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Vulkanasche und die Auswirkungen auf den Luftverkehr

Erstellt am: 15.06.2010 | Stand des Wissens: 07.02.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Einfluss von in der Luft befindlicher Vulkanasche auf den Luftverkehr
EUROCONTROL definiert Vulkanasche als Oxidationsrückstände in Form von kleinen, einzelnen Teilen, deren Partikelgröße im Allgemeinen kleiner als 2 Millimeter ist und von einem Vulkanausbruch stammen (sehr kleine Pyroklasten).
Der Ausbruch des Isländischen Vulkans "Eyjafjallajökull" am 20. März 2010 hatte bisher nicht da gewesene Auswirkungen auf den europäischen Luftverkehr zur Folge. Kurz nach dem Ausbruch war anhand von Satellitenbildern erkennbar, dass sich die Aschewolke stetig auf den gesamten europäischen Luftraum ausbreitet. Infolgedessen erließen die europäischen Regierungen einheitlich ein flächendeckendes Flugverbot, da die direkten Auswirkungen auf den Luftverkehr nicht oder nur unzureichend erforscht waren und das Risiko für einen Totalverlust von Luftfahrzeugen bestand. Nach einigen Tagen und weiteren Erkenntnissen aus Untersuchungsergebnissen (durch beauftragte nationale Forschungseinrichtungen) wurden den Flugzeugbetreibern vereinzelt Flüge unter Sonderregelungen, wie zum Beispiel kontrollierter Sichtflug, gestattet. Am 04. Mai 2010 führten die Folgen eines abermaligen Ausbruchs des Vulkans "Eyjafjallajökull" zu einer erneuten Sperrung des europäischen Luftraums.
Schutz- und Vorhersagemechanismen für Vulkanasche
Seit 1993 betreibt die ICAO im Rahmen des Programms "International Airways Volcano Watch" insgesamt neun weltweit operierende Messzentren (Volcanic Ash Advisory Center) für vulkanische Aktivitäten. Ihre Aufgabe ist es zunächst, im Rahmen der sogenannten Pre-Eruption Procedures eine erhöhte Aktivität des Vulkans vor dessen eigentlichem Ausbruch zu melden. Weiterhin ist es die Aufgabe dieser Überwachungszentren, über tatsächliche Eruptionen mittels sogenannter ASHTAMs als spezielles NOTAMs (Notice(s) to Airmen) den in der Luft befindlichen Verkehr zu warnen.
Die Informationen, auf deren Basis diese ASHTAMs erstellt werden, stammen sowohl von Vulkanobservationsstellen, als auch von Satelliten, Messflugzeugen und Flugbetriebsmitteilungen. Diese Stellen müssen entsprechend relevante Informationen sofort an die zuständigen Area Control Center (ACC) beziehungsweise Flight Information Regions (FIR) weiterleiten.
Die Überwachungszentren (Volcanic Ash Advisory Center) befinden sich an den Standorten Anchorage, Buenos Aires, Darwin, London, Montreal, Tokio, Toulouse, Washington und Wellington.
Ein weiteres Instrument für die Vorhersage von atmosphärischer Vulkanasche ist das Volcanic Ash Forecast Transport and Dispersion Model (VAFTAD) des Air Resources Laboratory (ARL) der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA). Die nationalen Wetterdienste (in Deutschland ist es der DWD) können direkt auf die Modellergebnisse des VAFTAD zugreifen und sich die atmosphärische Ascheverteilung und -konzentration visualisieren lassen. Das VAFTAD selbst ist ein auf meteorologische und vulkanologische Daten basierendes 3D Euler-Modell.
Auswirkungen von Vulkanasche auf die Luftfahrzeugtechnik
Das Luftfahrtbundesamt (LBA) und die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) gehen davon aus, dass Flüge durch mit Vulkanasche kontaminierte Lufträume zu einer mittel- und langfristigen Fluguntüchtigkeit des Fluggerätes führen können. Auch Totalverluste sind denkbar. Dabei betont das LBA, dass Störungen verschiedener Art bereits bei geringer Konzentration von Vulkanasche auftreten können. Am kritischsten sieht es die Rolle der Triebwerkwerke hinsichtlich Partikelverträglichkeit. Die Vulkanasche kann ab einer noch zu untersuchenden Grenzkonzentration zur Verglasung von heißen Triebwerkskomponenten führen, die in ihrem Verlauf Triebwerkskomponenten (im wesentlichen Komponenten der Hochdruckturbine) blockieren. Der Ausfall des Triebwerks ist in diesem Falle wahrscheinlich, da der Kreisprozess unterbrochen wird. Ein Neustart des Triebwerks im Fluge ist empirischen Erkenntnissen zufolge aber in der Regel möglich. Weiterhin können auch wichtige Bordsensoren und Cockpitscheiben durch die abrasive Wirkung der Pyroklasten quasi sandgestrahlt und damit in ihrer Funktion beeinträchtigt werden.
