Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Integrierte Verkehrsdienstleistungen

Erstellt am: 10.11.2005 | Stand des Wissens: 15.07.2019
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Betrachtet man die derzeit angebotenen intermodalen Luft-Schiene-Fernverkehrsdienstleistungen, so ergibt sich hinsichtlich der Kooperationsform und des Integrationsgrads ein sehr vielschichtiges Bild. Aufbauend auf der allgemeinen Identifikation von Integrationsgraden bei intermodalen Angeboten können anhand der realisierten Intermodalprodukte die verschiedenen Integrationsstufen bei intermodalen Luft-Schiene-Fernverkehren aufgezeigt werden.

Dabei reicht das Spektrum von sehr einfachen, wenig integrierten, kaum Investitionen erfordernden und damit schnell realisierbaren Kooperationen (zum Beispiel das Rail&Fly-Angebot der DB AG) bis zu intermodalen Mobilitätsangeboten, bei denen der Anspruch des möglichst nahtlosen Übergangs zwischen den Verkehrsmitteln ("seamless travel") komplexe Abstimmungen der Prozesse und hohe Investitionskosten zur Folge hat (Beispiel AIRail-Terminal in Frankfurt Flughafen).

Ein Gegenbeispiel zu diesen Kooperationen stellt die Marke "Virgin Group" dar. Unter dem Markennamen werden sowohl Schienen- als auch Luftverkehrsdienstleistungen angeboten. Eine Management-Kooperation zwischen den Verkehrsträgern existiert jedoch nicht [Givo01, S. 19].

Neben diversen Beweggründen, welche Mobilitätsanbieter aus den beteiligten Verkehrsbereichen zur Entwicklung intermodaler Angebote motivieren, existieren derzeit noch zahlreiche Hemmnisse für die Implementierung intermodaler Verkehrslösungen. Bei den Kooperationspartnern Bahn und Flugzeug handelt es sich um Konkurrenten, die sich jahrzehntelang separat voneinander entwickelt haben und nur auf ausgesuchten Relationen intermodale Allianzen eingehen [EUKOM03b, S. 9; Pous01, S. 133]. Daraus resultierten früher (Beispiel Frankreich bei [Lebo01]) und auch aktuell (zum Beispiel gegenseitige Subventionsvorwürfe) die Zusammenarbeit erschwerende Vorbehalte.

FAKINER & SCHERZ nehmen an, dass die Hürden bei der Realisierung von Intermodalprodukten bestehend aus Hochgeschwindigkeitsbahn- und Luftverkehr "allgemein unterschätzt" werden [Scherz03, S. 618]. Für die Deutsche Lufthansa führen sie als wesentliches Hemmnis die häufig längere Gesamtreisezeit von Flug-Zug-Verbindungen an. Da die Gesamtreisezeit die Platzierung in den internationalen Computerreservierungssystemen (CRS) des Luftverkehrs bestimmt, ist sie ein Entscheidungskriterium bei der Buchung von Flugverbindungen, denn 80 Prozent der Buchungen werden von der ersten Bildschirmseite der CRS getätigt [Pomp02, S. 300; Pous01, S. 126]. Die intermodale Dienstleistung wird dadurch insofern benachteiligt, als dass die Gesamtreisezeiten intermodaler Produkte mit denen von Flug-Flug-Verbindungen aufgrund anderer Ausgangs- / Endpunkte (Bahnhof meist Stadtmitte, Flughafen außerhalb) nicht ohne Weiteres vergleichbar sind [EUKOM04k, Annex III, S. 9].

Die Akzeptanz weiterer Bahn-Bausteine beziehungsweise intermodaler All inclusive-Angebote kann nicht nur zu weiter Kosteneinsparung bei Fluggesellschaften führen, sondern zusätzlich auch neue Kundengruppen erschließen. Für den Klima- und den Umweltschutz, für die Bahn sowie zur Reduzierung der für die Fluggesellschaft nicht rentablen Kurzstreckenflüge ist diese Entwicklung wünschenswert. Neben Air France und Swiss gibt es immer mehr Airlines, welche Flugverbindungen durch Zugfahrten im Hochgeschwindigkeitsverkehr ersetzen und diese mit Flugnummern versehen, sodass die Züge genau wie Flüge behandelt werden können. Air France ersetzte beispielsweise Flüge zwischen Paris und Straßburg, Le Mans oder Nantes durch TGV-Fahrten und Swiss den Flug zwischen Basel und Zürich durch die einstündige Zugfahrt, für die mit einem gültigen Flugticket freie Zugwahl besteht [AFD18]. Mit dem Aufbau eines europäischen Nachtzugnetzes lassen sich auf bestimmten Relationen auch Mittelstreckenflüge reduzieren oder langfristig gar einstellen.
Auch für Eisenbahnunternehmen ist die Durchführung von hoch integrierten Intermodalangeboten mit separatem Gepäcktransport nicht unproblematisch: Die Zugumlaufplanung des Schienenverkehrs hemmt intermodale Angebote, da ICE-Züge mit festen Einbauten für Check-in- oder Gepäckservice bei flughafenfernen Umläufen nicht so effizient nutzbar sind wie Standardfahrzeuge. Die limitierten Gepäckbeförderungskapazitäten (zum Beispiel beim AIRail-Produkt) begrenzen die Anzahl möglicher AIRail-Kunden und erschweren die komplette Einstellung eines parallelen Flugangebots [Krie06, S. 468]. Unproblematischer ist für Eisenbahnunternehmen, wenn den Fahrgästen die Aufsicht über ihr Gepäck während der Zugfahrt obliegt. Die Einhaltung der Bestimmungen des Luftsicherheitsgesetzes sowie der Zollformalitäten können meist kosteneffizienter an Flughafen als an Bahnhöfen kontrolliert werden.

