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Barrierefreie Gestaltung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)

Erstellt am: 28.01.2003 | Stand des Wissens: 03.01.2018
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Die Verbesserung der Mobilitätschancen aller Menschen, einschließlich mobilitätseingeschränkter Personen, mittels des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) hat insbesondere aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen erhebliche Bedeutung und ist in Deutschland als gesellschaftspolitisches Ziel anerkannt [Blen03a].

Die heutige Auffassung besteht darin, dass die Beförderung von mobilitätseingeschränkten Personen integrativ im vorhandenen ÖPNV-System erfolgen muss (im Gegensatz zu früheren Einschätzungen, dass für Menschen mit Behinderung ein eigenes Beförderungssystem erforderlich ist, mit Ausnahme von Schwerstbehinderten). Mobilitätseingeschränkte müssen künftig die Möglichkeit einer selbstständigen durchführbaren Mobilität haben.

Der ÖPNV hat eine zentrale Bedeutung für mobilitätsbehinderte Menschen. Vielen dieser Personen stehen andere Verkehrsmittel nur eingeschränkt oder überhaupt nicht zur Verfügung. Die barrierefreie Gestaltung des ÖPNV kommt dabei nicht nur dieser Personengruppe zu Gute, sondern steigert insgesamt die Nutzungsqualität.

Das Ziel einer barrierefreien Gestaltung des ÖPNV fundiert auf einer großen Anzahl von Gesetzen. So enthalten das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, die Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen [BOStrab], die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung [EBO] und die ÖPNV-Gesetze der Länder Klauseln, die eine behindertengerechte Gestaltung des ÖPNV fordern.

Nach § 8 Absatz 2 [BGG] sind "Öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel im Öffentlichen Personenverkehr nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften des Bundes barrierefrei zu gestalten".

Gesetzlicher Ausgangspunkt ist die Regelung in § 8 Abs. 3 PBefG, die sich an die Aufgabenträger richtet und den Bezugspunkt für die weiteren Normen im novellierten PBefG mit Bezug zur Barrierefreiheit bildet "(...). Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen".

Bei der barrierefreien Gestaltung des ÖPNV dürfen nicht nur einzelne Komponenten des ÖPNV-Systems barrierefrei gestaltet sein, sondern es muss ein ganzheitliches System aus barrierefreien
  • ÖPNV-Netzen,
  • Fahrzeugen,
  • Haltestellen und
  • Informationsdienstleistungen
vorhanden sein. Zu ergänzen ist dieses System durch barrierefreie Zu- und Abgangswege zwischen Haustür und Haltestelle (barrierefreie Straßenraumgestaltung).
Nur im Zusammenspiel der Einzelkomponenten ist Barrierefreiheit im ÖPNV auf Basis des heutigen Standes der Technik sicherzustellen.
Es reicht nicht, Haltestellen oder Fahrzeuge isoliert zu betrachten, sondern sie müssen in Abhängigkeit der örtlichen Umgebung aufeinander abgestimmt sein.

In Zukunft wird sich die barrierefreie Gestaltung der Anlagen und Fahrzeuge des ÖPNV aufgrund der prognostizierten starken Veränderung der Altersstruktur für eine deutlich größere Gruppe von Personen als notwendig erweisen.

