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Politische Rahmenbedingungen des betrieblichen Mobilitätsmanagements (BMM)

Erstellt am: 20.10.2006 | Stand des Wissens: 25.10.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Als Rahmenbedingungen werden an dieser Stelle die Bedingungen verstanden, die auf der jeweiligen Ebene (EU, Bund, Länder bzw. Kommunen) gestaltet werden können, aber nicht von den Betrieben selbst. Dazu gehören politische, rechtliche, finanzielle und organisatorische Rahmenbedingungen.

Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips sind die Möglichkeiten der Europäischen Union, direkt Einfluss auf das Betriebliche Mobilitätsmanagement (BMM) zu nehmen gering. Ein Schwerpunkt liegt deshalb auf der Förderung und Finanzierung von Forschungsprojekten bzw. Pilotprojekten und Modellvorhaben [ILSDP07, S. 58]. Die Europäische Konferenz zum Mobilitätsmanagement (ECOMM) [ECOM18] ermöglicht seit 1997 einen Erfahrungsaustausch zwischen Experten und Erfahrungsträgern. Die Europäische Plattform zum Mobilitätsmanagement (EPOMM) [EPOM18] bietet seit 1999 mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Kommission Informationen zum Thema und setzt auf den Aufbau eines Expertennetzwerkes und die Konzeption und Durchführung von Workshops und Fortbildungskursen. Auf europäischer Ebene existieren neben den Institutionen der EU weitere Organisationen, die sich für einen nachhaltigen Stadtverkehr einsetzen und das Thema BMM aufgreifen und sich in Projekte einbringen. Dazu zählen die Städtenetzwerke POLIS und EUROCITIES sowie weitere Organisationen wie UITP und ECF.

Zur Unterstützung des BMM finanziert die Deutsche Bundesregierung bereits seit einigen Jahren kontinuierlich Pilotprojekte und Studien, zum Beispiel im Rahmen des Programms "Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt)" (vgl. [BBSR18]) und im Forschungsprogramm Stadtverkehr (vgl. [BMVI18d]). Seit dem Jahr 2014 gibt es auch in Deutschland eine projektunabhängige Plattform für Mobilitätsmanagement, die DEPOMM (vgl. [DEPO18]). Ziel von DEPOMM ist die Förderung einer nachhaltigen und umweltverträglichen Mobilität. Insbesondere soll die bundesweite Umsetzung von Mobilitätsmanagement gefördert und über Möglichkeiten und Potentiale des Mobilitätsmanagements informiert werden.
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) haben unter dem Namen "mobil gewinnt" einen bundesweiten Wettbewerb für bessere betriebliche Mobilität ins Leben gerufen (vgl. [ACE18]). Privatwirtschaftliche und kommunale Unternehmen können ihre Konzepte für einreichen und sich damit um Fördermittel bewerben. Die Gewinner des Wettbewerbs, also die ausgezeichneten betrieblichen Mobilitätskonzepte, erhalten 2000 Euro Aufwandsentschädigung und können im nächsten Schritt eine Förderung durch das BMVI erhalten, um ihr Projektvorhaben umzusetzen. Unterstützung bei der Entwicklung passender Ideen bieten die insgesamt 150 kostenlosen Erstberatungen der Initiative.
Eine weitere Form der politischen Unterstützung des BMM stellen fiskalpolitische Maßnahmen dar. Über die steuerrechtliche Neubewertung kostenfreier Stellplatzangebote für Beschäftigte kann zum Beispiel ein starker Anreiz gesetzt werden. Die aktuelle Regelung zur Entfernungspauschale nach [EStG] steht demgegenüber teilweise in einem Wiederspruch zu den Zielen des BMM. Über die Entfernungspauschale können Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte steuerlich geltend gemacht werden, unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel. Kritiker der Entfernungspauschale sehen darin eine undifferenzierte Förderung des Verkehrsaufkommens.

Für die Durchführung von Mobilitätsmanagement gibt es in Deutschland - anders als in einigen anderen Staaten (zum Beispiel Italien) - keine gesetzlichen Vorgaben. Es handelt sich bisher um eine rein freiwillige Aufgabe [BRBE22]. Eine bundesweite Regelung zur verpflichtenden Umsetzung von Mobilitätsmanagement-Maßnahmen ist unter Experten umstritten [vgl. ILSDP07].
Die Steuerungsmöglichkeiten der Länder sind zwar geringer als die des Bundes, dennoch können sie über baurechtliche Regelungen in ihren Bauordnungen die Rahmenbedingungen in Kommunen für betriebliches Mobilitätsmanagement beeinflussen und durch Maßnahmen wie Modellvorhaben und ihrer Evaluation die Verbreitung des Ansatzes fördern (vgl. [ILSDP07], S. 142). Betriebliche Neubau- oder Erweiterungsmaßnahmen sind besonders geeignet, um Maßnahmen des Mobilitätsmanagements einzuleiten. Die Regelungen zur Verpflichtung über Art und Umfang der Errichtung von Kfz-Stellplätzen und Fahrradabstellplätzen im Rahmen baulicher Maßnahmen liegt in der Zuständigkeit der Bundesländer. Die Landesbauordnungen und ergänzende kommunale Stellplatzsatzungen unterscheiden sich dabei unter anderem erheblich hinsichtlich Ermittlung der Anzahl der Stellplätze, Ablöseverwendung und Erfordernis für Fahrradabstellplätze. Im Rahmen von Bauvorhaben ist es durch die Gestaltung des Baugesetzbuches [BauGB] bei bestimmten Konstellationen möglich, Mobilitätsmanagement-Maßnahmen zu verankern:
  • Durch die Ausweisung von "Verkehrsflächen" sowie "Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung"(Fußgängerbereiche, Fahrradabstellanlagen, Stellplatzanlagen) im Rahmen von Bebauungsplänen [§ 9 Abs. 1 Punkt 11 BauGB],
  • als "Städtebauliche Maßnahmen" im Rahmen städtebaulicher Verträge [§ 11 BauGB],
  • als Teil der "Erschließungsmaßnahmen" im Rahmen von Vorhaben- und Erschließungsplänen [§ 12 BauGB] oder
  • als Bestandteil von "Erschließungsverträgen" [§ 124 BauGB].
Betriebliche Neubau- oder Erweiterungsmaßnahmen sind besonders geeignet, um Maßnahmen des Mobilitätsmanagements einzuleiten. Die schriftliche Fixierung von bestimmten Mobilitätsmanagement-Maßnahmen im Rahmen von städtebaulichen Verträgen oder der Aufstellung von Bebauungsplänen zwischen Kommune und Träger der Baumaßnahme kann zum Beispiel dazu genutzt werden, die Zahl der erforderlichen Stellplätze zu reduzieren und hierdurch Finanzmittel, die beim ruhenden Verkehr im MIV gespart werden, für den ÖPNV und Radverkehr einzusetzen.
Expertinnen und Experten (aus Politik, Forschung und Beratung, aus dem Dienstleistungssektor, sowie von Unternehmen mit Erfahrungen im betrieblichen Mobilitätsmanagement) schreiben der Kommune den höchsten Stellenwert bei der Gestaltung von förderlichen Rahmenbedingungen für betriebliches Mobilitätsmanagement zu [vgl. ILSDP07, S.20].

