Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Historischer Abriss der Organisation der deutschen Eisenbahn

Erstellt am: 19.03.2010 | Stand des Wissens: 24.09.2024

Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics

Am 7. Dezember 1835 fuhr die erste Dampflokomotive im Deutschen Bund von Nürnberg nach Fürth und legte damit den Grundstein für den wirtschaftlichen Aufschwung. Am 7. April 1839 wurde die erste deutsche Fernbahnstrecke zwischen Leipzig und Dresden eröffnet [Ammo14, S. 215]. Bei der Entwicklung des Eisenbahnwesens setzten die einzelnen Länder auf unterschiedliche Organisationsmodelle. In manchen deutschen Staaten wurde der Eisenbahnbetrieb und Streckenbau privaten Unternehmen überlassen. Andere hingegen versuchten eine staatliche Eisenbahn aufzubauen [Haef16, S. 99]. Wieder andere Staaten wie Preußen versuchten einen Kompromiss zu finden und garantierten sich trotz der Verfolgung eines privaten Modells von Anfang an ihren staatlichen Einfluss: So unterstanden die privaten Eisenbahnen einer staatlichen Aufsicht und bedurften für ihren Betrieb einer staatlichen Konzession. In diesem Zusammenhang ist auch das preußische Eisenbahngesetz von 1838 hervorzuheben, das bereits vorsah, dass der Zugang zur Infrastruktur nicht nur dessen Besitzer, sondern auch seinen Konkurrenten freisteht. In der Praxis kam den entsprechenden Regelungen jedoch nur wenig Bedeutung zu  [Brei85].

Im Zuge der Industrialisierung wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die öffentlichen Aufgaben allgemein erweitert, was eine zunehmende Verstaatlichung privater Eisenbahnen zur Folge hatte. Die Reichsverfassung aus dem Jahr 1871 sah eine Reichsvereinheitlichung des Eisenbahnwesens vor. Ein erster Ansatz war die Gründung des Reichseisenbahnamtes im Jahr 1873 [Ammo14, S. 216]. Das Vorhaben scheiterte jedoch zunächst am Widerstand der Einzelstaaten. Otto von Bismarck (1815-1898) erreichte dieses Ziel schließlich durch den sogenannten "Eisenbahnkrieg", in dem andere Staatsbahnen durch preußische Konkurrenzstrecken einem erheblichen Wettbewerbsdruck ausgesetzt wurden, der faktisch die weitreichende Vereinheitlichung der Beförderungsbedingungen erzielte.
In der Epoche des Wilhelminischen Kaiserreiches sollte ein Auseinanderdriften der Länderbahnen verhindert werden, unter anderem durch
  • die Betriebsgemeinschaft deutschen Staatsbahnen von 1903,
  • die Güterwagengemeinschaft von 1909 sowie
  • die Ständige Sitzung der Verwaltungsräte in Fragen der Tarife und der Betriebsbedingungen von 1913 [Ammo14, S. 217].

Im Ersten Weltkrieg wurden die Eisenbahnverwaltungen zusammengelegt und einer zentralen militärischen Leitung unterstellt. Aus der Erkenntnis der Notwendigkeit einer einheitlichen Bahn in Kriegszeiten wurde in der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 festgelegt, die dem allgemeinen Verkehr dienenden Bahnen in das Eigentum des Reiches zu überführen. Die Übertragung der Staatsbahnen auf das Reich wurde durch den am 1. April 1920 in Kraft getretenen Staatsvertrag zur Gründung der Deutschen Reichseisenbahnen geregelt.

