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Netzrückspeisung bei Schienenfahrzeugen mit Elekrotraktion

Erstellt am: 23.02.2011 | Stand des Wissens: 29.02.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch


Funktionsprinzip und notwendige Voraussetzungen

Im Rahmen eines Bremsvorgangs muss die kinetische Energie der Wagenzugmasse durch das Zusammenspiel verschiedener Bremssysteme abgeführt werden. Während früher üblicherweise allein mechanische Druckluftbremsen betreffende Bewegungsenergie in Wärme umwandelten, indem sie sich die Reibung zwischen Bremsklotz und Rad zunutze machten, stehen heute verschleißfreie sowie in zunehmendem Maße auch regenerative Verzögerungssysteme im Vordergrund. Bei dem - aus energetischer Sicht - veralteten Prinzip der elektrischen Widerstandsbremsung dient im Falle von Triebfahrzeugen mit (diesel-)elektrischer Traktion der vorhandene Fahrmotor als Generator. Die dabei entstehende elektrische Energie erfährt über Bremswiderstände eine Umwandlung in normalerweise nicht genutzte Wärmeenergie [JaRe08, S. 341 f.]. Dahingegen wird bei den modernen elektrodynamischen Netz- oder Nutzbremsen der während eines Verzögerungsvorgangs erzeugte Strom in den Fahrdraht zurückgespeist. Diese sog. Rekuperation stellt einen regenerativen Vorgang dar, welcher erst mit der Einführung triebfahrzeugseitiger Leistungselektronik realisiert werden konnte [SiGe04, S. 9].

Wechselstromnetze (z. B. das elektrifizierte Vollbahnnetz der Bundesrepublik Deutschland) gewähren eine annähernd unbegrenzte Rückspeisemöglichkeit. Dagegen ist der durch Rekuperation erzielbare Energierückgewinnungsgrad in Gleichstromnetzen (z. B. Straßen- und U-Bahnsysteme) maßgeblich von weiteren, im selben Netzabschnitt befindlichen Triebfahrzeugen bestimmt, die den eingespeisten Strom einer verzögernden Lokomotive zeitgleich (bspw. für Beschleunigungsvorgänge) nutzen können. Transfers über zu mehreren Unterwerken gehörende Bereiche hinweg lassen sich hingegen nicht realisieren. In Abhängigkeit der jeweils vorherrschenden Zugfolgedichte und Abschnittslänge variiert hier die netzseitige Aufnahmefähigkeit rekuperierter Bremsenergie, sodass sich z. B. auf hoch frequentierten Stadtbahnstrecken zu Hauptverkehrszeiten umfangreichere Einspareffekte generieren lassen als entlang ausgedehnter Unterwerksbereiche mit geringer Verkehrsbelastung in suburbanen Gebieten. Zudem gilt für beide Stromnetzarten, dass die Rückspeisequote, d. h. das Verhältnis zwischen genutztem und rückgespeistem Fahrstrom, auch von der Achslast der elektrisch gebremsten Achsen und dem Zuggewicht abhängig ist. [Ford07, S. 430 f.; SiLe13, S. 30 f.; Leis11, S. 145 ff.]

Dennoch kann es in Wechselstromnetzen durchaus vorkommen, dass überschüssiger Rückspeisestrom in Wärme umgewandelt und somit ungenutzt freigesetzt werden muss. Um den entsprechenden zeitlich und örtlich begrenzten Stromüberschuss gewinnbringend einsetzen zu können, lassen sich streckenseitig ortsfeste Energiespeicher installieren. Dafür eignen sich insbesondere Doppelschichtkondensatoren oder Rotationsspeicher, da diese in der Lage sind, gegenüber Batterien vergleichsweise hohe Leistungen bei Ladung und Entladung zu erzielen. Rotationsspeicher finden z. B. bei der Hamburger Hochbahn AG (HOCHBAHN) oder der Städtischen Verkehrsbetriebe Zwickau GmbH Anwendung, die überschüssige Energie aus dem Gleichstromnetz zwischenspeichert (Abbildung 1 und 2). [StJo08, Bomb10a, Hanz11; ross06, S. 12] Ortsfeste Speichertechnologien im Gleichstromsystem können eine reversierbare Schaltanlagentechnik beinhalten. Neben der Nutzung gewonnener Rekuperationsenergie für Schienenanwendungen ist dann auch die Rückspeisung in örtliche Stromversorgungsnetze möglich [IBA10].


