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Maßnahmen zur familien- und altengerechten Gestaltung von Stadtquartieren

Erstellt am: 15.03.2007 | Stand des Wissens: 18.07.2019
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Um Wohnen in der Stadt für Familien attraktiver zu gestalten, sind verschiedene Maßnahmen erforderlich. Der hohe Versiegelungsgrad von Städten für Kinder wird als problematisch angesehen, da dadurch keine ausreichend großen zusammenhängenden Spielräume vorhanden sind [BMI16a, Stadt04]. Um die Wohnsituation von Familien in der Stadt zu verbessern, müssen deshalb vor allem die Aufenthaltsmöglichkeiten im Quartier verbessert werden. Dazu sind folgende Maßnahmen erforderlich:
  • Schaffung von wohnungsnahen Grün- und Freiflächen,
  • Errichtung von Spielplätzen in der Nähe der Wohnung und
  • Verkehrsberuhigung des Quartiers.
Bei der Planung von Grün- und Freiflächen sollte deren gegenseitige Vernetzung berücksichtigt werden. Bei der Gestaltung der Spielplätze ist es von Vorteil, Kinder und ihre Eltern in den Planungsprozess einzubeziehen, um ihren Anforderungen entsprechende Anlagen zu bauen.

Um die Aufenthaltsqualität des Straßenraums zu erhöhen, kann neben der Verkehrsberuhigung auch eine Neuordnung des Parkraums sinnvoll sein, um Flächen für spielende Kinder zu schaffen. Allerdings muss beachtet werden, dass der Personenkraftwagen (Pkw) für Familien mit Kindern aufgrund der hohen Mobilitätsanforderungen in vielen Fällen unverzichtbar ist, so dass Parkraum in fußläufiger Erreichbarkeit vorhanden sein sollte.

Da Kinder und Jugendliche hauptsächlich zu Fuß unterwegs sind, ist ein fußgänger- und fahrradfreundliches Erschließungskonzept von großer Bedeutung. Zudem sollte das Gebiet über eine gute Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV)-Anbindung verfügen. Soziale Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen (Schulen, Kindergärten, Einzelhandel) sollten im Wohnumfeld liegen, um eine eigenständige Mobilität der Kinder bzw. Jugendlichen zu ermöglichen [BBR01k; WWFD05; BFSFJ12].

Inwieweit die Belange von Kindern und Jugendlichen in Richtlinien und Regelwerke der Stadt- und Verkehrsplanung berücksichtigt werden, wurde im Rahmen des Forschungsprojektes "Mobilitätsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen im Straßenverkehrs- und Baurecht" im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2005 [Krau05b] untersucht. Es zeigt, dass die Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen in Richtlinien und Regelwerken meist unzureichend stattfindet.
Neben den Maßnahmen, die die familiengerechte Gestaltung des Quartiers betreffen, sind besonders für junge Familien die Baulandbeschaffung zu tragbaren Preisen beziehungsweise bezahlbare Mieten entscheidend. Geringer Grundstücksbedarf und familiengerechte Finanzierung und Förderung sind demnach wichtig [WWFD05].

Da ältere Menschen möglichst lange in ihrer bekannten Umgebung bleiben möchten, müssen Maßnahmen zur altengerechten Gestaltung vor allem das Ziel haben, die Selbständigkeit älterer Leute zu erhalten beziehungsweise zu fördern. Abbildung 1 zeigt das Zielsystem für die Planung altengerechter Quartiere auf. Hierbei bezeichnet ein Zielsystem ein Gefüge von Zielen, die in Beziehung zueinander stehen [Gabl19]. Ausgehend von einem Oberziel werden Leitlinien definiert. Zur Erfüllung dieser Leitlinien werden Handlungsfelder aufgespannt, welche wiederrum mit Handlungszielen versehen werden.
Zielsysteme für altengerechte QuartiereAbbildung 1: Zielsysteme für altengerechte Quartiere (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)

Zur Sicherung der Selbständigkeit sollte im Quartier ein Mindestangebot öffentlicher Infrastruktur bereitgestellt werden, schädliche Umwelteinflüsse gemildert beziehungsweise beseitigt werden, soziale oder baulich fixierte Ungleichheiten sollten ausgeglichen und der Aufbau sozialer Netzwerke gefördert werden. Die Gestaltung des Quartiers spielt für die Wohnzufriedenheit älterer Menschen dabei eine große Rolle, da das nähere Wohnumfeld zunehmend zum Lebensmittelpunkt wird [IRB01; BMFSFJ98, BMFSFJ17].

