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Unübersichtliche Tariflandschaften als Resultat der aktuellen ÖPNV-Finanzierung

Erstellt am: 28.03.2007 | Stand des Wissens: 06.12.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König

Die Fahrgäste leisten in Deutschland durch den Kauf ihres Tickets einen zentralen und in der Regel gut kalkulierbaren Beitrag für ein leistungsfähiges System des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Fahrgeldeinnahmen sind die wichtigste Säule der ÖPNV-Finanzierung. Sie stiegen in den vergangenen Jahren kontinuierlich und hatten 2019 ein Volumen von 13,3 Milliarden Euro (inklusive Ausgleichszahlungen für Schüler und Schwerbehinderte) [VDV19a].
Inzwischen ist bei der Höhe der Fahrpreise die Grenze der Kundenakzeptanz erreicht. So sind die Fahrpreise zwischen 2000 und 2018 überproportional um 79 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum stiegen die Preise für den Kauf und der Unterhalt von Autos nur um rund 36 Prozent und die Verbraucherpreise in Deutschland durchschnittlich um rund 30 Prozent [DESTATIS18i]. Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 unter ÖPNV-Nichtnutzern ergab, dass für 73 Prozent der Befragten günstigere Tickets die Voraussetzungen für den Umstieg auf den ÖPNV seien [ADAC17g].
Auch bei einem europa- und weltweiten Vergleich von Einzelfahrt- und Monatskartenpreisen finden sich deutsche Städte im oberen Preisbereich, sowohl absolut als auch um das Bruttoinlandsprodukt oder Einkommensniveau bereinigt. In Deutschland tragen demnach die Fahrgäste einen vergleichsweise hohen Anteil der anfallenden Kosten [Ran13].

Trotzdem führt der hohe Kostendruck immer weiter zur Ausschöpfung aller denkbaren tariflichen Möglichkeiten, um die Fahrpreiseinnahmen zu maximieren. Als Folge gerät oftmals der Anspruch auf Übersichtlichkeit, Verständlichkeit und einfache Handhabung für den Kunden in den Hintergrund. Dabei hilft es auch nicht, dass die vielen verschiedenen Tarifsysteme (insbesondere Flächenzonentarife mit Zonen, Ringen und Waben oder entfernungsabhängige Tarife) und Ticketarten für eine höhere Leistungsgerechtigkeit bei den Fahrgästen und Verkehrsunternehmen sorgen. Denn die kaum durchschaubare Tariflandschaft überfordert viele Kunden, die oft den ÖPNV zu teuer und zu kompliziert finden [Funk20]. Die Einführung des 9-Euro-Tickets hat gezeigt, dass sich die Tarifstrukturen zugunsten des Fahrgästes vereinfachen lassen können.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Zukünftige Finanzierung des ÖPNV (Stand des Wissens: 06.12.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?218979
Literatur
[ADAC17g] Andrea Thelen ADAC Umfrage 2017: Nichtnutzung des ÖPNV, ADAC, München, 2017/02/16
[DESTATIS18i] Zahl der Woche Nr. 38 vom 18. September 2018, DESTATIS, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, 2018/09/18
[Funk20] Uschi Götz Ratlos vor dem Ticketautomaten, Deutschlandfunk, Köln, 2020/02/25
[Ran13] Martin Randelhoff Die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs in Deutschland: Struktur, Probleme und Alternativen, Technischen Universität Dortmund, Dortmund, 2013
[VDV19a] Ursula Dziambor, Sebastian Rehse, Birgit Niesen 2019 Statistik, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln, 2020/10
Glossar
Bruttoinlandsprodukt
"Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum. Es misst den Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen (Wertschöpfung), soweit diese nicht als Vorleistungen für die Produktion anderer Waren und Dienstleistungen verwendet werden." (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?218863

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 06:22:27