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Tonnagegewinnermittlung für deutsche Reeder

Erstellt am: 27.01.2003 | Stand des Wissens: 15.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Die Höhe von Steuern und Abgaben auf Unternehmensgewinne ist eine Kernfrage bei der Standortwahl von Unternehmen. Dies gilt auch für Reedereien. Aufgrund der Internationalisierung der Seeschifffahrt haben Reedereien bezüglich ihrer Standortwahl in den letzten Jahrzehnten eine hohe Flexibilität bewiesen. Um maritime Kompetenzen in Deutschland zu erhalten, ist es notwendig, den Reedern ein im internationalen Vergleich gleichwertiges oder vorteilhaftes Besteuerungsverfahren anzubieten. Die Einführung der Tonnagesteuer wurde aufgrund der Notwendigkeit der Schaffung von wettbewerbsfähigen Standortbedingungen auch in vielen anderen europäischen Ländern vorgenommen [PwC00, S. 67; Midd00].

Die Besteuerung der Unternehmensgewinne von Reedereien kann nach zwei unterschiedlichen Maßstäben erfolgen:
  • Variante 1: Normale Gewinnermittlung über Gewinn- und Verlustrechnung der Gesellschaft und Besteuerung gemäß Einkommenssteuergesetz.
  • Variante 2: Pauschale Gewinnermittlung nach der im Betrieb geführten Tonnage - unabhängig von der Höhe der tatsächlichen Gewinne oder Verluste - und pauschale Besteuerung des so ermittelten Gewinns (so genannte Tonnagesteuer).
Die Tonnagesteuer hat für die Schifffahrtsunternehmen den Vorteil, dass die zu zahlende Steuersumme im Voraus bekannt ist und somit Unsicherheiten reduziert werden [PRC98, S. 52]. Auf EU-Ebene wurde die Tonnagesteuer als wettbewerbskonform anerkannt, die Kommission sieht sie jedoch als staatliche Beihilfe und zeitweilige Abweichung von den Wettbewerbsgrundsätzen an [LeMC05, S.178].

In Deutschland wurde die Tonnagesteuer 1999 eingeführt und orientierte sich stark an der damals bereits bestehenden Tonnagesteuer in den Niederlanden [BMF09, S. 481]. Sie ist verankert im § 5a EstG [§ 5a EStG]. Die deutschen Reedereien haben seitdem von der Tonnagesteuer in großem Umfang Gebrauch gemacht und es ist erkennbar, dass Schiffe unteranderem aufgrund der Möglichkeit der Tonnagesteuer von fremden Flaggen in die deutsche Flagge zurückgekehrt sind. Es liegt demnach die Behauptung nahe, dass die Tonnagesteuer damit ihre Wirksamkeit bewiesen hat [PwC00, S. 66f.]. In einer im Jahr 2009 veröffentlichten Studie des Bundesfinanzamtes wurde untersucht, in welchem Umfang die Tonnagesteuer tatsächlich zur Sicherung des maritimen Standortes Deutschland beiträgt [BMF09]. Die Studie zeigt deutlich, dass seit Einführung der Tonnagebesteuerung in Deutschland die deutsche Flotte nicht nur absolut in hohem Maße gewachsen ist, sondern sich auch der Anteil an Schiffen in deutschem Eigentum gemessen an der Welthandelsflotte in diesem Zeitraum von unter 4 % auf über 8 % erhöht hat [BMF09, S. 508]. Allerdings wird im Rahmen der Studie auch darauf hingewiesen, dass dieser Umstand nicht allein auf die Einführung der Tonnagesteuer zurückzuführen ist, sondern auch der generelle Anstieg des Welthandels für die Entwicklung mitverantwortlich ist. Letztlich bewertet die Studie die Steuervergünstigung als "insgesamt überzeugend legitimiert". Vor dem Hintergrund der internationalen Verbreitung der Tonnagebesteuerung wird ein nationaler Alleingang mit stärkerer Besteuerung als erhebliches Risiko für den Seeschifffahrtsstandort gesehen [BMF09, S.521].