Auch onboard Energiespeichersysteme sind eine Alternative vor allem für Gleichstromsysteme. Dabei werden Teile der produzierten Energie zurück in die Oberleitung gespeist, während überschüssige Energie, die nicht sofort von einem anderen System gebraucht wird, in Energiespeichersystemen im Triebwagen gespeichert wird. Die Energie kann dann zu einem späteren Zeitpunkt direkt verbraucht oder bei Bedarf ebenso in die Oberleitung gespeist werden. Verfügbare Technologien sind Elektrochemische Doppelschicht-Kondensatorn (EDLC), Schwungräder, Batterien, sowie neuartige Technologien wie z.B. supraleitende Spulen (SMES). Die Grundanforderungen sind eine hohe Anzahl an Belastungszyklen (100.000-300.000 per Jahr), hohe Leistungsspitzen und eine Entladungsleistung zwischen 0,1 und 10 MW [GONZ13].
Abb. 2: Energiespeicherwerk der rosseta Technik GmbH im Einsatz bei der Städtischen Verkehrsbetriebe Zwickau GmbHAbb. 2: Energiespeicherwerk der rosseta Technik GmbH, Städtische Verkehrsbetriebe Zwickau GmbH (ergänzte Darstellung nach [ross06, S. 7])

DC energy recovery system.PNGAbb. 2: Reversierbare Schaltanlagentechnik mit Netzanbindung [IBA10] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)


Bedeutung für den Energieverbrauch in Deutschland

Abbildung 3 zeigt die Entwicklung des Bestands an elektrischen DB-Triebfahrzeugen ohne und mit Rückspeisefähigkeit seit 2007. Der Deutsche Bahn AG Konzern (DB AG) hat sämtliche Fernverkehrszüge, mit Ausnahme einiger weniger Altbaulokomotiven, mit der notwendigen Technologie zur Energierückgewinnung ausgestattet. Nennenswertes Potenzial verbleibt speziell im gegenwärtig noch mit Wendezügen durchgeführten Regionalverkehr. Von besonderer Bedeutung sind dabei vergleichsweise schwere Doppelstockwagenzüge, die in großer Anzahl weiterhin durch Lokomotiven mit Gleichstrommotor und Widerstandsbremse traktioniert werden.

2015 wurden von der DB AG 1219 GWh Energie ins Bahnstromnetz zurückgespeist. Dies entspricht in etwa 13 % des gesamten Energiebedarfs des Unternehmens [DBAG13y, S. 126].Im Jahr 2022 hat die DB etwa 1.500 GWh Strom zurückgespeist, das entspricht einer Rückspeisequote von 17,9%. [DB22b]

BremsenergierueckspeisungDB.pngAbb. 3: Bremsenergierückspeisung der Deutschen Bahn AG. (Eigene Darstellung nach [DBNB08, DBNB09, DBNB10, DBNB11, DBNB13,DBAG15b])

Durch die Nutzung der Rückspeiseoption in Kombination mit Energiespeichersystemen können folgende Vorteile geschaffen werden [GONZ13]:


  • Minimierung des Leistungsbedarfs von der Oberleitung und somit reduzierte Energiekosten sowie Reduzierung des Widerstandsverlustes in der Oberleitung.
  • Minimierung des Spannungsverlustes und somit die Möglichkeit den Bahnbetrieb auszubauen ohne Modifizierung der existierenden Infrastruktur
  • Begrenzte Unabhängigkeit von Oberleitungen
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Energierückgewinnung im Schienenverkehr (Stand des Wissens: 05.05.2017)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?344449
Literatur
[Bomb10a] o. A. EnerGstor - Streckenseitige Energiespeicherung, Berlin, 2010/09/08
[DB22b] Deutsche Bahn Integrierter Bericht 2022, 2023/03/07
[DBAG13y] o. A. Nachhaltigkeitsbericht 2012, Berlin, 2013/07
[DBAG15b] o.A. Deutsche Bahn Integrierter Bericht, Berlin, 2015
[DBNB08] o.A. Kennzahlen und Fakten zur Nachhaltigkeit 2008, 2008
[DBNB09] o.A. Kennzahlen und Fakten zur Nachhaltigkeit 2009, 2009
[DBNB10] o.A. Kennzahlen und Fakten zur Nachhaltigkeit 2010, 2013
[DBNB11] o.A. Kennzahlen und Fakten zur Nachhaltigkeit 2011, 2011
[DBNB13] o.A. Kennzahlen und Fakten zur Nachhaltigkeit 2013, 2013
[Ford07] Ford, Roger Regenerative braking boosts green credentials, veröffentlicht in Railway Gazette, Ausgabe/Auflage 07, 2007/07, ISBN/ISSN 0373-5346
[GONZ13] González-Gil, Arturo, Palacin, Roberto, Batty, Paul Sustainable urban rail systems: Strategies and technologies for optimal management of regenerative braking energy, veröffentlicht in Energy conversion and management, Ausgabe/Auflage 75, 2013, Online-Referenz doi:10.1016/j.enconman.2013.06.039
[Hanz11] Hanz, Peter Ortsfeste Energiespeicher im ÖPNV, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage 12/2011, Alba Fachverlag, Düsseldorf, 2011/12, ISBN/ISSN 0722-8287
[IBA10] Ibaiondo, Harkaitz, Romo, Asier Kinetic energy recovery on railway systems with feedback to the grid, 2010/09, Online-Referenz http://ieeexplore.ieee.org/document/5606545/
[JaRe08] Janicki, Jörg, Reinhard, Horst Schienenfahrzeugtechnik, Bahn Fachverlag GmbH / Berlin, 2008/06, ISBN/ISSN 978-3-9808002-5-9
[Leis11] Leister, Hans Energierückgewinnung beim Bremsen: DB AG bremst Vorteil des elektrischen Verkehrs aus, veröffentlicht in Eisenbahn-Revue International, Ausgabe/Auflage 03/2011, Minirex AG, Luzern, 2011/03, ISBN/ISSN 1421-2811
[ross06] o. A. Energiespeicher für das Straßenbahnetz, 2006/08
[SiGe04] Siemt, Peter, Geier, Werner, Rudolph, Norbert, Thul, Thomas Die Energie-Rückspeisung: Innovation des Eisenbahnverkehrs, veröffentlicht in Güterbahnen, Ausgabe/Auflage 04, 2004, ISBN/ISSN 1610-5273
[SiLe13] Sieg, Ulrich, Levin, Christoph 25 Prozent Energieeinsparung als Ziel, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage 05/2013, Alba Fachverlag, Düsseldorf, 2013/05, ISBN/ISSN 0722-8287
[StJo08] Steinhorst, Frank, Dipl.-Ing., Jonassen, Ingo, Dipl.-Ing., Peters, Arne, Dipl.-Ing. Mit Schwung Energie sparen - Stationärer Schwungmasse-Energiespeicher bei der Hochbahn AG, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage 06/08, Alba Fachverlag / Düsseldorf, 2008/06, ISBN/ISSN 0722-8287
Glossar
Traktion Unter Traktion versteht man im Schienenverkehrsbereich die kraftgetriebene Fortbewegung von Triebfahrzeugen. Bei der Art des Antriebssystems unterscheidet man heutzutage i. d. R. Triebfahrzeuge mit dieselelektrischen oder -hydraulischen bzw. rein elektrischen Aggregaten zur Kraftübertragung (auch: Diesel- bzw. Elektrotraktion).  Die Traktionsart Dampf wird hierzulande nur noch im Bereich von Museumsbahnen eingesetzt. Mehrere gekoppelte Triebfahrzeuge bilden eine sog. Mehrfachtraktion. Üblicherweise werden diese nach der Anzahl der eingesetzten Triebfahrzeuge benannt (z. B. Doppel- oder Dreifachtraktion).
Unterwerk Ein Unterwerk ist ein Umspannwerk, welches aus dem Hochspannungs-Bahnstromnetz mit Hilfe von Transformatoren Bahnstrom zur Versorgung eines elektrischen Schienennetzes bereitstellt. Der Bahnstrom mit der angepassten Spannung (Bundesrepublik Deutschland: 15 kV / 16,7 Hz Wechselstrom) wird anschließend in die Oberleitung bzw. die Stromschiene eingespeist.
DC
Gleichstrom (englisch: Direct Current)
Radsatzlast Die Radsatzlast (auch Achslast) beschreibt den Anteil der Fahrzeuggesamtmasse in Tonnen, der vom Fahrzeug über eine Achse auf den Schienenfahrweg aufgebracht wird.
Triebfahrzeug
Ein Triebfahrzeug (Tfz) ist ein einzelnes Regeleisenbahnfahrzeug mit einem eigenen Fahrzeugantrieb (Lokomotiven, Triebwagen). Eine Sonderform bilden Triebköpfe, die in einem fest gekoppelten Triebzug zusammen mit antriebslosen Mittel- und Steuerwagen betrieben werden. Lokomotiven kommen normalerweise im Verbund mit gekoppelten Reisezug- oder Güterwagen zum Einsatz. Triebwagen sowie auch Triebzüge werden als gekoppelten Einheiten gleichen Typs in sogenannten Triebwagenzügen eingesetzt. Weitere Tfz sind Kleinlokomotive und selbstfahrende Nebenfahrzeuge.
Rekuperation
Rekuperation bezeichnet die Rückführung eines Anteils der von einem elektrisch angebtriebenen Fahrzeug entnommenen Traktionsenergie in die Fahrzeugbatterie oder das Bahnstromnetz. Diese Energie wird beim Bremsvorgang durch den Betrieb des Elektromotors im Generatorbetrieb bzw. durch die elektrodynamische Nutzbremse generiert.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?342892

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 00:09:46