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Gigaliner in Niedersachsen

Erstellt am: 03.07.2007 | Stand des Wissens: 23.12.2022
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Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig

Bevor 2012 der fünfjährige bundesweite Feldversuch mit Gigalinern startete [BASt16], der 2017 schließlich die Änderungsverordnung zur Überführung des Lang-Lkws in den streckenbezogenen Regelbetrieb (LKWÜberlStVAusnVa) zur Folge hatte, galt Niedersachsen als das erste Bundesland, das sich mit dem Lang-Lkw auseinandersetzte. Im Sommer 2006 beschloss das Land im Rahmen eines groß angelegten Pilotprojektes als Vorreiter Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz überlanger Lastkraftwagen (bis 25,25 Meter). In dem zunächst bis Juli 2007 befristeten Projekt durften entsprechende Fahrzeuge auf ausgewählten Strecken in Niedersachsen eingesetzt werden. Die Genehmigung galt für Cotrans Logistic (Volkswagen Logistics, Schnellecke), Boll Logistik und ab November 2006 auch für Hellmann Worldwide Logistics, die jeweils einen Gigaliner der Herstellerfirma Krone einsetzten.
Die Ausnahmegenehmigungen sahen bestimmte Bedingungen und Auflagen vor und galten für die Bundesländer Niedersachsen und Bremen. Dazu gehörten unter anderem, dass
  • das Maximalgewicht wie bei herkömmlichen Lastwagen bei 40 Tonnen liegt (obwohl technisch auch 60 Tonnen möglich wären),
  • der Einsatz nur auf zuvor von der zuständigen Straßenverkehrsbehörde genehmigten Strecken erlaubt ist (in [IVH07] sind die Strecken genau beschrieben),
  • nur Fahrer mit einer langjährigen Berufserfahrung und ohne Eintrag im Verkehrszentralregister und nur nach eingehender Einweisung in das Fahrzeug eingesetzt werden dürfen,
  • die Fahrzeuge durch deutliche Kennzeichnung für die übrigen Verkehrsteilnehmer als überlange Lastkraftwagen gekennzeichnet sein müssen,
  • die Fahrzeugkombination die Möglichkeit zur Anbringung von zwei Videokameras aufweisen muss, eine zur Aufnahme der Lastzugbewegungen und eine zum Abgleich mit dem Verkehrsgeschehen (Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Pressemitteilung vom 11.07.2006, weitere Informationen siehe [IVH07]).
../229945/Niedersachsen2.JPGAbb. 1: Gigaliner im Testbetrieb in Niedersachsen [IVH07]
Das Bundesverkehrsministerium hatte das Land Niedersachsen im September 2006 zunächst dazu aufgefordert, den Modellversuch abzubrechen. Die Begründung für diesen Schritt war, dass die Risiken für die Verkehrssicherheit noch nicht abschließend geklärt seien. Unklar seien auch die Auswirkungen der schweren Laster auf Straßen, Brücken und den innerstädtischen Verkehr. Vor diesem Hintergrund wurde die Bundesanstalt für Straßenwesen vom BMVBS beauftragt, eine Studie zu dem Thema durchzuführen. Die Ergebnisse dieser Studie sind Anfang März 2007 veröffentlicht worden ([BASt07c] und Pressemitteilung Nr. 48/2007 des BMVBS vom 03. März 2007) und haben erneut zu kontroversen Diskussionen geführt. Letztlich bat der Bund die Länder, ihre vom TÜV begleiteten Tests fortzusetzen [GeHü07].

Im Oktober 2007 wurde der Modellversuch offiziell beendet [IVH07]. Die teilnehmenden Unternehmen Cotrans Logistic (Volkswagen Logistics, Schnellecke), Boll Logistik und Hellmann Worldwide Logistics haben nach eigenen Aussagen durchweg positive Erfahrungen gesammelt. In der im August 2007 veröffentlichten Studie "Auswertung des niedersächsischen Modellversuchs zum Einsatz von GigaLinern" [IVH07] können weitere ausführliche Informationen zum Pilotprojekt nachgelesen werden [IVH07, Beug07].

