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Staatliche Maßnahmen in der Vergangenheit für Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr

Erstellt am: 03.06.2010 | Stand des Wissens: 21.06.2019
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Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Begonnen hat die Förderung der Fahrgemeinschaften (Car Pools) durch den Staat in den USA. In Deutschland entwickelte sich der Gedanke Fahrgemeinschaften zu bilden erst nach der Ölkrise 1973.
In den USA setzte der Staat in den letzten Jahrzehnten steuerliche Anreize und die Bereitstellung eigener Fahrstreifen ein. Ein entscheidender Ansatzpunkt war, Arbeitgeber in die Mitverantwortung für den von ihnen erzeugten Mitarbeiterverkehr und den daraus resultierenden Schadstoffausstoß zu nehmen. Dieses indirekte Förderinstrument ließe sich auch auf Deutschland übertragen [Schä02].
Ein Hochphase bei den Fahrgemeinschaften wurde durch die Ölkrise 1973 ausgelöst. Dabei wurden in den USA [Reinke85]:
  • Handbücher an 20.000 Betriebe verschickt und teils private, teils öffentliche Commuter Transportation Agencies gegründet,
  • Straßenbaumittel für die Förderung von Fahrgemeinschaften eingesetzt, 80 Demonstrationsprojekte in 26 Bundesstaaten finanziert und dabei "Matching"-Systeme entwickelt,
  • nationale Werbekampagnen "Pool it!" und "Double up America" durchgeführt und Pendler nachdrücklich zur Bildung von Fahrgemeinschaften aufgefordert,
  • HOV (High Occupany Vehicles)-Lanes sowie HOV-Zufahrtsdosierungen eingerichtet und
  • für Fahrgemeinschaften reduzierte Gebühren bei bestimmten Schnellstraßen und Brücken erhoben.
Als Ergebnis konnten unter anderem die Pkw-Fahrleistungen um insgesamt 23,5 Prozent reduziert und Verschiebungen im Modal-Split von bis zu 12 Prozent erreicht werden. In Los Angeles konnten in der Spitzenstunde der Verkehrsstau um 40 Prozent reduziert werden [Reinke85; Funk06].

Neuen Schwung bekam die Car-Pool-Bewegung durch Gesetze zur Luftreinhaltung ("Clean-Air-Act-Amendments", 1990) und den "Intermodal Surface Transportation Efficiency Act" (ISTEA, 1991). Dabei wurden Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigen verpflichtet, Verkehrsreduzierungspläne aufzustellen und Reduzierungen im Verkehrsaufkommen zu realisieren [Schä02, LWFB03].

Mit dem "Transportation Equity Act for the 21st Century" (TEA 21, 1998) wurde das Steuergesetz dahingehend ergänzt, dass Arbeitgebern künftig erlaubt wird, ihren Arbeitnehmern steuerfreie Zuschüsse bis zur 100 Doller pro Monat für die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und Fahrgemeinschaften zu geben. Arbeitnehmer haben so die Möglichkeit, sich den Gegenwert für die Nichtinanspruchnahme von Parkraum auszahlen zu lassen ("Parking Cash Out") [CâRi00, S. 281 ff.].

Bis zur Ölkrise 1973 spielten in Deutschland Fahrgemeinschaften praktisch keine Rolle. Statt Fahrgemeinschaften zu fördern, hat man den ÖPNV deutlich stärker ausgebaut als in den USA. Vor allem in Städten nutzt man den Ansatz der Bereitstellung separater Fahrstreifen für den ÖPNV [KoPä06].

Erste Initiativen für Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr gingen 1975 vom "Rationalisierungs-Kuratorium der deutschen Wirtschaft" (RKW) aus. Den Pendlern wurde die Nutzung von Fahrgemeinschaften aus Kostengründen empfohlen, um die Zeitvorteile des Pkw auszuschöpfen [Reinke85].

