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Rechtliche Rahmenbedingungen für das Mobilitätsmanagement

Erstellt am: 14.11.2002 | Stand des Wissens: 25.10.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Es gibt in Deutschland keine gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung von Mobilitätsmanagementmaßnahmen [BLEE19, S. 42]. Auch auf EU- Ebene fehlen derzeit rechtliche Rahmenbedingungen zur verbindlichen Einbindung und Förderung von Mobilitätsmanagement in die Stadt- und Verkehrsplanung. Sowohl in der Stadtplanung als auch allgemein bei Bauvorhaben lassen sich Mobilitätsmanagement-Maßnahmen jedoch in Teilen rechtlich verankern. Insbesondere bei umweltbezogenen und gesundheitlichen Themen wie der Luftreinhaltung und Lärmminderung, aber auch in der Bauleitplanung und Baugenehmigungsverfahren besteht das Potenzial Mobilitätsmanagement durch planungs- und baurechtlichen Instrumente innerhalb förmlicher Planungsverfahren einzubringen z. B. über den Stellplatzschlüssel im Bebauungsplan und durch städtebauliche Verträge [BLEE19, S. 41].
In der Stadtplanung gelten folgende rechtliche Rahmenbedingungen für das Mobilitätsmanagement in Deutschland:
  • Bauplanungsrecht (BauGB),
  • Bauordnungsrecht (Bauordnungen der Länder),
  • Stellplatzsatzung oder kommunale Stellplatzortsgesetze,
  • Fachplanungen Verkehr und
  • Fachplanungen Umwelt.
Im Rahmen von Bauvorhaben ist es durch die Gestaltung des Baugesetzbuches (BauGB) bei bestimmten Konstellationen möglich, Mobilitätsmanagementmaßnahmen zu verankern:
  • Durch die Ausweisung von "Verkehrsflächen" sowie "Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung"(Fußgängerbereiche, Fahrradabstellanlagen, Stellplatzanlagen) im Rahmen von Bebauungsplänen [§ 9 Abs. 1 Punkt 11 BauGB],
  • als "Städtebauliche Maßnahmen" im Rahmen städtebaulicher Verträge [§ 11 BauGB],
  • als Teil der "Erschließungsmaßnahmen" im Rahmen von Vorhaben- und Erschließungsplänen [§ 12 BauGB] oder
  • als Bestandteil von "Erschließungsverträgen" [§ 124 BauGB].
Die schriftliche Fixierung von bestimmten Maßnahmen im Rahmen von städtebaulichen Verträgen oder der Aufstellung von Bebauungsplänen zwischen Kommune und Träger der Baumaßnahme kann beispielsweise dazu genutzt werden, die Zahl der erforderlichen Stellplätze zu reduzieren und hierdurch Finanzmittel, die beim ruhenden Verkehr im motorisierten Individualverkehr gespart werden, für den Öffentlichen Personennahverkehr und Radverkehr einzusetzen.
Auch steuerrechtliche Maßnahmen können im Rahmen des Mobilitätsmanagements Anwendung finden, z.B. Entfernungspauschale, Subventionierung von nachhaltigen Verkehrsträgern und mitteln [ILS09]([EStG]). Durch Zusammenarbeit der kommunalen Fachämtern, der (wohnungs-) wirtschaftlichen Akteurinnen und Akteuren und Mobilitäts- und Verkehrsanbietern kann bei Umsetzung solcher Maßnahmen im Gesamtpaket ein hoher gemeinwohlorientierter Nutzen entstehen.
Mit der Regelung zur Entfernungspauschale nach [EStG] können nach Einkommenssteuergesetz ([EStG]) Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte steuerlich geltend gemacht werden, unabhängig von dem gewählten Verkehrsmittel. Kritiker der Entfernungspauschale sehen darin die Förderung des Verkehrsaufkommens infolge der Zersiedelung beziehungsweise des Trends zu längeren Arbeitswegen [FÖS16].
Hinsichtlich der gesetzlichen Verpflichtungen unterscheidet sich Deutschland von einigen europäischen Nachbarländern: In den Niederlanden, in Belgien und in Italien sind Betriebe mit mehreren hundert Mitarbeitern verpflichtet, einen Mobilitätsplan zu erstellen [ILS09]. Diese Vorgabe wurde Anfang der 1990er Jahre auch in einigen amerikanischen Bundesstaaten eingeführt und führte dort zu erheblichen Widerständen der Arbeitgeber, wobei hier vor allem die Zeitvorgaben zur Änderung der Verkehrsmittelanteile zu kurz waren [LWFB03].