Am 12. Februar 1924 wurde die Verordnung zur Schaffung der Deutschen Reichsbahn als staatliches Unternehmen erlassen. Dies sollte eine Verpfändung der Reichseisenbahnen an die Reparationsgläubiger in den Siegermächten der Ersten Weltkrieges zu unterbinden. Da die Verordnung nicht den Anforderungen aus dem Dawes-Plan genügte, wurde am 30. August 1924 eine neue Verordnung erlassen, auf deren Basis die privatwirtschaftliche Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) gegründet wurde. Gleichzeitig wurde die DRG mit einer Schuldverschreibung zugunsten der Siegermächte belastet. Diese Belastung erschwerte die Modernisierung, was zum Beispiel bei der Elektrifizierung lange nachwirkte [Haef16, S. 103]. Im Jahr 1931 wurden die Reparationszahlungen durch das Lausanne-Abkommen aufgehoben.

Unter dem nationalsozialistischen Regime wurde die Deutsche Reichsbahngesellschaft wieder der Reichshoheit unterstellt und in Deutsche Reichsbahn umbenannt. Die normative Grundlage bildete das Gesetz "zur Neuregelung der Verhältnisse der Reichsbank und der Deutschen Reichsbahn" vom 10. Februar 1937. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb der Eisenbahn zunächst von den Besatzungsmächten in den jeweiligen Besatzungszonen übernommen. Die Deutsche Bundesbahn (DB) wurde schließlich am 7. September 1949 als nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes gegründet [Wern00, S. 30, 41]. In der DDR wurde die Eisenbahnverwaltung unter dem Namen Deutsche Reichsbahn (DR) weitergeführt, welche am 1. April 1949 alle Privatbahnen der sowjetischen Zone übernommen hatte [MONO07; Wern00, S. 19]. Die finanziellen Belastungen der Nachkriegszeit sowie ausbleibende Reformen und Investitionen führten zu einer zunehmenden Verschuldung der beiden deutschen Bahnen [Haef16, S. 107 ff.]. Daher wurde auch die Deutsche Reichsbahn auf Basis des Deutschen Einigungsvertrages von 1990 in ein Sondervermögen überführt [MONO07].
Ansprechperson
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Bahnreform (Stand des Wissens: 10.09.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?301385
Literatur
[Ammo14] Ammoser, Hendrik Das Buch vom Verkehr. Die faszinierende Welt von Mobilität und Logistik, Wissenschaftliche Buchgesellschaft / Darmstadt, 2014, ISBN/ISSN 978-3-534-26417-9
[Brei85] Bernd Breitfeld Von der Privat- zur Staatsbahn, veröffentlicht in Zug der Zeit. Zeit der Züge. Deutsche Eisenbahn 1835-1985, Ausgabe/Auflage 2. Auflage, Wolf Jobst Siedler Verlag / Berlin, 1985/05
[Haef16] Haefeli, Ueli Entwicklungslinien deutscher Verkehrspolitik im 19. und 20. Jahrhundert, veröffentlicht in Handbuch Verkehrspolitik, Ausgabe/Auflage 2, Springer VS, Wiesbaden, 2016, Online-Referenz doi:10.1007/978-3-658-04693-4_5, ISBN/ISSN 978-3-658-04692-7
[MONO07] Monopolkommission Wettbewerbs- und Regulierungsversuche im Eisenbahnverkehr - Sondergutachten 48 der Monopolkommission, Nomos-Verlag/Baden-Baden, 2007/04
[Wern00] Werner, Jörg (Hrsg.) Chronik des deutschen Verkehrs 1949, GeraMond Verlag / München, 2000, ISBN/ISSN 3-932785-39-8
Weiterführende Literatur
[Jani23] Janicki, Jürgen Das deutsche Eisenbahnsystem: Ein historischer Überblick, veröffentlicht in Deine Bahn, Ausgabe/Auflage 01/2023, 2023/01
[Kopp22] Kopper, Christopher Kleine (Unternehmens-)Geschichte der Eisenbahn in Deutschland, veröffentlicht in Aus Politik und Zeitgeschichte, Ausgabe/Auflage 8-9/2022, 2022/02/18

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?296384

Gedruckt am Sonntag, 23. Februar 2025 03:31:16