Die Bundesregierung veröffentlicht die geschätzten Steuermindereinnahmen aufgrund der Tonnagesteuer (ohne Solidaritätszuschlag) in ihren Subventionsberichten, die alle zwei Jahre erscheinen (zuletzt der 27. Subventionsbericht im Jahr 2019). Die Entwicklung der Steuermindereinnahmen durch die Tonnagesteuer ist in Abbildung 1 dargestellt.
Steuermindereinnahmen.pngAbbildung 1: Steuermindereinnahmen aufgrund der Tonnagesteuer in Millionen Euro (eigene Darstellung nach [DBu11; S. 14; BMF11, S. 215; BMF13, S. 228; BMF15, S. 292; BMF17, S. 340; BMF19b, S.401; BMF21, S.436])
Die Werte der Steuermindereinnahmen schwanken sehr: Während der 23. Subventionsbericht die Einnahmen für das Jahr 2012 auf 520 Millionen Euro schätzt und für das Jahr 2011 mit 370 Millionen Euro bennent, sieht der 24. Subventionsbericht Abweichungen unter anderem auf Grund neuer Unterlagen. In dem Bericht wird die Schätzung für das Jahr 2011 auf 140 Millionen Euro deutlich korrigiert und auf eine Auflistung für die folgenden Jahre verzichtet [BMF11, S. 215; BMF13, S. 228]. Auch in dem 25. und den darauf folgenden 26. und 27. Subventionsberichten wird auf eine Auflistung der Steuermindereinnahmen verzichtet [BMF15, S. 292, BMF19b, S.401], mit Ausnahme einer Schätzung für das Jahr 2015 von 20 Millionen Euro [BMF17, S.340]. Erst im 28. Subventionsbericht werden wieder Steuermindereinnahmen der Jahre 2021 und 2022 angegeben [BMF21, S.436].
Wegen dieser Mindereinnahmen wurde die Tonnagesteuer mehrfach vom Bundesrechnungshof kritisiert. Dennoch wurde stets die Fortführung der Tonnagesteuer durch die Bundesregierung zugesichert, auch wegen ihrer positiven Wirkungen in anderen Branchen, wie die maritimen Finanzdienstleister (Schiffskreditbanken, Emissionshäuser etc.) [DBu11, S.10]. Zudem wird im 25. Subventionsbericht darauf verwiesen, dass das Abschaffen der Tonnagesteuer mit einer Benachteiligung deutscher Reedereien gegenüber ausländischen Unternehmen, denen von ihren Staaten ebenfalls steuerliche Vergünstigen gewährt werden, einhergehen würde [BMF15, S. 292]. Des Weiteren weist das Bundesministerium der Finanzen darauf hin, dass aus den geschätzten Mindereinnahmen nicht auf die Höhe etwaiger Steuermehreinnahmen aufgrund einer Abschaffung der Tonnagebesteuerung geschlossen werden kann. "Bei der Quantifizierung der Abschaffung der Tonnagesteuer müssten Verhaltensänderungen (zum Beispiel Verlagerung von Reedereien ins Ausland) berücksichtigt werden. Diese dürften im Ergebnis dazu führen, dass geringere Steuermehreinnahmen anfallen" [BMF13, S. 232].

Eine Koppelung der Tonnagesteuer als rein standortbezogene Maßnahme mit Anreizen zur Beschäftigung von einheimischen Seeleuten wird von den Beratungsnetzwerk PwC nicht empfohlen mit der Begründung, dass damit die positiven Wirkungen der Tonnagesteuer zu Nichte gemacht werden könnten [PwC00, S. 68f.]. Nach den Erfahrungen in Großbritannien führte die Tonnagesteuer vor allem zur Rückkehr von Tonnage aber weniger von Schiffen, sodass der Effekt für die Ausbildung gering blieb und Beschäftigung vorwiegend für nicht-europäische Seeleute entstand [LeMC05].