Vorkommnisse mit Vulkanasche im Luftverkehr
Zwei Zwischenfälle erlangten in der Vergangenheit größere Bekanntheit. Der erste ereignete sich im Jahr 1982. Eine Maschine der British Airways (BA) gelangte während eines regulären Fluges von Kuala Lumpur nach Perth in die Aschewolke des zuvor ausgebrochenen indonesischen Mount "Galunggung". Der Besatzung der Boeing B747-400 gelang es nach dem Ausfall aller vier Triebwerke zunächst ein Triebwerk wieder zu starten. Anschließend ließen sich auch die anderen Motoren in geringer Flughöhe wieder starten, eine Sicherheitslandung in Jakarta war dennoch erforderlich und aufgrund stark beschädigter Cockpitverglasung und reduzierter Triebwerksleistung äußerst prekär.
Der zweite außergewöhnliche Fall ereignete sich sieben Jahre später. Ein Boeing B747-200 der niederländischen KLM befand sich auf einem Linienflug von Amsterdam nach Anchorage, als sich eine als konventionell angesehene Wolke beim Durchflug als Vulkanaschewolke zeigte. Auch in diesem Fall fielen zunächst alle vier Triebwerke aus. Sie ließen sich auch hier nach vielen Anlassversuchen wieder starten. Das Luftfahrzeug landete sicher in Anchorage. Allerdings ließen sich nach der Landung an dem Flugzeug, infolge des Durchflugs durch die Aschwolke, eine Reihe substanzieller Schäden feststellen.
Welche Änderungen wurden seit 2010 im Luftverkehr umgesetzt?
Aufgrund des einerseits enormen wirtschaftlichen Schadens im Bereich von über 1 Milliarde Euro, welcher die vorsorgliche Sperrung Europäischer Lufträume bereits verursacht hatte, und andererseits aufgrund von mangelhaften Ursache-Wirkung Kenntnisständen von Vulkanasche auf die Funktionalität von Mantelstromtriebwerken, wurden empirisch deduktive Erkenntnisse formuliert und in Maßnahmenkataloge umgesetzt.
Seit Mai 2010 wurden unter Federführung der britischen Luftfahrtbehörde CAA Definitionen von Schutzräumen erlassen. Diese unterteilen sich in die Time Limited Zone (TLZ), die zeitlich begrenztes Verweilen in diesem Gebiet zulässt sowie zwischen der No Fly Zone (NFZ) und der Enhanced Procedures Zone (EPZ) liegt. Die TLZ darf erst nach Vorlage und Genehmigung einer Sicherheitsuntersuchung (Safety Case) erfolgen. Die Verfahrensweise zur Erstellung eines Safety Case ist methodisch von EUROCONTROL festgelegt worden. Es wird seitens der Behörde verbindlich gefordert, dass der Antragsteller hierzu den jeweiligen Triebwerks- und Luftfahrzeughersteller mit einbindet.
Die Verfahrensweisen der Cockpitcrews innerhalb der TLZ oder EPZ wird airlinespezifisch in entsprechenden Standard Operating Procedures (SOPS) festgelegt. Sie reichen von erhöhter Aufmerksamkeit den Triebwerksparametern gegenüber bis hin zum konkreten Schalten spezifischer Sicherheitssysteme.
