Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Umfang des regulierten Flughafenbereichs (Single-Till- vs. Dual-Till-Regulierung)

Erstellt am: 25.03.2010 | Stand des Wissens: 16.06.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Infrastrukturwirtschaft und -management - Prof. Dr. Thorsten Beckers
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Zunächst ist der Umfang des bei der Festsetzung der Regulierungsrestriktion(en) zu berücksichtigenden Bereichs zu bestimmen. Dabei handelt es sich im Flughafensektor um eine kontrovers diskutierte Frage, die besondere Aufmerksamkeit erfährt, weshalb die folgenden Betrachtungen direkt mit Bezug zu Flughäfen vorgenommen werden. Allerdings ist diese Thematik auch in anderen Sektoren von Relevanz, insbesondere wenn Mehrproduktunternehmen sowohl in regulierten als auch in unregulierten Bereichen tätig sind.

Bei der Regulierung von Flughäfen stellt sich die Frage, ob bei der Festsetzung der Regulierungsrestriktion für die Flughafenentgelte im Aviation-Bereich die Deckungsbeiträge beziehungsweise Gewinne im Non-Aviation-Bereich berücksichtigt werden sollten. Dabei sind zwei grundlegend verschiedene Ansätze zu unterscheiden: Zum einen können bei der Festsetzung des Entgeltniveaus im regulierten Aviation-Bereich sämtliche Bereiche des Flughafens einschließlich des Non-Aviation-Bereiches im Rahmen des so genannten "Single-Till-Ansatzes" berücksichtigt werden. Zum anderen kann nach dem "Dual-Till-Ansatz" eine isolierte Betrachtung der Bereiche eines Flughafens erfolgen, die für die eigentliche Leistungserstellung des Luftverkehrstransports notwendig sind, das heißt des Aviation-Bereichs. In diesem Fall werden die Einnahmen (beziehungsweise Erlöse) aus den kommerziellen Aktivitäten im Non-Aviation-Bereich und auch die in diesem Bereich anfallenden Ausgaben (beziehungsweise Kosten) bei der Regulierung der Entgelte im Aviation-Bereich ausgeblendet.

Für den Single-Till-Ansatz spricht zunächst die relativ unkomplizierte Handhabung. Der Single-Till-Ansatz erfordert weder eine unter Umständen problematische Abgrenzung der regulierten Bereiche auf der Einnahmenseite, noch eine detaillierte (Gemein-)Kostenzurechnung wie sie beim Dual-Till-Ansatz notwendig wird [Niem09]. Beim Dual-Till-Ansatz bestehen in diesem Zusammenhang für den Flughafen Anreize, auf ein höheres Entgeltniveau hinzuwirken, indem unter anderem durch die Ausnutzung buchhalterischer Spielräume Kosten aus dem unregulierten dem regulierten Bereich zugeordnet werden, was entsprechende Überprüfungen des Regulierers erfordert. Insofern fallen beim Single-Till-Ansatz grundsätzlich geringe (Transaktions-)Kosten der Regulierung an. Ferner dürfte der Single-Till-Ansatz in der Regel zu einem geringeren Entgeltniveau führen, da im Non-Aviation-Bereich infolge von dort vorliegender Marktmacht zumeist bedeutende Gewinne erzielt werden, die bei der Regulierungsentscheidung berücksichtigt werden. Diesbezüglich ist interessant, dass Flughäfen, die aufgrund bedeutender Substitutionskonkurrenz im Wettbewerb stehen, das Single-Till-Prinzip anwenden.

Zuweilen wird angeführt, dass bei einem Single-Till-Ansatz geringere Investitionsanreize bestünden, insbesondere im Hinblick auf erforderliche Kapazitätserweiterungen im Aviation-Bereich. Allerdings erscheint dieses Argument weder theoretisch, noch empirisch fundiert zu sein [Comp08]. Umfangreiche Kapazitätserweiterungsvorhaben erfolgen in der Regel ohnehin auf Basis eines Abstimmungsprozesses sowie infolge politischer Entscheidungen.

Sofern auf einen idealtypischen Single-Till-Ansatz zurückgegriffen wird, könnten jedoch im Vergleich zum Dual-Till-Ansatz (Investitions-)Anreize im Non-Aviation-Bereich beim Flughafen reduziert sein, da dieser bei einer langfristigen, Regulierungsperioden-übergreifenden Betrachtung nur in einem vergleichsweise geringen Umfang die Gewinne aus besonderen Erfolgen im Non-Aviation-Geschäft behalten darf. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, könnte erwogen werden, dass bei der Festsetzung des Entgeltniveaus im Rahmen eines Single-Till für die Berücksichtigung der erwarteten Erlöse im Non-Aviation-Bereich - unter der Annahme einer Zunahme dieser Erlöse im Zeitablauf - auf etwas weiter in der Vergangenheit liegende Perioden zurückgegriffen wird (zum Beispiel die Jahre t = -3 bis -7). Durch dieses Time-Lag hätte der Flughafen höhere Effizienzanreize im Non-Aviation-Geschäft als bei einem reinen Single-Till-Ansatz. Infolge dessen wäre auch der distributive Unterschied zwischen einem reinen Single-Till und einem Dual-Till reduziert.