Folgende Zuständigkeitsbereiche der Kommune werden als wichtig angesehen:
  • Verankerung in Verkehrspolitik und -planung,
  • Einbindung in kommunale Pläne und Programme,
  • personelle Verankerung,
  • Beitrag als Initiatoren und Koordinatoren,
  • Sicherung des Informations- und Kenntnisstandes zum Mobilitätsmanagement.

Bei der konkreten Initiierung und Umsetzung von betrieblichem Mobilitätsmanagement wird von den Kommunen im Vergleich zum Bund und den Ländern mehr Aktivität direkt vor Ort erwartet. Sie sollen als Initiatoren und Koordinatoren überbetrieblicher Kooperationen mit und von privaten Akteuren fungieren und diese in Politik und Planung einbeziehen [vgl. ILSDP07, S. 61 f., S. 75]. Hierbei ist zu beachten, dass in der Regel "die Kommunen die ihnen zugedachte aktive Schlüsselrolle vor Ort nur ausfüllen, wenn sie von Bund und Land in geeigneter Weise unterstützt werden" [vgl. ILSDP07, S. 142].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Betriebliches Mobilitätsmanagement (BMM) (Stand des Wissens: 25.10.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?488524
Literatur
[ACE18] ACE - Auto Club Europa (Hrsg.) "mobil gewinnt" - eine Initiative für eine bessere Mobilität! , 2018/07/30
[BBSR18] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt), 2018
[BMVI18d] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Forschungsprogramm Stadtverkehr (FoPS), 2018/07/31
[BRBE22] Brübach, Dieter, Becke, Svea, Boos, Maike , Evel, Tobias , Klose, Lisa , Koch, Jan , Kohler, Christoph , Sarrazin, Hannah , Leitfaden zur nachhaltigen
Ausgestaltung von
Mobilitätsrichtlinien in
Unternehmen, 2022
[DEPO18] Die Deutsche Plattform für Mobilitätsmanagement (DEPOMM) e.V., 2018
[ECOM18] European Conference on Mobility Management (ECOMM), 2018
[EPOM18] EPOMM (Hrsg.) European Platform on Mobility Management (EPOMM), 2018
[ILSDP07] Müller, Guido, Steinberg, Gernot, Happel, Till, Holz-Rau , Christian , Prof. Dr.-Ing., Kemming, Herbert, Dr., Nickel, Wolfgang, Stiewe, Mechtild, Dipl.-Ing. Weiterentwicklung von Produkten, Prozessen und Rahmenbedingungen des betrieblichen Mobilitätsmanagements durch eine stärkere Systematisierung, Differenzierung und Standardisierung, 2007/08
Weiterführende Literatur
[dena10] Redaktion: Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena), Haendschke, S., Krähe, M. effizient mobil.
Das Aktionsprogramm für Mobilitätsmanagement.
Programmdokumentation 2008 - 2010., Berlin, 2010/12, ISBN/ISSN 978-3-9813760-2-9
[dena08] Deutsche Energie-Agentur GmbH (Hrsg.) effizient mobil
Aktionsprogramm für Mobilitätsmanagement, 2008
[Beck07a] Klaus J. Beckmann Mobilitätsmanagement in Deutschland
Stand und Perspektiven, veröffentlicht in Vortrag im Rahmen der Abendveranstaltung: "Mobilitätsmanagement - umweltfreundlich und effizient zur Arbeit", 2007/09/20
[ILS05] Stiewe, Mechthild, Müller, Guido Rahmenbedingungen für das betriebliche Mobilitätsmanagement , 2005
[BauGB] Baugesetzbuch (BauGB)
[EStG] Einkommensteuergesetz (EStG)
Glossar
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
BMUV
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (bis 12/2013 BMU, bis 03/2018 BMUB und bis 12/2021 BMU)

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?205148

Gedruckt am Donnerstag, 18. April 2024 03:22:17