Relvante Ausstattungsmerkmale altengerechter Quartiere
Um die Selbständigkeit älterer Menschen zu erhalten, sollten im Quartier Einzelhandel und medizinische Versorgung sowie Dienstleistungs- und Infrastruktureinrichtungen wie zum Beispiel Altenpflegedienste in fußläufiger Erreichbarkeit liegen. Eine gute ÖPNV-Anbindung, das heißt kurze Wege zur Haltestelle, wettergeschützte Warteflächen mit ausreichenden Sitzgelegenheiten und Beleuchtung sowie einfach verständliche Fahrkartenautomaten erhält ebenfalls die Eigenständigkeit im Alter.

Grünflächen, sowie öffentliche Flächen zur Begegnung und Sitzmöglichkeiten erhöhen die Aufenthaltsfunktion des öffentlichen Raums. Da soziale Kontakte im hohen Alter von Bedeutung sind, sollten die baulichen Strukturen diese erleichtern und den öffentlichen Raum als Treffpunkt attraktiv machen. Dazu gehört auch die Verkehrsberuhigung, damit Abgase und die Verkehrsbelastung möglichst gering sind. Zudem zählt das zu Fuß gehen zu den häufigsten Aktivitäten älterer Menschen [infas10a, S. 181]. Die Anlage von gehfreundlichen mit rutschfesten Belägen ausgestatteten Gehwegen erhöht die Qualität des Wohngebietes. Eine barrierefreie Gestaltung des Umfelds erleichtert älteren Menschen die Teilnahme am öffentlichen Leben.
Die Konzepte zur altengerechten Gestaltung von Quartieren müssen sich individuell am Bestand orientieren und zum Beispiel durch Nachverdichtung und Nutzungsanreicherung in Stadtrandlagen beziehungsweise durch die Schaffung von Frei- und Grünflächen in den Kernstädten altengerechte Umgebungen erschaffen. Bedeutsam sind dabei nicht städtebauliche Einzelmaßnahmen sondern die Integration von städtebaulichen und sozialen Ansätzen [Limb01a; BBR07d].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Literatur
[BBR01k] Fahrwald, Joachim, Dipl.-Ing., Keutz, Jürgen, Dipl.-Ing., Wittman, Dieter, Dr., Dickhaut, Wolfgang, Prof. Dr.-Ing. Zukunft im Quartier - Perpektiven nachhaltiger Stadtentwicklung und die Rolle der Jugend, 2001
[BBR07d] Steffen, Gabriele , Baumann, Dorothee , Fritz, Antje, Weeber und Partner Institut für Stadtplanung und Sozialforschung -Planung und Forschung im Bauwesen und Städtebau- Attraktive Stadtquartiere für das Leben im Alter, 2007
[BMFSFJ17] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) Siebter Altenbericht, Ausgabe/Auflage 2., 2017/09
[BMFSFJ98] Sachverständigenkommission Zweiter Altenbericht der Bundesregierung - Wohnen im Alter, 1998/01/28
[BMI16a] Bundesministerium des Innern (Hrsg.) Kommentierung des Weißbuches - Stadtgrün sozial verträglich und gesundheitsförderlich entwickeln, 2016/11/24
[Gabl19] Gabler Wirtschaftslexikon (Hrsg.) Zielsystem, 2019
[infas10a] DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung, infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft , Follmer, R., Gruschwitz, D., Jesske, B., Quandt, S., Lenz, B., Nobis, C., Köhler, K., Mehlin, M. Mobilität in Deutschland 2008 (MiD 2008) - Ergebnisbericht Struktur - Aufkommen - Emissionen - Trends, 2010/02
[IRB01] Großhans, Hartmut Wohnumfeld und Quartiersgestaltung für das Wohnen im Alter im Generationenverbund, 2001, ISBN/ISSN 3-8167-4720-5