In Belgien und im US-Bundesstaat Washington DC ist man den Weg der Fördermittelbereitstellung in Kombination mit (freiwilligen) Mobilitätsverpflichtungen gegangen und hat hiermit sehr gute Erfahrungen gemacht [LWFB03].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Mobilitätsmanagement (Stand des Wissens: 25.10.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?20082
Literatur
[BLEE19] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Blees, Volker Mobilitätsmanagement - vollwertiges Instrument im Orchester der Verkehrsplanung? , veröffentlicht in Mobilitätsmanagement. Ansätze, Akteure, Ausblick. Informationen zur Raumentwicklung, Ausgabe/Auflage Heft 1/2019, Bonn, 2019
[FÖS16] Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft (Hrsg.) Entfernungspauschale reformieren - sozial und ökologisch, veröffentlicht in FÖS Themenpapier, Ausgabe/Auflage 10/2016, 2016/10
[ILS09] Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr, RWTH Aachen, In­te­grier­tes Verkehrs- und Mo­bi­li­täts­ma­nage­ment Re­gion Frank­furt Rhein­Main Mobilitätsmanagement in der Stadtplanung, 2009
[LWFB03] Beckmann, Klaus, Finke, Timo, Krug, Stephan, Langweg, Armin, Meinhard, Dirk, Witte, Andreas Mobilitätsmanagement in Deutschland und im Ausland, Stand von Theorie und Praxis, Aachen, 2003, ISBN/ISSN 3-88354-145-1
Rechtsvorschriften
[BauGB] Baugesetzbuch (BauGB)
[BayBO07] Bauordnung für das Land Bayern - Landesbauordnung - Bayrische Bauordnung (BayBO)
[EStG] Einkommensteuergesetz (EStG)
[GVFG] Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz - GVFG)
[StellplOG] Ortsgesetz über Kraftfahrzeugstellplätze und Fahrradabstellplätze in der Stadtgemeinde Bremen (Stellplatzortsgesetz Bremen - StellplOG)
[StPIS] Satzung der Landeshauptstadt München über die Ermittlung und den Nachweis von notwendigen Stellplätzen für Kraftfahrzeuge (Stellplatzsatzung - StPIS)
Glossar
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Mobilitätsplan
Der Mobilitätsplan ist das Planungsinstrument für die Einführung von Mobilitätsmanagement an bestimmten Standorten (zum Beispiel in Betrieben, Verwaltungen, Schulen). Manchmal wird er auch Betriebsverkehrsplan genannt.
Im Mobilitätsplan werden im Sinne eines Businessplanes Zeithorizonte, Zielsetzungen, Verantwortlichkeiten (betriebsintern und extern) und Ablauf der Umsetzung festgesetzt. 
Ziel ist die Umsetzung eines maßgeschneiderten Mobilitätskonzeptes für den Standort. Dazu bedarf es nicht notwendigerweise umfangreicher Pläne, sondern viel mehr eines strukturierten Herangehens. Der Mobilitätsplan schafft Transparenz für alle Beteiligten und hat eine koordinierende Funktion.
In abgeänderter Form kann ein Mobilitätsplan auch für ein ganzes Quartier oder bestimmte Zielgruppen aufgestellt werden.
Bauleitplanung
Die Bauleitplanung ist im Baugesetzbuch (BauGB) und in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) geregelt und dient der Lenkung beziehungsweise Ordnung der städtebaulichen Entwicklung. Die Bauleitplanung ist Teil der kommunalen Selbstverwaltung und ist daher Aufgabe der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 GG).

Die Instrumente der Bauleitplanung sind der Flächennutzungsplan (§ 5 BauGB), als vorbereitender Bauleitplan, der die beabsichtigte städtebauliche Entwicklung sowie die Art der Bodenutzung im Gemeindegebiet darstellen soll und der Bebauungsplan als verbindlicher Bauleitplan. Dieser konkretisiert die im Flächennutzungsplan dargestellten Bauflächen und enthält rechtsverbindliche Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung (§§ 8 ff. BauGB).

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?20413

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 08:59:54