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Marktprognosen und Entwicklungstendenzen im Schienenpersonenfernverkehr

Erstellt am: 01.04.2010 | Stand des Wissens: 22.04.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Verfügbare Verkehrsprognosen legen nahe, dass im Zuge der allgemein wachsenden Mobilitätsnachfrage auch die Verkehrsleistung des Personenverkehrs wachsen wird. Dies trifft auch auf die Leistungen des Schienenpersonenverkehrs zu, sowohl auf europäischer Ebene als auch in der Bundesrepublik Deutschland.
Europa
Hinsichtlich der Schienenpersonenverkehrsleistung wird durch die European Environment Agency (EEA) ein kontinuierliches aber nur moderates Wachstum für die Europäische Union (EU) bis 2030 prognostiziert. Der Großteil des Verkehrsleistungswachstums im Personenverkehr entfällt auf die konkurrierenden Verkehrsträger Straße und Luftverkehr. Abbildung 1 zeigt, dass dabei der Straßenverkehr am stärksten wachsen soll [EuKo2011, S. 136 f.].

Abb. 1: Entwicklung Personenverkehrsleistung EU, Prognose EEAAbbildung 1: Entwicklung Personenverkehrsleistung EU, Prognose EEA [EEA09, S. 29]

In ihrem "Weißbuch Verkehr" von 2011 unterscheidet die Europäische Kommission zwischen vier verschiedenen Entwicklungsszenarien (siehe auch [EuKo2011, S. 40 f.]). Bei der Prognose für das Szenario Nr. 1 "No additional EU action" wäre die Bahn - gemessen an der Verkehrsleistung - bis 2050 nur sehr begrenzt in der Lage, Marktanteile zu gewinnen (Abbildung 2), während insbesondere der Luftverkehr größere Anteile hinzugewinnen kann. Unter der Voraussetzung der Fertigstellung des europäischen Binnenmarkts, einer entwickelten Infrastruktur, Preisgestaltung und Besteuerung (Szenarion Nr. 2) wäre laut Angaben der Kommission eine Steigerung des Modal Split-Anteils der Schiene auf bis zu 13,4 Prozent (2050) möglich [EuKo2011, S. 59].
Abb.2.jpgAbbildung 2: Modal Split-Entwicklung EU, Policy Option 1 (No additional EU action), Prognose Europäischen Kommission (eigene Darstellung nach [EuKo2011, S. 59]

Bundesrepublik Deutschland
Der Personenverkehr wurde im Jahr 2020 nahezu ausschließlich von den Auswirkungen der Corona-Pandemie geprägt. Das Ausmaß der dadurch ausgelösten Rückgänge und Verlagerungen ist beachtlich. Im Gesamtjahr entstand ein Minus in Höhe von 16 Prozent (Aufkommen) beziehungsweise 21 Prozent (Leistung). Das geringste Minus war beim Individualverkehr zu beobachten (-11 Prozent). In der Abweichung der beiden Werte kommt zum Ausdruck, dass vor allem während der Lockdowns überregionale Fahrten zu einem weit höheren Teil unterlassen wurden. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand sind alle Verkehrsarten im Jahr 2020 zweistellig gesunken. Die Prognose für das Jahr 2021 war mit hohen Unsicherheiten behaftet. Für die beiden ersten Monate deuteten alle verfügbaren Frühindikatoren bei allen Verkehrsarten auf einen weiteren Einbruch hin, der jeweils etwa das Ausmaß vom Dezember 2020 annimmt. Für die weiteren Monate sollte wieder ein Zuwachs zu verzeichnen sein. Über das gesamte Jahr 2021 ergibt sich daraus ein Anstieg um 8 Prozent (Aufkommen und Leistung). Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 wird 2024 insgesamt ein Wachstum von 1 Prozent (Leistung) und 2 Prozent (Aufkommen) prognostiziert [BMVI21aa, S. 81-85].
308214_Abbildung_4.pngAbbildung 3: Modal Split des Personenverkehrsaufkommens (eigene Darstellung nach [BMVI21aa, S.87]) 
308214_Abbildung_5.pngAbb. 4: Modal Split der Personenverkehrsleistung (eigene Darstellung nach [BMVI21aa, S.87])