Die Maßnahmen zur barrierefreien Gestaltung des ÖPNV sind in Deutschland noch längst nicht vollendet. Insbesondere wegen der langen Lebensdauer von Infrastruktureinrichtungen und Fahrzeugen im ÖPNV bestehen noch erhebliche Defizite. Der Nachholbedarf kann nur schrittweise erfüllt werden [Blen03a].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Barrierefreie Mobilität (Stand des Wissens: 07.09.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?289388
Literatur
[Blen03a] Blennemann, Friedhelm,, Girnau, Günter, , Grossmann, Helmut, Mobilitätseingeschränkte Personen im ÖPNV - Analyse des derzeitigen Entwicklungsstandes barrierefreier Lösungen, 2003/04
Weiterführende Literatur
[VDV03b] Blennemann, Friedhelm,, Girnau, Günter,, Grossmann, Helmut Barrierefreier ÖPNV in Deutschland, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, Alba Fachverlag/Düsseldorf, 2003, ISBN/ISSN 3-87094-656-3
[Rabe03] Rabe, Werner Behindertengleichstellung im öffentlichen Personennahverkehr, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage 5, 2003/5
[Wahl06] Wahlster, M. N., Vollmer, P. E., Becker, J. Fahrgastinformation für mobilitätseingeschränkte Menschen. Projekt barrierefreie ÖV-Information schließt erste Phase ab., veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage Heft 9, Alba Fachverlag, 2006
[HBVA11] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen (H BVA), 2011/06
[Wahl07] Wahlster, Michael N.,, Becker, Josef,, et al. Informationsdienste für mobilitätseingeschränkte Menschen - Projekt BAIM: ÖV-Nutzung mit Hilfe moderner Techniken erleichtern, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage 11/2007, 2007/11
[Prog03] Matthes, Ulrike , Leypold, Patrick , Schumacher, Irina , et al. Kundenorientierung im ÖPNV - Maßnahmen zur Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen, 2003/07/23
[Topp03] Rau, A.,, Heipp, G.,, Fuss, U., et al. mobil & barrierefrei - planen, bauen, nachrüsten, veröffentlicht in Grüne Reihe des Fachgebietes Verkehrswesen der Universität Kaiserslautern, 2003/03 und 2003/06
[BMVBS10h] Universität Dortmund - Fakultät Raumplanung, Fachgebiet Verkehrswesen und Verkehrsplanung, Prof. Dr.-Ing. Christian Holz-Rau (Leitung), Stephan Günthner, Florian Krummheuer ÖPNV: Planung für ältere Menschen. Ein Leitfaden für die Praxis, 2010/03, ISBN/ISSN 1869-9324
[Busch08] Busch, F., Tsakarestos, A., ÖPNV für in der Mobilität eingeschränkte Personen, veröffentlicht in Jubiläumsband 100 Jahre DVWG, 2008
[o.A.03] o.A. VDV will barrierefreie Mobilität für alle Fahrgäste schaffen, veröffentlicht in Bus & Bahn, Ausgabe/Auflage 5, 2003/5
[BGG] Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
[BOStrab] Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung - BOStrab)
[EBO] Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO)
[PBefG] Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
Glossar
Aufgabenträger
Aufgabenträger bestellen bei den Verkehrsunternehmen die im Rahmen der Daseinsvorsorge gewünschten Nahverkehrsleistungen. Dabei gibt es Unterschiede zwischen dem Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und dem straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Im SPNV sind seit Bahnreform und ÖPNV-Regionalisierung im Jahr 1995/96 anstelle des Bundes die Länder für die Planung, Organisierung und Finanzierung verantwortlich. In einigen Ländern sind die Aufgabenträger für das gesamte Land zuständig, wie in Bayern, in anderen betreuen sie regional abgegrenzte Gebiete, wie in Nordrhein-Westfalen. Teilweise wird die Aufgabenträgerschaft den Verkehrsverbünden zugewiesen, wie in Hessen.
Die Aufgabenträgerfunktion für den straßengebundenen ÖPNV ist den Landkreisen oder kreisfreien Städten zugeordnet.
Barrierefreiheit
Barrierefreiheit bedeutet, dass bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.
Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung Die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) ist eine Verordnung für den Bau und Betrieb regelspuriger Eisenbahnen in Deutschland. Sie gilt nicht für den Bau, den Betrieb oder die Benutzung der Bahnanlagen eines nichtöffentlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmens.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Personenbeförderungsgesetz
Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) regelt die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Oberleitungsbussen (Obussen) oder Kraftfahrzeugen im Linien- und Gelegenheitsverkehr. Die Novelle des PBefG schafft einen Rechtsrahmen für neue digitale Mobilitätsangebote und berücksichtigt stärker die Belange des Klimaschutzes, der Verkehrseffizienz und die Erreichbarkeit im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse. Des Weiteren sind im PBefG Vorgaben zur Wahrung von sozialen Standards zugunsten der Beschäftigten verankert.
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
Das 1971 in Kraft getretene Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) regelt die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Gefördert werden verschiedene Baumaßnahmen von Bahnen (besonders Eisenbahnen, Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen), wobei diese dem öffentlichen Personennahverkehr dienen müssen. Voraussetzung für die Förderung ist vor allem ein Kosten-Nutzen-Faktor über 1,0 im Rahmen der Standardisierten Bewertung.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?31005

Gedruckt am Dienstag, 19. März 2024 07:53:47