Publikationen

Rechtsvorschriften

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Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Senkung der Betriebskosten und der Steuerbelastungen für deutsche Reedereien (Stand des Wissens: 15.05.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?79026
Literatur
[BMF09] Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der Universität zu Köln, , Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH, , Copenhagen Economics ApS Evaluierung von Steuervergünstigungen, Köln, Copenhagen, Mannheim, 2009
[BMF11] Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) Dreiundzwanzigster Subventionsbericht - Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2009 - 2012, 2011/08
[BMF13] Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) Vierundzwanzigster Subventionsbericht - Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2011 bis 2014, 2013/08
[BMF15] Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) Fünfundzwanzigster Subventionsbericht - Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2013 - 2016, 2015/09/02
[BMF17] Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) Sechsundzwanzigster Subventionsbericht - Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2015 bis 2018, 2017/08/23
[BMF19b] Bundesministerium der Finanzen Siebenundzwanzigster Subventionsbericht des Bundes - Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2017 bis 2020, 2019
[BMF21] Bundesministerium der Finanzen 28. Subventionsbericht des Bundes 2019 - 2022, 2021
[DBu11] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Zukunft des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung in der deutschen Seeschifffahrt, Bt-Drucksache 17/4088, 2011/01/05
[LeMC05] Leggate, H., McConville, J. Tonnage tax: is it working?, veröffentlicht in Maritime Policy & Management, Ausgabe/Auflage (32), 2, Francis & Taylor, 2005/04
[Midd00] Middleton, Ian , Tonnage tax: Explained, veröffentlicht in Seatrade Review, Ausgabe/Auflage Dec / Jan 2000, Seatrade Publ. / Colchester, 2000, ISBN/ISSN 0964-8895
[PRC98] o.A. Input/Output Analyse zur Wirtschaftskraft der Seeschiffahrt in der maritimen Wirtschaft in Deutschland inklusive Empfehlungen für die Verkehrspolitik (Economic Impact Study), o.O., 1988/04
[PwC00] o.A. Beitrag des Bundes zum maritimen Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung - Optionen und Wirkungen der Senkung von Lohnneben- und Ausbildungskosten an Bord deutscher Handelsschiffe, Hamburg, 2000/09/29
Weiterführende Literatur
[Schi02a] o.A. Denn sie wussten nicht, was sie tun, veröffentlicht in Hansa: international maritime journal, Ausgabe/Auflage 11/2002, Schiffahrts-Verlag Hansa / Hamburg, 2002, ISBN/ISSN 0017-7504
[Dobe04] Dobert, Jürgen Fonds pumpen 2003 mehr Geld denn je in Schiffe, veröffentlicht in Deutsche Verkehrs-Zeitung, 2004/02/10
[DVV02] o.A. Tonnagesteuer: Abschaffung birgt Risiken, veröffentlicht in Deutsche Verkehrs-Zeitung, Ausgabe/Auflage Nr. 132 Jg. 56, Deutscher Verkehrs-Verlag, Hamburg, 2002/11/05
[§ 5a EStG] § 5a EStG
Glossar
Tonnagesteuer Die Tonnagesteuer ist eine besondere Art der Gewinnbesteuerung für Reedereiunternehmen. Dabei wird der Gewinn pauschal nach der im Betrieb geführten Tonnage - unabhängig von der Höhe der tatsächlichen Gewinne oder Verluste - ermittelt und pauschal besteuert. Auf EU-Ebene wurde die Tonnagesteuer als wettbewerbskonform anerkannt. In Deutschland wurde die Tonnagesteuer zu Beginn des Jahres 1999 eingeführt. Sie ist verankert im § 5a EstG.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?30076

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 13:24:15