Das Bundesministerium für Verkehr startete 1980 eine Kampagne für Fahrgemeinschaften ("Ich bin Energiesparer"). Eine bereits beworbene Änderung der Kilometerpauschale in eine auch für Teilnehmer von Fahrgemeinschaften interessante "Kilometerpauschale für alle" scheiterte zunächst [Reinke85].

Reinke stellte 1985 auf Basis einer kommunalen Fahrgemeinschaftsaktion in Rodgau (Hessen) erste wichtige Erkenntnisse zu Fahrgemeinschaften zur Verfügung [Reinke85]. Im Jahr 1991 wurde in Hameln für die Vermittlung von Fahrgemeinschaften die erste Mobilitätszentrale Europas eingerichtet [Funk06, S. 45].
Laut dem Umweltbundesamt sollte der Staat Unternehmen ab 100 Mitarbeiter/innen zu einem Mobilitätsmanagement verpflichten. Damit ist eine firmeneigene Fahrtenvermittlung oder eine Zusammenarbeit mit einer Internetplattform beabsichtigt. In den letzten Jahren wurde die Bildung von Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr vorrangig durch die Kommunen und Länder unterstützt. Bekannte Beispiele sind hier die Pendlernetze der einzelnen Bundesländer die Fahrgemeinschaften im Internet vermitteln sowie die Förderung von Fahrgemeinschaften im Rahmen der Unterstützung des betrieblichen Mobilitätsmanagements durch die Kommunen. Kommunen sollten zudem Parkräume an Umsteigemöglichkeiten wie an Bahnhöfen oder Autobahn-Anschlussstellen bereitstellen, damit Mitfahrer/-innen zwischen Pkws oder dem Öffentlichen Verkehr umsteigen können [UBA10p].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr (Stand des Wissens: 21.06.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?56871
Literatur
[CâRi00] Câmara, Paulo, Rivasplata, Charles Die Rolle der Gesetzgebung / Politik in TDM- und MM-Programmen: Die TEA-21 in den USA und das White Paper in Großbritannien, veröffentlicht in Schnittstellen des Mobilitätsmanagement, Dortmunder Vertrieb für Bau- und Planungsliteratur Gutenbergstraße 59, 44139 Dortmund, 2000, ISBN/ISSN 3-929797-60-7
[Funk06] Funke, Torsten Entwicklung von Verkehrsmittelwahlmodellen für komplexere Mitfahrverkehre, Stuttgart, 2006
[KoPä06] Dr.-Ing. E.h. Wilhelm Pällmann, Kossak, Andreas, Dr.-Ing. Vier Phasen der ÖPNV-Modernisierung, veröffentlicht in Der Nahverkehr, 2006/10
[LWFB03] Beckmann, Klaus, Finke, Timo, Krug, Stephan, Langweg, Armin, Meinhard, Dirk, Witte, Andreas Mobilitätsmanagement in Deutschland und im Ausland, Stand von Theorie und Praxis, Aachen, 2003, ISBN/ISSN 3-88354-145-1
[Reinke85] Reinke, Volkmar Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr - Möglichkeiten und Grenzen der Förderung, Dortmund, 1985, ISBN/ISSN 3-88211-050-3
[Schä02] Schäfer, Marco Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr - in Deutschland auch in Zukunft nur die Nische in der Nische?, veröffentlicht in Planungsrundschau, Ausgabe/Auflage Ausgabe 05, Cottbus , 2002
[UBA10p] Umweltbundesamt (Hrsg.) CO2-Emissionsminderung im Verkehr in Deutschland - Mögliche Maßnahmen und ihre Minderungspotenziale - Ein Sachstandsbericht des Umweltbundesamtes, 2010/05
Glossar
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Verkehrsaufkommen Das Verkehrsaufkommen beschreibt die Anzahl der zurückgelegten Wege, beförderten Personen oder Güter pro Zeiteinheit. Im Unterschied dazu bezieht sich das spezifische Verkehrsaufkommen auf zurückgelegte Wege und beschreibt die mittlere Anzahl der Ortsveränderungen pro Person und Zeiteinheit.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?320754

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 11:04:59