Relevante Einflussgrößen auf den Energieverbrauch im Schienenverkehr
Erstellt am: 16.02.2011 | Stand des Wissens: 29.02.2024
Ansprechperson
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Bei der Eisenbahn rollen Stahlräder auf Stahlschienen. Sie bilden das sogenannte Rad-Schiene-System (Abbildung 1). Aus der kleinen Aufstandsfläche zwischen Rad und Schiene und dem niedrigen Rollreibungswiderstand zwischen den Stahlflächen (circa 0,1 Prozent der Gewichtskraft, bei der Paarung Gummireifen / Straßenbelag dagegen etwa 1 Prozent der Gewichtskraft) resultiert ein verhältnismäßig geringer Fahrwiderstand [Wend03; PACH99] . Bezieht man die Antriebskräfte auf die Gewichtskraft, so sind diese aufgrund der geringeren Haftreibungsbeiwerte bei der Eisenbahn bedeutend kleiner als bei Straßenfahrzeugen. Daraus folgt, dass die Massenkräfte bei der Bahn eine größere Rolle spielen: Schienenfahrzeuge haben dementsprechend beim Beschleunigen und Bremsen auch ein stärkeres Trägheitsverhalten. Gleichzeitig ist die Eisenbahn steigungsempfindlicher, da die Hangabtriebskräfte beim Befahren geneigter Strecken proportional zur Fahrzeugmasse sind [PACH99].

Die wichtigsten relevanten Einflussgrößen bezüglich des Energieverbrauchs bei der Eisenbahn sind
- die Gesamtmasse des Zuges,
- die Neigungsverhältnisse der befahrenen Strecke,
- die aktuelle Fahrgeschwindigkeit,
- der quadratisch mit der Geschwindigkeit zunehmende aerodynamische Luftwiderstand sowie
- der Gegen- sowie Seitenwind.
Je höher die Geschwindigkeit, desto größer ist der Anteil des aerodynamischen Widerstands am Gesamtwiderstand [MaOr10].
Durch den Einsatz energieeffizienter Betriebsweisen sowie optimierter Triebfahrzeuge und Waggons kann der Schienenverkehr seine Stärken hinsichtlich seines - im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern - niedrigeren Energiebedarfs voll ausspielen. So ermöglichen Zugfahrten mit wenigen Halten die Reduktion energieintensiver Anfahrvorgänge (insbesondere bei langen, schweren Zügen). Auch durch die Bildung langer Züge lässt sich der Luftwiderstand und somit der Verbrauch an Traktionsenergie - im Vergleich zum Transport kleinerer Einheiten - senken. Die Nutzung von längeren, besser an die transportierten Einheiten angepassten, Waggons könnte im Güterverkehr zu erheblichen Energieeinsparungen führen, wie das Projekt VEL-Waggon zeigt [CaSt12].
Auch im Personenverkehr spielt der Auslastungsgrad eine wichtige Rolle bezüglich der Energieeinsparungspotenziale. Angesichts der hohen Fahrzeugeigenmassen ist hier der Energieverbrauch quasi unabhängig vom Zugbesetzungsgrad. So ergibt sich beispielsweise bei einer Eigenmasse eines ICE 2- oder ICE-3-Triebzugs von circa 400 t (375 Sitzplätze) lediglich eine besetzungsabhängige Schwankungsbreite von 4 Prozent (+/- 16 t) [Behm07]. Entsprechend kommt der Zugauslastung vermutlich die größte Bedeutung im Hinblick auf eine Energieeffizienzsteigerung zu [UIC02e]. In Anbetracht einer mittleren Auslastung von rund 50 Prozent im deutschen Fernverkehr und noch geringerer Werte bei Nahverkehrsangeboten besteht hier ein bedeutendes Potenzial [DBAG13a]. Die Auslastung erfuhr seit 2009 einen regelmäßigen leichten Anstieg von 45,1 % auf 56,1 % im Jahr 2019. Pandemiebedingt ist die Auslastungsquote zwischenzeitlich auf 30,7 % gesunken und lag 2022 auf ungefähr dem Niveau von 2009, bei lediglich 45,9%. [Stat24b]
Schienenverkehrsanbieter müssen jeweils das Optimum in Bezug auf die Reisegeschwindigkeit ermitteln: Höhere Geschwindigkeiten verbessern einerseits zwar die Wettbewerbsposition zu konkurrierenden Verkehrsmitteln und tragen damit potenziell zu einer besseren Auslastung bei, andererseits wirken sie sich jedoch nachteilig auf die Kostenseite und dabei insbesondere den Energieverbrauch aus. Fahrzeiteinsparungen sind bei einem Geschwindigkeitssprung von 100 auf 200 km/h wesentlich größer als von 300 auf 400 km/h (Abbildung 2). Der Energiemehrverbrauch je eingesparter Fahrzeitminute wächst mit zunehmender Geschwindigkeit jedoch drastisch an. Daher hat sich für den mitteleuropäischen Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) eine Systemgeschwindigkeit von 250 bis 300 km/h als vorteilhaft erwiesen. Durch die Nutzung von Geschwindigkeitsoptimierungsmodellen wird versucht, die energieeffizienteste Geschwindigkeit für den Zugbetrieb zu ermitteln. In neueren Modellen wird unter anderem die räumliche und zeitliche Abstimmung des Zugverkehrs ermittelt, um integrative Fahrpläne und Geschwindigkeitsprofile zu erstellen. Diese Modelle sollen auch die Auswirkungen von Bahnverkehrsstörungen auf das komplette System minimieren [YANG16; Umil16].

Als Treiber des Energiebedarfssind unter anderem zu identifizieren:
- kürzere Haltabstände,
- höhere Geschwindigkeiten,
- zunehmende Streckenanteile in Tunnellage,
- stärkere Trassengradienten (z. B. größere Steigungen),
- die Vollklimatisierung von Fahrzeugen und
- schlechte Betriebsqualität (zusätzliche unplanmäßige Zughalte).
Energiesparpotenziale liegen bei Schienenverkehrsangeboten daher insbesondere