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Vertreter der Wirtschaft im maritimen Sektor

Erstellt am: 29.01.2003 | Stand des Wissens: 15.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Wichtige wirtschaftliche Akteure im Rahmen der maritimen Seewirtschaft sind die Reedereien. Für sie steht als wirtschaftlich arbeitende Unternehmen in erster Linie die Gewinnerzielungsabsicht im Zentrum aller Aktivitäten. Reedereien sind eng in einen internationalen Wettbewerb eingebunden und müssen bestrebt sein, Kosten zu minimieren und Erlöse zu maximieren. Auf der Kostenseite der Reedereien werden die meisten Positionen auf internationalen Märkten bestimmt und sind reedereistandortunabhängig. Dies gilt nicht für Personalkosten. Diese können von den Reedereien durch ihre Standortwahl in erheblichem Maße beeinflusst werden. Aufgrund nachteiliger Wettbewerbsbedingungen am Standort Deutschland haben sich Reedereien in der Vergangenheit oft dazu entschlossen, ihre Schiffe unter ausländischen Billigflaggen fahren zu lassen und Managementaktivitäten ins Ausland zu verlagern. Infolgedessen kam es zum Abbau von Arbeitsplätzen für deutsche Seeleute. Dies bedroht den Seeschifffahrtsstandort Deutschland und gefährdet maritimes Know-how.
Als Arbeitnehmervertretung im Bereich des maritimen Sektors ist in Deutschland vor allem die Gewerkschaft ver.di zu nennen. Neben ihren gewerkschaftlichen Aufgaben der Interessenvertretung der Arbeitnehmer in Fragen von Tarifen, Löhnen und Sozialvorschriften war ver.di bis 2016 aktiv am "Maritimen Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung" beteiligt. Zwischen dem Verband Deutscher Reeder und ver.di wurde 2010 der Heuertarifvertrag für die deutsche Seeschifffahrt (HTV-See) geschlossen, welcher Januar 2012 in Kraft getreten ist und seitdem regelmäßig angepasst wurde [VDR21b]. Die Tarife wurden im Juli 2021 auf zwei Jahre erneut angepasst.
In den Lübeck-Absprachen stimmte ver.di 2003 einer Flexibilisierung der Schiffsbesetzungsverordnung (konditionierte "Öffnungsklausel") zu. Das "Seearbeitsübereinkommen, 2006" ("Maritime Labour Convention, 2006", MLC) wurde am 23. Februar 2006 ohne Gegenstimmen angenommen. Ziel des Übereinkommens ist es, durch weltweite Mindeststandards die Arbeits- und Lebensbedingungen für Seeleute zu erhöhen und Sozialdumping bzw. Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern [SBG09]. Für eine Durchsetzung des Übereinkommens war unter anderem eine Ratifizierung durch 30 Mitgliedsländer erforderlich. Diese Bedingung wurde 2012 erfüllt, sodass das Seearbeitsübereinkommen im August 2013 in Deutschland in Kraft treten konnte [MART12]. Nach Bekanntgabe einer neuen Schiffsbesetzungsverordnung, bei der die Besetzung von vier auf zwei halbiert werden wird, durch das Bundesverkehrsministerium gab ver.di jedoch den Austritt aus dem maritimen Bündnis bekannt. "Die Bundesregierung will deutsche Seeleute zum Auslaufmodell machen und den Reedereien gleichzeitig Subventionen um 130 Millionen Euro jährlich ohne Gegenleistung erhöhen", sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle. Hinzu kämen für die Reeder Vergünstigungen aus der Tonnagesteuer, sowie die Freistellung der Schiffserlöspools von der Versicherungssteuer, was insgesamt etwa 300 Millionen Euro ausmache. Damit habe die Regierung dem Maritimen Bündnis die Grundlage entzogen [verdi16].
Auf internationaler Ebene ist die "International Transport Workers' Federation" (ITF) als Akteur zu nennen, sie hilft den ihr angeschlossenen Gewerkschaften und einzelnen Seeleuten, indem sie ihnen zum Beispiel internationale Kontakte vermittelt. Die ITF setzt sich dafür ein, die Bedingungen für Seeleute aller Nationalitäten zu verbessern und eine angemessene Regulierung der Schifffahrtswirtschaft zu gewährleisten, um Interessen und Rechte der Beschäftigten zu schützen [ITF18].