Im Rahmen der Verkehrsprognosen für den Bundesverkehrswegeplan 2030 wurden auch längerfristige Vorhersagen für die Entwicklung des Schienenpersonenverkehrs in Deutschland getätigt. Danach soll dieser bis 2030 um 6,9 Prozent bezüglich des Verkehrsaufkommens und um 19,2 Prozent bezüglich der Verkehrsleistung steigen (Basisjahr: 2010); dies bei einem praktisch gleichbleibenden Modal-Split-Anteil von knapp 8 Prozent (Bezug Verkehrsleistung). Der erhebliche Anstieg der Verkehrsleistung wird auf Grund von Angebotsverbesserungen vor allem des Fernverkehrs infolge eines Streckenausbaus antizipiert. Überdurchschnittlich soll die Rolle der Eisenbahn bei den Fahrtzwecken Berufs- und Geschäftsverkehr wachsen [ITP14a, S. 232 f., 236 und 245].
Im intermodalen Vergleich wird ein wesentlich schnelleres Wachstum für den Luftverkehr prognostiziert (Verkehrsleistung 2010 bis 2030: + 64,8 Prozent). Ebenfalls steigen soll die Leistung des motorisierten Individualverkehrs (+ 9,9 Prozent) sowie des öffentlichen Busverkehrs (+ 6,0 Prozent), wobei die Bahn der am stärksten wachsende landgebundene Verkehrsträger bleiben wird. [ITP14a, S. 232] Die Entwicklung der Verkehrsträger unter Einbezug des nichtmotorisierten Verkehrs zeigt Abbildung 4.

Abb. 4: Entwicklung Personenverkehr nach Verkehrszweigen, Verflechtungsprognose BMVIAbbildung 5: Entwicklung Personenverkehr nach Verkehrszweigen, Verflechtungsprognose BMVI [ITP14a, S. 234] 

Die Verkehrsleistung des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV) soll im Zeitraum 2010 bis 2030 von 36 auf 41 Milliarden Personenkilometer wachsen (+ 13 Prozent). Angenommen, dass ein Teil des zukünftigen Nachfrageanstiegs durch eine bessere Auslastung der Fahrzeuge aufgefangen werden kann, wird von einem Wachstum der Betriebsleistung von 145 auf rund 149 Milliarden Fahrzeugkilometern ausgegangen (+ 3 Prozent). [ITP14a, S. 348] Im Zuge der Nachfragezuwächse im SPFV können sich bereits im Horizont weniger Jahre deutliche [streckenbezogene] Überlastungseffekte im deutschen Schienennetz zeigen. Korridore mit den stärksten Nachfragezuwächsen im Zeitraum 2010-2030 sind, wie durch den Deutsche Bahn AG Konzern ermittelt, in Abbildung 5 dargestellt.

308214_Abbildung_6.png
Abbildung 6: Fern-/Güterverkehr Deutschland, Zunahme Zugzahlen bis 2030 (Bezug: heutige Infrastruktur) [DBAG18a, S. 14] 