Befürworter des Dual-Till-Prinzips bemängeln bei Anwendung des Single-Till-Prinzips ferner ein möglicherweise ineffizient niedriges Entgeltniveau bei Flughäfen, an denen Kapazitätsengpässe vorliegen [Niem09 und Star01]. Allerdings sollte zur Allokation knapper Kapazitäten im Falle von Flughäfen vielmehr auf einen Slot-Handel zurückgegriffen werden [MoKo16]. Durch die Nutzung eines derartigen Mengenmechanismus kann im Gegensatz zu einem Peak-Load-Pricing neben einer effizienten Kapazitätsallokation auch eine Minimierung der Entgelte erreicht werden. Zwar werden an kapazitätsbeschränkten Flughäfen von einer auf die Minimierung des Entgeltniveaus zielenden Regulierung grundsätzlich zunächst nicht direkt die Endnachfrager profitieren, sondern vielmehr werden entsprechende (Knappheits-)Renten bei den Fluggesellschaften anfallen. Wie dargestellt bietet der Single-Till-Ansatz jedoch unkompliziert die Möglichkeit, in dieser Konstellation andere Zuordnungen von Knappheitsrenten zu erreichen. Zu berücksichtigen ist auch, dass mit einer auf die Minimierung des Entgeltniveaus ausgerichteten Regulierung ein Beitrag zur Reduktion der Transaktionskosten in der vertikalen Beziehung zwischen (Hub-)Flughäfen und (Hub-)Fluggesellschaften geleistet werden kann, was eine wohlfahrtsökonomische Relevanz besitzt und langfristig auch aus Sicht der Endnachfrager Vorteile aufweisen kann.

Insgesamt dürften die Vorteile eines Single-Till dessen Nachteile deutlich überwiegen. Sofern keine Entgeltminimierung und in diesem Zusammenhang eine Verschiebung von Renten von den Fluggesellschaften zu den Flughäfen politisch intendiert ist, sollte dennoch kein Dual-Till gewählt werden. Um die Transaktionskosten im Vergleich zu einem Dual-Till zu reduzieren, sollte in diesem Fall vielmehr ein "abgeschwächter Single-Till" genutzt werden, indem Einnahmeüberschüsse aus dem Non-Aviation-Bereich nur in einem reduzierten Umfang berücksichtigt werden. Dies könnte beispielsweise durch einen Rückgriff auf weiter in der Vergangenheit liegende Ergebnisse des Non-Aviation-Bereichs geschehen, da die Einnahmen im Non-Aviation-Bereich im Zeitablauf zumeist steigen.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Flughafenregulierung (Stand des Wissens: 16.06.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?302668
Literatur
[Comp08] Competition Commission Stansted Airport Ltd - Q5 price control review, 2008
[MoKo16] Monopolkommission (Hrsg.) Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB - Kapitel Flughafenregulierung, 2016/09/20
[Niem09] Niemeier, H.-M. Gateway Airport Investment & Development of Airline Services for a Global Economy, Leipzig, 2009
[Star01] Strakie, D. Reforming UK Airport Regulation, veröffentlicht in Journal of Transport Economics and Policy, Ausgabe/Auflage Vol. 35, No. 1, 2001
Glossar
Single-Till-Ansatz Bei der Regulierung von Flughäfen stellt sich die Frage, ob bei der Festsetzung der Regulierungsrestriktion für die Flughafenentgelte im Aviation-Bereich die Deckungsbeiträge bzw. Gewinne im Non-Aviation-Bereich berücksichtigt werden sollten. Dabei sind zwei grundlegend verschiedene Ansätze zu unterscheiden: Zum einen können bei der Festsetzung des Entgeltniveaus im regulierten Aviation-Bereich sämtliche Bereiche des Flughafens einschließlich des Non-Aviation-Bereiches im Rahmen des so genannten "Single-Till-Ansatzes" berücksichtigt werden. Zum anderen kann nach dem "Dual-Till-Ansatz" eine isolierte Betrachtung der Bereiche eines Flughafens erfolgen, die für die eigentliche Leistungserstellung des Luftverkehrstransports notwendig sind, d. h. des Aviation-Bereichs. In diesem Fall werden die Einnahmen (bzw. Erlöse) aus den kommerziellen Aktivitäten im Non-Aviation-Bereich und auch die in diesem Bereich anfallenden Ausgaben (bzw. Kosten) bei der Regulierung der Entgelte im Aviation-Bereich ausgeblendet.
Peak-Load-Pricing Preisbildungsregel für die Inanspruchnahme von Leistungen der Infrastruktur, die die Nachfrage auf das (meist) wenig flexible Angebot abstimmen soll. Bei zeitlich flukturierender Nachfrage (z.B. öffentlicher Nahverkehr) werden in Spitzenzeiten höhere Preise erhoben als in Talzeiten. Die Preise sollen demnach die Knappheitsverhältnisse signalisieren, wobei nach Möglichkeit die direkten Kosten der Leistungserstellung jeweils gedeckt sind.
Hub Der Begriff Hub kommt vom englischen Begriff "Hub and Spoke", was im Deutschen "Nabe und Speiche" entspricht. Der Hub dient als Sammel- und Knotenpunkt für Hauptverkehrswegen für den Umschlag und die Zusammenfassung von Warenströmen in alle Richtungen, d.h. zur Warenübergabe an regionale Verteiler. Im Postwesen handelt es sich bei Hubs häufig um Paketzentren. Die Transportmittel zur weiteren Beförderung der Sendungen variieren (Schiffe, Flugzeuge, Lkw).

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?302265

Gedruckt am Dienstag, 23. April 2024 16:40:39