Position der niedersächsischen Landesregierung hinsichtlich des bundesweiten Feldversuchs mit Lang-Lkw und der Überführung des Lang-Lkws in den streckenbezogenen Regelbetrieb
Die niedersächsische Landesregierung (CDU/FDP) sprach sich sowohl im Oktober 2010 als auch auf der Verkehrsministerkonferenz im Oktober 2011 für den 2012 startenden, bundesweiten  Feldversuch mit Lang-Lkw aus [Verk10b, Verk11b]. So bezeichnete Verkehrsminister Jörg Bode (FDP) den Feldversuch als verkehrspolitisch absolut sinnvoll [NMWAV11]. Trotz des Widerstandes in anderen Bundesländern hielt die niedersächsische Landesregierung an dem Feldversuch mit Lang-Lkw fest und rief Spediteure zu einer Beteiligung auf [NDR12a]. Mit dem Regierungswechsel zu SPD und Grüne im Jahr 2013 änderte sich die Position zum Lang-Lkw in Niedersachsen. Die Landesregierung zog sich zwar nicht aus dem Feldversuch zurück, wollte jedoch keine neuen Strecken mehr freigeben [DVZ13, Nd14].
Die im Jahr 2016 bekannt gegebenen, hauptsächlich positiven Ergebnisse des Feldversuchs wurden von dem Verkehrsministerium Niedersachsen jedoch begrüßt. Ab Januar 2017 sind neben den Autobahnen für Niedersachsen zusätzlich 145 Strecken als Zubringer zu den Autobahnen beziehungsweise Bundesstraßen genehmigt [MWN16]. Bis zur mittlerweile 10. Änderungsverordnung konnte die Streckenliste noch erheblich erweitert werden [BMVI21j].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Lastzugkombinationen im Straßengüterverkehr (Stand des Wissens: 23.12.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?221041
Literatur
[BASt07c] Glaeser, Klaus-Peter, Dr., Kaschner, Rolf, Lerner, Markus, Roder, Kurt, Weber, Roland, Wolf, Andreas, Zander, Ulf , Weber, Roland, Dr.-Ing. Auswirkungen von neuen Fahrzeugkonzepten auf die Infrastruktur des Bundesfernstraßennetzes, Ausgabe/Auflage Schlussbericht, Langfassung (2. Auflage), 2006/11
[BASt16] Irzik, Marco , Kranz, Thomas , Bühne, Jan-André, Glaeser, Klaus-Peter, Limbeck, Sigrid , Gail, Jost , Bartolomaeus, Wolfram , Wolf, Andreas , Sistenich, Christof, Kaundinya, Ingo , Jungfeld, Ilja, Ellmers, Uwe , Kübler, Janine, Holte, Hardy , Kaschner, Rolf Feldversuch mit Lang-Lkw, 2016/11
[Beug07] Beuge, Andreas Positive Bilanz nach einem Jahr Pilot-Projekt, 2007/08/30
[BMVI21j] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) Lang-Lkw: Streckennetz erweitert
10. Änderungsverordnung zum Lang-Lkw in Kraft, 2021
[DVZ13] Massiver Kurswechsel in Hannover, veröffentlicht in Deutsche Verkehrs-Zeitung, 2013/02/15
[GeHü07] von Gersdorff, Alexander , Hüvel, Detlev NRW setzt auf Riesen-Lkw, veröffentlicht in Rheinische Post, Ausgabe/Auflage RP Nr. 53 vom 3. März 2007, Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlags-GmbH, Düsseldorf, 2007/03/03
[IVH07] Hoffmann, Stephan, Dr.-Ing., Bräckelmann, Frank, Dipl.-Ing. , Friedrich, Bernhard, Prof. Dr.-Ing. Auswertung des niedersächsischen Pilotprojektes zum Einsatz von "GigaLinern", Ausgabe/Auflage Schlussbericht, 2007/08
[MWN16] Haegele, Christian , Schlemmer-Kaune, Sabine Lies: Lang-LKW entlasten Straßen und Umwelt, 2016/12/15
[Nd14] Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (Hrsg.) Lang-LKW, 2014/03/28
[NDR12a] Niedersachsen hält an Gigaliner-Test fest, 2012/06/10
[NMWAV11] k.A. Beteiligung von Niedersachsen am geplanten bundesweiten Versuch mit Gigalinern, veröffentlicht in Antwort von Verkehrsminister Jörg Bode auf die mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Silke Lesemann (SPD), 2011/12/09
[Verk10b] k.A. Ramsauer hält an Eurocombi-Feldversuch fest, Springer Fachmedien München GmbH Aschauer Straße 30 81549 München , 2010/10/07
[Verk11b] k.A. SPD und Grüne klagen gegen Feldversuch mit Lang-LKW, Springer Fachmedien München GmbH Aschauer Straße 30 81549 München, 2011/12/13
Rechtsvorschriften
[LKWÜberlStVAusnVa] Verordnung über Ausnahmen von straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften für Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen mit Überlänge
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Spediteur Spediteure fungieren als Intermediäre zwischen Versender und Transporteur bzw. Frachtführer. Sie „besorgen” den Transport. Hierunter fallen insbesondere die Festlegung auf Verkehrsmittel und die Beauftragung ausführender Unternehmen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

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Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 23:23:07