 
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Der Markt des Schienenpersonenfernverkehrs (Stand des Wissens: 19.09.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?308244
Literatur
[BMVI21aa] Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (Hrsg.) Gleitende Mittelfristprognose für den Güter- und Personenverkehr Mittelfristprognose Winter 2020/2021, 2021/03
[DBAG18a] DB Netz AG (Hrsg.) Masterplan Schienengüterverkehr
, 2018/07/03
[EEA09] o. A. TERM 2008: indicators tracking transport and environment in the European Union - Transport at a crossroads, veröffentlicht in EEA Report, Ausgabe/Auflage 03/09, Brüssel, 2009, ISBN/ISSN ISBN:978-92-9167-991-1 ISSN:1725-9177
[EuKo2011] o. A. Impact Assessment, Brüssel, 2011/03/28
[ITP14a] BVU Beratergruppe Verkehr+Umwelt GmbH, Intraplan Consult GmbH, IVV-Ingenieurgruppe für Verkehrswesen und Verfahrensentwicklung, PLANCO Consulting GmbH, Schubert, Markus, Kluth, Tobias, Nebauer, Gregor, Ratzenberger, Ralf, Kotzagiorgis, Stefanos, Butz, Bernd, Schneider, Walter, Leible, Markus Verkehrsverflechtungsprognose 2030 - Schlussbericht, 2014/06/11
Weiterführende Literatur
[BMVI16d] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) Bundesverkehrswegeplan 2030, Ausgabe/Auflage März 2016, Berlin, 2016/03
[EEA12a] European Environment Agency (Hrsg.) Consumption and the environment - 2012 update
The European environment - State and outlook 2010, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2012, ISBN/ISSN 978-92-9213-313-9
Glossar
Personenkilometer
Die Einheit Personenkilometer [Pkm] beschreibt die im Rahmen einer Personenbeförderung erbrachte Verkehrsarbeit. Diese definiert sich als Produkt der Verkehrsmenge (Summe der beförderten Personen) und der von dieser dabei zurückgelegten Wegstrecke in km.
Verkehrsarbeit [Pkm] = Verkehrsmenge [P] * Wegstrecke [km]
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
Bundesverkehrswegeplan
Als Instrument einer mittel- bis langfristigen Investitionsrahmenplanung für den Erhalt und Ersatz bundeseigener Verkehrsinfrastruktur erfasst der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) das zwecks zielgerichteter Ausgestaltung sowie Erweiterung von Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und Schienenwegen des Bundes erforderliche Finanzierungsvolumen. Auf Basis verkehrsträgerübergreifender Prognosen findet in diesem Zusammenhang eine Priorisierung vorgesehener Neu- und Ausbauprojekte gemäß ihrer gesamtwirtschaftlichen Bewertung sowie ökologischer und raumordnerischer Einschätzungen statt. Grundsätzlich wird infolgedessen zwischen "vordinglichem Bedarf" (VB) und "weiterem Bedarf" (WB) unterschieden.

Der BVWP tritt auf Beschluss des Bundeskabinetts in Kraft und umfasst jeweils einen Zeithorizont von circa zehn bis 15 Jahren. Seit 1973 sind bereits sechs konsekutive Verkehrswegepläne verabschiedet worden. Der letzten, dem Jahr 2016 entstammenden Fortschreibung liegt ein Planungszeitraum bis 2030 und ein Investitionsvolumen in Höhe von 269,6 Milliarden Euro zugrunde, siehe auch gesonderte Wissenslandkarte "Bundesverkehrswegeplanung" hier im Forschungsinformationssystem.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.
Betriebsleistung
Die Betriebsleistung ist eine Kennzahl für den Umfang eines bestehenden Verkehrsangebots bezogen auf eine bestimmte Bezugsperiode (zum Beispiel ein Jahr). Sie definiert sich als Produkt einer angebotenen Kapazität (Summe eingesetzter Züge, Wagen, Fahrzeuge oder Sitzplätze) und der von ihr zurückgelegten Wegstrecke in Kilometer je betrachteter Zeiteinheit.
Betriebsleistung = (Kapazität * Wegstrecke) / Bezugsperiode
Gebräuchliche Einheiten für die Betriebsleistung sind beispielsweise Zugkilometer pro Jahr [Zugkm/a] oder Fahrzeugkilometer pro Jahr [Fzgkm/a].
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.
Schienenpersonenfernverkehr
Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) ist die Beförderung von Reisenden mit Eisenbahnzügen über längere Strecken mit mehr als einer Stunde Fahrzeit oder 50 km Entfernung. Im Gegenzug zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bzw. dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird der SPFV eigenwirtschaftlich betrieben und muss sich betriebsökonomisch selbst tragen.
Szenarien Ein Szenario ist ein Bild der Zukunft, das sich aus einer bestimmten Kombination von relevanten Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen entwickelt. Das grundsätzliche Anliegen von Szenarien besteht darin, verschiedene Handlungsoptionen zu verdeutlichen und ihre Folgewirkungen transparent zu machen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?308214

Gedruckt am Donnerstag, 18. April 2024 19:07:09