterhin Uneinigkeit, so endet die Schlichtung durch den (nicht bindenden) Schlichterspruch. Maßgeblich für die Erfolgsaussichten einer Schlichtung ist das Vertrauen der Konfliktparteien in die fachliche und persönliche Integrität des Schlichters [AlHePü15].
Das prominenteste Beispiel für ein Schlichtungsverfahren im Rahmen eines Megaprojekts ist die Schlichtung zum Infrastruktur- und Städtebauprojekt Stuttgart 21. Während einer stark polarisierten gesellschaftlichen Debatte begannen im Oktober 2010 unter Leitung des ehemaligen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler die Schlichtungsgespräche. Bei der S21-Schlichtung nahmen neben den Repräsentanten der Projekt-Befürworter und -Gegner auch ausgewählte Experten Teil. Teilweise zeigte die Schlichtung auch Merkmale eines ähnlichen Verfahrens namens Joint Fact Finding. Hierbei wird versucht, ein gemeinsames Verständnis für die Daten- und Faktenlage zu erlangen, indem unabhängige Experten und Gutachten eingebunden werden. Allerdings konnte das Schlichtungsverfahren das Ziel, einer gemeinsam akzeptierten Faktenlage (beispielsweise fand keine gemeinsame Beauftragung und Begleitung des Stresstests statt) nicht vollständig erreichen [RöScSp13]. Die Schlichtung endete mit einem Schlichtungsspruch, der eine Weiterführung des Projekts vorsieht, dabei aber einige Anpassungen fordert.
Ansprechperson
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Planung und Bewertung von Megaprojekten im Verkehrsbereich (Stand des Wissens: 08.11.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?352432
Literatur
[AlHePü15] Matthias Aldejohann, Christine Heeg, Moritz Püstow, Torsten Göhlert, Annette Lionnet, Carsten Oehme Schiedsverfahren bei der Durchführung von Bundesbaumaßnahmen - Zur Möglichkeit der Einführung der Adjudikationfür Bundesbauprojekte als Streitbeilegungsmechanismus vor Gerichts- oder Schiedsverfahren, 2015/07/25
[Geis03] Geis, Anna Umstritten, aber wirkungsvoll: Die Frankfurter Flughafen-Mediation , Frankfurt, 2003
[RöScSp13] Römmele, Andrea, Schober, Henrik, Spieker, Arne, Bachl, Marko Sonderfall statt Prototyp: Eine prozedurale und empirische Analyse der Schlichtung zu Stuttgart 21, veröffentlicht in The Governance of Large-Scale Projects, Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, 2013, ISBN/ISSN 978-3-8452-4356-6
[Welt07] Kirchstein, Gisela Koch bricht Versprechen zum Nachtflugverbot, 2007/12/18
[Zieh01] Zieher, Anita Handbuch Umweltmediation - Konflikte lösen mit allen Beteiligten, Wien, 2001

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?351937

Gedruckt am Sonntag, 23. Februar 2025 09:38:36