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Globaler Arbeitsmarkt für Seeleute

Erstellt am: 05.11.2002 | Stand des Wissens: 26.10.2022
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Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Laut der internationalen Kammer der Schifffahrt (ICS) standen der weltweiten Schifffahrt 2017 774.000 Offiziere und 873.500 Mannschaften zur Verfügung [ICS17]. Diese Zahlen beziehen sich auf Inhaber von Zertifikaten nach dem "Internationalen Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten" (STWC) von 1978. 2005 war das Angebot an Offizieren noch auf 466.000 und an Mannschaften auf 721.000 ermittelt worden [MSF10].

Angebot und Nachfrage befanden sich 2017 im Gegensatz zu 2010 nicht mehr im Gleichgewicht [MSF10]. Die weltweite Nachfrage nach Seefahrern wird auf 1.545.000 geschätzt, wobei die Branche ungefähr 790.500 Offiziere und 754.500 Mannschaften benötigt. Dies verdeutlicht, dass die Nachfrage nach Offizieren um rund 24,1% gestiegen ist, während die Nachfrage nach Mannschaften um rund 1,0% gestiegen ist. Die aktuelle Angebots- und Nachfragesituation zeigt einen Mangel an rund 16.500 Offizieren und einen Überschuss von rund 119.000 Mannschaften [ICS17].

Die wichtigsten Herkunftsländer für Offiziere sind die Philippinen, Indien und China, während die meisten Mannschaften aus China, den Philippinen und Indonesien kommen [ICS17]. Die Bedeutung von Seeleuten aus Ostasien für die Bemannung der Welthandelsflotte nimmt insgesamt weiter zu [SiPi12].

Der globale Arbeitsmarkt für Seeleute weist die folgenden charakteristischen Merkmale auf [Bin05, S.323]:
  • Seeleute jeglicher Nationalität sind potenzielle Arbeitnehmer.
  • Es bestehen effiziente transnationale Verbindungen zwischen Besatzungsmanagern, Besatzungsagenten und den nationalen Arbeitsmärkten.
  • Außer der Einhaltung der internationalen Vorschriften zur Zertifizierung nach dem STCW-Übereinkommen gibt es keine formalen Eintrittsbarrieren.
  • Multinationale Besatzungen sind weitverbreitet.
  • Hohe Anfälligkeit gegenüber Fluktuationen des Welthandels.
  • Geringe und abnehmende Übereinstimmung zwischen Schiffsflagge und Besatzungsnationalität.
  • Keine systemweite Regulierung.
Mit dem Ziel einer weltweit einheitlichen Regulierung des Arbeitsmarktes und der Arbeitsbedingungen für Seeleute ist 2006 von der IAO das "Seearbeitsübereinkommen von 2006" verabschiedet worden. Mit dem Übereinkommen werden alle 68 bestehenden, die Arbeit im maritimen Umfeld betreffenden Regularien in einem weltweit einheitlichen Standard integriert. In fünf Titeln behandelt das Übereinkommen [ILO06]:
  • Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten auf Schiffen,
  • Beschäftigungsbedingungen,
  • Unterkünfte, Freizeiteinrichtungen, Verpflegung einschließlich Bedienung,
  • Gesundheitsschutz, medizinische Betreuung, soziale Betreuung und Gewährleistung der sozialen Sicherheit sowie
  • Erfüllung und Durchsetzung der Anforderungen.
Zum 30. März 2012 haben 25 Staaten das Übereinkommen ratifiziert, die zusammen über mehr als 33 Prozent der Welthandelsflotte verfügen [ILO12]. Am 20. August 2013 ist das Übereinkommen in Kraft getreten [ILO13].

Im Verlauf der vergangenen 30 Jahre sind die Besatzungen von Handelsschiffen in zunehmendem Maße multilingual und multikulturell zusammengestellt worden [Horc05]. Multinationalität ist heute ein generelles Merkmal von Besatzungen [SiPi12], welche in erster Linie aufgrund von Kostengesichtspunkten, nicht Nationalitäten, zusammengestellt werden. Zu beobachten ist, dass die Offiziere eines Schiffes jedoch größtenteils aus einer Ländergruppe entstammen [CoWi08]. Abbildung 1 verdeutlicht die prozentuale Verteilung der Anzahl von Nationalitäten innerhalb einer Schiffsbesatzung. Hiernach sind 66 Prozent aller Schiffe mit multinationalen Besatzungen bemannt.
Nation.jpgAbb. 1: Prozentuale Verteilung der Häufigkeit der Anzahl an Nationalitäten in einer Schiffsbesatzung
(Eigendarstellung nach [SiPi12])

