Hybridantriebssysteme im Schienenverkehr
Erstellt am: 22.02.2011 | Stand des Wissens: 29.02.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Um die Antriebssysteme von Schienenfahrzeugen flexibler und umweltfreundlicher zu gestalten, wurde in der jüngeren Vergangenheit verstärkt an Hybridantrieben gearbeitet. Der Hybridantrieb wird laut European Rail Research Institute (ERRI) als ein Antriebssystem mit mindestens zwei verschiedenen Energieumwandlern und Energiespeichersystemen definiert [E/ECE/324-E/ECE/TRANS/505]. Abweichend hiervon werden in der Schienenfahrzeugtechnik auch solche Systeme zu Hybridantrieben gezählt, die lediglich über eine Energiespeicherform verfügen. Hybrid-Schienenfahrzeuge sollen jedoch über zwei unterschiedliche Energiequellen angetrieben werden können. Der Antrieb durch eine sekundäre Energiequelle kann dabei unabhängig von der primären stattfinden.
Im Schienenverkehr werden sowohl die konventionellen Antriebssysteme Dieseltraktion und Elektrotraktion miteinander kombiniert als auch die Kopplung mit neuartigen Speicher- und Antriebssystemen getestet. Im Gegensatz zu Fahrzeugen mit reiner Elektrotraktion und Oberleitungsstromversorgung ermöglicht die Kombination mit Dieselmotoren beziehungsweise Akkumulator die Betriebsausweitung auf fahrdrahtlose Strecken. Im ersten Fall können mit den entsprechenden Fahrzeugen in der Dieseltraktion auch lange Distanzen im Flächenverkehr bedient werden, auf denen die Elektrifizierung wirtschaftlich nicht darstellbar ist. Auf elektrifizierten Abschnitten kann dabei lokal ein emissionsfreier und energieeffizienterer Verkehr unter Fahrdraht realisiert werden. Bei Verwendung von Akkumulatoren ermöglicht der Energiespeicher den Verzicht auf die Fahrdraht-Infrastruktur auf kurzen Abschnitten.
In Europa können Hybridfahrzeug-Konzepte verstärkt im Tram-Train-Segment beobachtet werden, da sich hier mit dem Wechsel zwischen der Stadtbahn- und Vollbahn-Infrastruktur nicht selten auch die Bedingungen für die günstigste Antriebsart ändern. Ein Beispiel aus der Bundesrepublik Deutschland stellt das Tram-Train-Konzept Karlsruher Modell dar. Die 30 im September 2009 von der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft mbH und der Verkehrsbetriebe Karlsruhe GmbH bei der Bombardier Transportation bestellten Zweisystemzüge (Flexity Swift type dual-system tram-trains) verkehren sowohl im Innenstadtbereich unter Gleichstrom als auch im Umland unter Wechselstrom [Russ10]. Vermehrt werden aber auch Hybridsysteme für Vollbahn-Fahrzeuge entwickelt. So kommen beispielsweise in Nordamerika und Europa Hybridlösungen in Rangierlokomotiven zum Einsatz. Als bedeutsamer Vorteil erweist sich hierbei die Kraftstoffeffizienz einer mit Hybridtechnik ausgestatteten Rangierlokomotive im Vergleich zu einer Dieselvariante. Entsprechende Verbrauchsreduzierungen im Umfang von 35 bis 60 Prozent sind unter Alltagsbetriebsbedingungen möglich [OoDu09]. Seit Oktober 2016 ist auch die Deutsche Bahn im Besitz von fünf Elektro-Diesel-Hybridrangierlokomotiven, die im Regionalverkehr in Franken eingesetzt werden [NEPR16].
Im Oktober 2007 wurde der erste Hybrid-Triebzug Autorail Grande Capacité (AGC) von Bombardier aus einer Reihe von über 140 Zügen in Betrieb genommen. Vom Hersteller wurde dieses Ereignis als Weltpremiere eingestuft, da bei dem Hybrid AGC bestimmte Betriebsfunktionen erstmalig in einem Zug miteinander kombiniert wurden. Aufgrund der bimodalen Hybrid-Technologie (Strom- und Dieselmotor) und der Zweispannungstechnologie (1.500 V und 25.000 V) können Hybrid AGC das gesamte Schienennetz der Société Nationale des Chemins de fer Francais (SNCF) übergangslos nutzen [Uhle09].
Ebenfalls mit einer Kombination aus Elektro- und Dieselaggregat ist der RegioCitadis ausgestattet, der im nordhessischen Verkehrsverbund Kassel mit dem Umland verbindet. Diese sogenannten RegioTram-Fahrzeuge sind die weltweit ersten serienmäßigen Hybrid-Stadtbahnen. In der Stadt verkehren sie unter Nutzung der Straßenbahnfahrleitungen. Auf nicht elektrifizierten Strecken des Umlandes kommt der Dieselmotor zum Einsatz [Stre10].
Im Februar 2010 präsentierte der Hersteller Alstom Transport die ersten 15 Fahrzeuge der Baureihe (BR) Citadis-Dualis. Als Weiterentwicklung des RegioCitadis verfügt der Citadis-Dualis über besonders umweltfreundliche Eigenschaften. So zeichnet er sich beispielsweise durch eine 99%-ige Rekuperation und recyclebare Materialien aus [Hond10; Smit10].
Auch im Hochgeschwindigkeitsverkehr zeigen sich erste Bestrebungen, Hybridfahrzeuge einzusetzen. So legte der spanische Hersteller Patentes Talgo S.L. 2010 ein Konzept für einen Hybrid-Triebzug vor. Bei diesem Konzept sollen ein elektrischer Triebkopf und ein Dieselmotor an den jeweiligen Enden des Zuges für Traktion sorgen. Die Höchstgeschwindigkeit wird mit 250 km/h auf elektrifizierten Strecken und 180 km/h auf nicht elektrifizierten Strecken angegeben. Eine Umstellung von einer auf die andere Antriebsart ist während der Fahrt möglich. Dies sorgt für nennenswerte Fahrzeitverkürzungen, wie beispielsweise auf der von dem spanischen EVU "Renfe Operadora" betriebenen Verbindung Madrid Galizien [TALGO10; Amal12].