Zudem erfordern die intermodalen Angebote mit dem Anspruch eines nahtlosen Verkehrsmittelübergangs eine optimierte Abstimmung von Flug- und Fahrplänen, um Aufenthaltszeiten und damit die wichtige Gesamtreisezeit (siehe oben) zu minimieren. Die national und international stark vertakteten Schienenfernverkehre weisen aber bereits heute nur noch wenig Spielraum für eine Anpassung auf. Ebenso sieht es in umgekehrter Richtung aus [Scherz03, S. 623]. Handelt es sich zudem am Flughafen um einen Durchgangsbahnhof, entsteht bei der Bahn ein Interessenkonflikt. Die Vorteile für die Reisenden mit Fahrtziel Flughafen werden durch zeitliche Nachteile für den Durchgangsverkehr mit anderen Reisezielen erkauft, insbesondere wenn die Anbindung des Flughafens eine Abweichung von der Ideallinie erfordert [Meye02c, S. 280].

Für den Flughafen schließlich können intermodale Angebote zu einem Umstieg von potenziellen Parkflächennutzern auf die Bahn führen [Meye02c, S. 2]. Bei den Einnahmen aus Parkgebühren handelt es sich jedoch um eine für die Flughäfen wesentliche Einkommensquelle.

Für alle beteiligten Unternehmen gilt, dass die benötigte kritische Masse an Nutzern für die wirtschaftliche Durchführung eines wettbewerbsfähigen hoch integrierten intermodalen Produkts zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erreicht ist. Nicht zuletzt ist dies darauf zurückzuführen, dass die neue Reisekultur intermodaler Angebote von Nutzern wie Reisevermittlern erst langsam erlernt werden muss [EUKOM04k, S. 5].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Literatur
[AFD18] Air France Direktion für Deutschland (Hrsg.) Kombinierte Reisen mit Zug und Flug, 2018
[EUKOM03b] IATA Air Transport Consultancy Services Air/ Rail Intermodality Study - Final Report, 2003/02
[EUKOM04k] Europäische Kommission Generaldirektion Energie und Verkehr Rail Air Intermodality Facilitation Forum, 2004
[Givo01] Moshe Givoni Airline and railway co-operation, a new approach to intermodality - a research perspective, 2001/04
[Krie06] Krieger, Edmund Airport rail links must focus on SERVICE, veröffentlicht in Railway Gazette International, 2006/08, ISBN/ISSN 0373-5346
[Lebo01] Michel Leboeuf Die Bahnanbindung des Flughafens Roissy - Charles-de-Gaulle, veröffentlicht in Rail International - Schienen der Welt, 2001/03
[Meye02c] Carsten Emil Meyer Fernbahnhöfe an Flughäfen, 2002/11/02, ISBN/ISSN 3-89936-115-6
[Pomp02] Wilhelm Pompl Luftverkehr - Eine ökonomische und politische Einführung, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2002, ISBN/ISSN 3-540-42656-6
[Pous01] Petra F. Pousttchi Kompetenzorientiertes strategisches Management intermodaler Verkehrsdienstleistungen, Betriebswirtschaftlicher Verlag, Wiesbaden, 2001/09, ISBN/ISSN 3-8244-7468-9
[Scherz03] Scherz, Susanne , Fakiner, Hans Intermodalität am Flughafen Frankfurt - Auf dem Weg zu einem integrierten Gesamtverkehrssystem Schiene/Luft, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage 55, 2003/12
Weiterführende Literatur
[Dres07] Dressler, Florian Wettbewerbsfähigkeit von Luft-Schiene-Kooperationen zur Substitution von Zubringerflügen, Eul, 2007, ISBN/ISSN 978-3-89936-602-0
Glossar
Hochgeschwindigkeitsverkehr Als Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) werden Zugfahrten von Trieb[wagen]zügen (sog. Hochgeschwindigkeitszüge) bzw. dafür geeigneten lokbespannten Zügen mit mehr als 200 km/h Spitzengeschwindigkeit auf extra dafür [um]gebauten HGV-Strecken bezeichnet.
Zugumlauf
Der Zugumlauf beschreibt das vollständige Abfahren eines festen Streckenzyklus (Kursverlauf, Haltepunkte etc.) im Rahmen des Fahrplanbetriebs. Die Dauer des Zugumlaufs ist nicht auf einen Kalendertag begrenzt, sondern kann auch längere Zeit in Anspruch nehmen.
Train à grande vitesse Train à grande vitesse (TGV, dt. Zug mit hoher Geschwindigkeit, Hochgeschwindigkeitszug), ist sowohl Markenname als auch Bezeichnung mehrerer Baureihen französischer Hochgeschwindigkeitszüge. Die TGV sowie deren Geschwisterzüge Thalys und Eurostar verkehren außer in Frankreich auch in bzw. nach Deutschland, in der Schweiz, in Italien, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Luxemburg und Spanien.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?176508

Gedruckt am Mittwoch, 6. Dezember 2023 08:11:09