Triebkraft der Entwicklung zu multinationalen Besatzungen ist das Bestreben der Reedereien, die Betriebskosten ihrer Schiffe, von denen bis zu 50 Prozent durch die Besatzungskosten bestimmt sind, zu reduzieren [Stop09]. Durch Zugriff auf den internationalen Arbeitsmarkt für Offiziere und Mannschaften lassen sich Besatzungen zu geringstmöglichen Kosten rekrutieren und die Lohnkosten so minimieren [PrTh10]. Gleichzeitig bringt der Einsatz von multikulturellen Besatzungen nicht nur Kostenvorteile mit sich, sondern ist auch mit potenziellen Problemen verbunden. So können kulturelle und sprachliche Unterschiede sich negativ auf die Schiffssicherheit (Safety) und Gefahrenabwehr (Security), die Prävention von Umweltwirkungen, das Arbeitsklima an Bord und den operativen Betrieb des Schiffes auswirken [Horc05].

Für das zukünftige Angebot an Seeleuten wird ein fortgesetztes Wachstum erwartet, so wie es bereits in den vergangenen Jahren beobachtet werden konnte. Dies setzt jedoch voraus, dass aktiv Maßnahmen, welche die Rekrutierung von qualifiziertem Nachwuchs fördern und das Training von qualifizierten Seeleuten sicherstellen, umgesetzt werden. Ansonsten könnte sich insbesondere der bereits bestehende Mangel an Offizieren in der Zukunft verschärfen [MSF10].

Für die Sicherung der europäischen Schifffahrt ist die Ausbildung einer ausreichenden Zahl von Offizieren und Mannschaften, sowohl für den Einsatz an Bord als auch an Land in den verschiedenen Bereichen des maritimen Clusters, eine zentrale Herausforderung. Wesentlich hierfür sind das Angebot entsprechender Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, eine Verbreiterung der Einsatzchancen und eine aktive Gestaltung der Karrierewege für Seeleute [ECSA10, S.5]. Mit dem Ziel einer Förderung von Beschäftigung und Ausbildung werden hierzu auf europäischer und nationaler Ebene Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt [EUKOM11e].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Seeschifffahrt (Stand des Wissens: 26.10.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?11155
Literatur
[Bin05] Bin Wu, Winchester, Nik Crew study of seafarers: a methodological approach to the global labour market for seafarers, veröffentlicht in Marine Policy, Ausgabe/Auflage 29 (2005), 2005
[CoWi08] Corbett, James J. , Winebrake, James The Impacts of Globalisation on International Maritime Transport Activity - Past trends and future perspectives, veröffentlicht in Global Forum on Transport and Environment in a Globalising World, Guadalajara, Mexico, 2008/11/12
[ECSA10] Dearsley, D. Enhancing Recruitment and Training in the Maritime Sector in Europe, ECSA Workshop, Brussels, 28th September 2010, Brüssel, 2010
[EUKOM11e] Europäische Kommission Report of the Task Force on Maritime Employment and Competitiveness and Policy Recommendations to the European Commission , 2011/06/09
[Horc05] Horck, Jan, Getting the best from multi-cultural manning, BIMCO GA 2005 in Copenhagen, 2005
[ICS17] International Chamber of Shipping (ICS) (Hrsg.) Global Supply and Demand for Seafarers, 2017
[ILO06] INTERNATIONALE ARBEITSKONFERENZ SEEARBEITSÜBEREINKOMMEN, 2006, 2006
[ILO12] Internationale Arbeitsorganisation Togo ratifies the Maritime Labour Convention, 2006 , 2012/03/30
[ILO13] International Labour Organization (ILO) (Hrsg.) Deutschland ratifiziert Seearbeitsübereinkommen (MLC) , 2013/08/16
[MSF10] Institute for Employment Research, International Maritime Conventions Research Center BIMCO/ISF MANPOWER 2010 UPDATE - The Worldwide Demand for and Supply of Seafarers, 2010
[PrTh10] Progoulaki, Maria, Theotokas, Ioannis Human resource management and competitive advantage: An application of resource-based view in the shipping industry, veröffentlicht in Marine Policy, Ausgabe/Auflage Volume 34, Issue 3, 2010/05
[SiPi12] Silos, J. M. , Piniella, F. , Monedero, J. , Walliser, J. Trends in the global market for crews: A case study , veröffentlicht in Marine Policy, Ausgabe/Auflage Vol. 36, Issue 4, 2012/07
[Stop09] Stopford, Martin Maritime economics, Ausgabe/Auflage 3. Aufl., Routledge / London, New York, 2009/02/06
Weiterführende Literatur
[ILO04a] o.A. The global seafarer: Living and working conditions in a globalized industry, Genf, 2004, ISBN/ISSN 92-2-112713-3
Glossar
Betriebskosten
Betriebskosten sind laufende Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Erbringung von Verkehrsleistungen entstehen. Hierzu zählen zum Beispiel Aufwendungen für Energie, Personal, oder Infrastrukturnutzung.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?18458

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 12:46:42