[Limb01a] Limbourg, M., Reiter, K. Das Verkehrsunfallgeschehen im höhren Lebensalter, veröffentlicht in Mobilität älterer Menschen, Leske und Budrich / Opladen, 2001, ISBN/ISSN 3 8100 31240
[WWFD05] Fritz, Antje, Dörrie, Axel Besser wohnen in der Stadt. Konzepte und Beispiele für Familienwohnungen, 2005
Weiterführende Literatur
[IRPUD06] Volker Kreuzer Altengerechte Wohnquartiere - Stadtplanerische Empfehlungen für den Umgang mit der demografischen Alterung auf kommunaler Ebene, 2006, ISBN/ISSN 978-3-88211-157-6
[BWZi99] Bruner, C., Winkelhofe, U., Zinser, C. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Kommune. Ergebnisse einer bundesweiten Erhebung, München, 1999
[Müll94] Müller, P. Chancen einer kinderfreundlichen Stadt- und Verkehrsplanung, veröffentlicht in Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung, Ausgabe/Auflage Band 2; 6. Ergänzungslieferung, 3.2.6.3, 1994
[BMFSFJ02d] Hellmann, M., Borchers, A., unter Mitarbeit von: Schaarschmidt, M., Kukat, M. Familien- und Kinderfreundlichkeit: Prüfverfahren - Beteiligung
- Verwaltungshandeln; ein Praxisbuch für Kommunen, veröffentlicht in Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausgabe/Auflage Band 221, Kohlhammer, Stuttgart, 2002, ISBN/ISSN 3-17-017840-7
[FGSV10a] FGSV-Arbeitskreis 1.1.1 "Gender und Mobilität" , Annette Albers, Karin Arndt, Gabriele Feller, Ulrike Huwer, Claudia Jürgens, Silvia Körntgen, Angelika Klein, Ursula Lehner-Lierz, Jörg von Mörner, Marcus Steirwald, Gisela Stete, , Hinweise zur Integration der Belange von Kindern in die Verkehrsplanung , 2010, ISBN/ISSN 978-3-941790-26-1
[KrJu10] Krause, J. Integration der Belange von Kindern in die Verkehrsplanung, veröffentlicht in Straßenverkehrstechnik, Kirschbaum Verlag GmbH/Bonn, 2010/10
[Krau05b] Krause, J. , Kettler, D. , Angermüller, A., Beckmann, Klaus, Univ.-Prof. Dr.-Ing., Erke, Heiner, Prof. Dr. Dipl.-Psych., Jürgens, Claudia, Dipl.-Ing. Mobilitätsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen im Straßenverkehrs- und Baurecht. Vorläufiger Schlussbericht zum FE- Vorhaben 77.465/2002, Braunschweig/Aachen, 2005
[BMFSFJ02a] Schlag, Bernhard, Megel, Katrin Mobilität und gesellschaftliche Partizipation im Alter, 2002, ISBN/ISSN 3-17-017990-X
[Stadt04] Presse und Informationsamt der Bundesregierung Nachhaltige Stadtentwicklung - ein Gemeinschaftswerk (Städtebaulicher Bericht der Bundesregierung 2004), 2004
[BFSFJ12] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) Zeit für Familie - Achter Familienbericht: Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik
, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, 2012/3/15
Glossar
Zielsystem
In einem Zielsystem werden Ziele in einem hierarchischen Gefüge dargestellt. Ausgehend von einem Oberziel werden Leitlinien definiert. Zur Erfüllung dieser Leitlinien werden Handlungsfelder aufgespannt, welche wiederrum mit Handlungszielen versehen werden.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?217210

Gedruckt am Montag, 2. Oktober 2023 16:14:25