Geht es um die Interessenvertretung für die im maritimen Sektor tätigen Akteure der Wirtschaft, so spielen die Verbände eine wichtige Rolle. Wichtige Verbände im maritimen Bereich in Deutschland sind:
  • Verband Deutscher Reeder (VDR),
  • Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe e.V. (ZDS),
  • Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM),
  • Zentralverband Deutscher Schiffsmakler (ZVDS).
Für den Bereich der Seeschifffahrt sind besonders die Aktivitäten des VDR hervorzuheben. Der VDR vertritt die deutschen Reedereien gegenüber europäischen und internationalen Instanzen. Ebenfalls fungiert der VDR als Arbeitgeberverband und verhandelt um Tarifvereinbarungen [VDR22].
Der ZDS ist der Bundesverband der am Seegüterumschlag in den deutschen Seehäfen beteiligten Betriebe, also ein Zusammenschluss von Hafenunternehmen, welche entweder unmittelbar oder mittelbar am Güterumschlag in den deutschen Seehäfen beteiligt sind oder der Seeschifffahrt dienen. Aufgaben des ZDS sind unter anderem die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Häfen im Hinblick auf den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur see- und landseitig und das Abschließen von Tarifverträgen für die Hafenarbeiter der tarifgebundenen Mitglieder [ZDS18a].
Der VSM ist die politische und wirtschaftliche Interessenvertretung der deutschen maritimen Industrie, der Werften und Zulieferer für den Schiffbau und die Meerestechnik, unter anderem See- und Binnenschiffswerften, Maschinen- und Ausrüstungsproduzenten, Klassifikationsgesellschaften, Versuchsanstalten und Ingenieurbüros [VSM18]. Der Verband unterstützt unter anderem seine Mitglieder gegenüber der Öffentlichkeit und politischen Institutionen und fördert die technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen des Schiffbaus und der Meerestechnik im In- und Ausland [VSM18].
Als nationale Dachorganisation aller zwölf in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen örtlichen Schiffsmaklerverbände (insgesamt rund 300 Schiffsmaklerfirmen) übernimmt der ZVDS die Durchsetzung gemeinsamer Berufs- und Standesinteressen und vertritt diese in Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden, anderen nationalen Verbänden und Institutionen [ZVDS18].
Um maritime Wirtschaftskompetenzen am Standort Deutschland zu stärken, ist eine engere Zusammenarbeit und Vernetzung von maritimen Unternehmen anzustreben. Diese Aufgabe wird aus Sicht der Politik den Unternehmen zugewiesen.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Maritime Kompetenzen in Deutschland (Stand des Wissens: 15.05.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?409965
Literatur
[ITF18] o.A. Seeleute, London, 2018
[MART12] Martinage, Jean-Luc Milestone ratifications of seafarers' labour rights charter, 2012/08/20
[SBG09] Christian Bubenzer Das ILO-Seearbeitsübereinkommen - ein Meilenstein für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen von Seeleuten, Warnemünde, 2009/11/19
[VDR21b] Verband Deutscher Reeder Heuertarifvertrag für die deutsche Seeschifffahrt (HTV-See)
, 2021
[VDR22] Verband Deutscher Reeder Auf einen Blick, 2022
[verdi16] Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Hrsg.) ver.di verlässt maritimes Bündnis, 2016/06/24
[VSM18] Verband für Schiffbau und Meerestechnik Über den Verband für Schiffbau und Meerestechnik , 2018
[ZDS18a] Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe e.V. Aufgaben des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe e.V., Hamburg, 2018
[ZVDS18] Zentralverband Deutscher Schiffsmakler e.V. Ziele und Leistungen des Zentralverbandes Deutscher Schiffsmakler e.V. , Hamburg, 2018
Glossar
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Tonnagesteuer Die Tonnagesteuer ist eine besondere Art der Gewinnbesteuerung für Reedereiunternehmen. Dabei wird der Gewinn pauschal nach der im Betrieb geführten Tonnage - unabhängig von der Höhe der tatsächlichen Gewinne oder Verluste - ermittelt und pauschal besteuert. Auf EU-Ebene wurde die Tonnagesteuer als wettbewerbskonform anerkannt. In Deutschland wurde die Tonnagesteuer zu Beginn des Jahres 1999 eingeführt. Sie ist verankert im § 5a EstG.
Ausflaggen Ausflaggen bedeutet, ein Schiff in einem anderen Staat registrieren zu lassen und unter dessen Flagge zu fahren. Das Ausflaggen erfolgt, um Steuervorteile zu erlangen oder die Betriebskosten zu senken. Durch das Ausflaggen werden oft sogenannte „Billigflaggen” oder „flags of convenience” genutzt.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?31356

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 07:27:10