Stark im Wandel ist allerdings noch die Definition der oben genannten Gebiete über festzulegende Massekonzentrationen. 27 europäische Staaten folgen dabei dem 3-Zonen-Modell der EUROCONTROL, demzufolge Flüge ab einer Konzentration von 2 Milligramm pro Kubikmeter verboten sind. Das Flugverbot gilt dann zusätzlich um einen 110 Kilometer Radius um die Verbotszone [DeWe10, DLR10c]. Im April und Mai 2010 erfolgte seitens des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), in Zusammenarbeit mit Forschungspartnern und Wetterdiensten im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS - heute BMVI), eine umfangreiche Messkampagne mithilfe zahlreicher Messflüge zwischen Deutschland und Island, die am Boden durch LIDAR Messungen begleitet wurden. Die Auswertung der umfänglichen Messdaten hinsichtlich Asche Massenkonzentration, Schwefeldioxid (SO2), Temperatur und Feuchte innerhalb von Aschewolken erfolgte bis Ende 2010. Fest steht bereits, dass Partikelgrößen oberhalb von 50 Mikrometern rasch ausfallen. Interessanter Weise konnte an dem Messflugzeug selbst trotz tagelangem Durchflug von Aschegebieten keine Triebwerksbeschädigungen festgestellt werden. Die ICAO brachte den offiziellen Volcanic Ash Contingency Plan, als Reaktion auf den Ausbruch des Eyjafjallajökull im Jahr 2010 heraus [ICAO10].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Sicherheitsaspekte im Flugbetrieb (Stand des Wissens: 20.02.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?87967
Literatur
[DeWe10] Christoph Hasselbach, Marion Linnenbrink EU vereinbart einheitliche Aschegrenzwerte, 2010/05/04
[DLR10c] Schumann Ergebnisse der DLR-Falcon-Messungen in Vulkanasche-Wolken vom 18.April bis 03.Mai 2010 und Empfehlungen, 2010
[ICAO10] Internationale Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organization-ICAO) (Hrsg.) Volcanic Ash Contingency Plan - EUR and NAT Regions, 2010
Weiterführende Literatur
[LBA10a] Luftfahrt-Bundesamt (LBA) (Hrsg.) Bekanntmachung des Luftfahrt-Bundesamtes über Instandhaltungsmaßnahmen zum Betrieb von Luftfahrzeugen in mit Vulkanasche geringfügig kontaminierten Lufträumen, 2010/06/04
[TUD10] IFL, TU Dresden - Professur Technologie und Logistik des Luftverkehrs, Prof. Dr.-Ing. H. Fricke (Hrsg.) Der Einfluss von Vulkanasche auf den Flugbetrieb, 2010
[ICAO04] Internationale Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organization-ICAO) (Hrsg.) Handbook on the international airways volcanic watch (IAVW), 2004
[Skyb14a] EUROCONTROL - European Organisation for the Safety of Air Navigation (Hrsg.) Skybrary: Volcanic Ash, veröffentlicht in Skybrary - Expertenplattform der Eurocontrol, 2014/11/17
[ASN13] ASN - Aviation Safety Network (Hrsg.) Statistik der ASN - Aviation Safety Network der Flight Safety Foundation, 2013
Glossar
EASA Die European Aviation Safety Agency (EASA) ist die Europäische Agentur für Flugsicherheit der Europäischen Union (EU). Die EASA wurde am 15. Juli 2002 gegründet. Sie bereitet Gesetzesvorschläge vor und berät Kommission und Mitgliedstaaten der EU zum Thema Flugverkehr. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Harmonisierung und Umsetzung geeigneter Umwelt- und Sicherheitsstandards in der Zivilluftfahrt für das gesamte EU-Gebiet.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Lidar Lidar (Light Detection And Ranging) oder auch Laserentfernungsmessung funktioniert im Prinzip ähnlich wie Radar, nur dass anstatt der elektromagnetischen Wellen Laserstrahlen verwendet werden. Im Gegensatz zu Radar wird die Objektgeschwindigkeit gewöhnlich über mehrere Entfernungsmessungen bestimmt und nicht direkt durch Auswertung des Dopplereffektes. Ein Nachteil der Lidar-Systeme ist die Empfindlichkeit gegenüber Witterung (Nebel, Schnee und Regen, aber auch Gischtfahnen von vorausfahrenden Fahrzeugen) und die mögliche Verschmutzung der Empfangsoptik.
ICAO
Die International Civil Aviation Organization (ICAO) ist die Internationale Zivilluftfahrtorganisation zur Vereinheitlichung und Regelung der Zivilluftfahrt durch Veröffentlichungen von Richtlinien und Empfehlungen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?322250

Gedruckt am Mittwoch, 24. April 2024 16:31:58