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Gefahrenabwehr in Seeschifffahrt und Seehäfen (Security)

Erstellt am: 28.10.2005 | Stand des Wissens: 26.10.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Zu den alltäglichen Sicherheitsherausforderungen im Verkehrswesen wie Ladungssicherheit vor Diebstahl, Raub und Beschädigung, Verhinderung von illegaler Einwanderung sowie Transport von Drogen und Schmuggelware, kommt verstärkt die Sorge vor terroristischen Attacken auf Fahrzeuge und Infrastruktureinrichtungen.
Die terroristischen Aktivitäten von New York 2001, Djerba 2002, Rabat 2003, Madrid 2004, London 2005 unter anderen haben das Sicherheitsbedürfnis insbesondere in den USA aber auch in allen anderen G8- und den EU-Mitgliedsstaaten stärker in den Vordergrund gerückt. Im Vordergrund stand dabei die Abwehr terroristischer Angriffe [Roos05].
In den folgenden Jahren gewann mit den zunehmenden Piratenüberfällen mit Geiselnahmen das Problem der Piraterie wieder verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit. Nach dem Höhepunkt im Jahr 2010 ist jedoch seitdem ein Abwärtstrend der Überfälle zu beobachten (vgl. Abbildung 1).
Die größte Aktivität konzentriert sich dabei auf Indonesien (vgl. Abbildung 2).
Piraterie 2006 bis 2019.pngAbb. 1: Anzahl der Piratenüberfälle weltweit von 2006 bis 2019 (eigene Darstellung nach [ICC21, S.5])
Piraterie nach Regionen.pngAbb. 2: Anzahl der Piratenüberfälle nach Regionen im Jahr 2019 (eigene Darstellung nach [MAR20a, S.21])
Abwehr von Piratenangriffen:
Um Piratenangriffe direkt auf dem Schiff abzuwehren, werden alle Luken und Türen verschlossen, bzw. teilweise Verschweißungen auf unten liegenden Decks vorgenommen, sobald ein Angriff absehbar ist. Die Abwehr der sich an Bord befindlichen Angreifer erfolgt mit Wasserschläuchen, die unter Hochdruck betrieben werden. Weitere Maßnahmen sind zum Beispiel das Zerschlagen leerer Flaschen, da Piraten häufig barfuß entern sowie das Anbringen von Elektrozäunen um das Hochklettern an der Bordwand zu erschweren. Mit dem sogenannten Long Range Acoustic Device, einer Art Schallkanone, werden die Piraten mit hochenergetisch gebündelten Hochfrequenztönen vertrieben.

Da es unmöglich ist, eine 100 prozentige Sicherheit vor äußeren Gefahren zu erreichen und mit zunehmenden Sicherheitsanforderungen die wirtschaftlichen und sozialen Kosten exponentiell steigen, wird verstärkend das Konzept einer Risiko basierten Gefahrenabwehr verfolgt [ITF09, S.2].

Relevante Vorschriften und Richtlinien mit bedeutendem Einfluss auf die Transportkette sind:
Besonders drängend und international koordinierungsbedürftig stellt sich die Frage der Sicherheit in den internationalen Containertransportketten. Als spezielle Bedrohung wird der terroristische Missbrauch von Ladeeinheiten für den Transport von chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Waffen/ Materialien angesehen. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 auf die USA wurde vielen Ländern bewusst, dass sie bislang relativ beschränkte Möglichkeiten haben, den terroristischen Missbrauch des Transportsystems zu verhindern [Orde04].

Die Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen auf Schiffen und in Häfen ist mit beträchtlichen zusätzlichen Aufwendungen verbunden. Bezüglich der Kostenübernahme bestehen bei den Beteiligten unterschiedliche Auffassungen.

Alarmsystem zur Gefahrenabwehr auf dem Schiff SSAS (Ship Security Alert System)
Die Pflicht, ein Schiff mit einem SSAS auszurüsten, ist mit den Internationalen Regelungen zur Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen (Regel 6 des Kapitels XI-2 der Anlage des Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See von 1974, BGBl Teil II, 2003 Seite 2020ff) eingeführt worden. Für welche Schiffe dieses verpflichtend ist, kann beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie erfragt werden. Das System soll es dem Schiff ermöglichen, ein verdecktes Alarmsignal an eine Behörde des Flaggenstaates zu übermitteln mit dem Inhalt, dass die Sicherheit des Schiffes bedroht oder beeinträchtigt ist. Für die Bundesrepublik Deutschland wurde als zuständige Behörde/Stelle der sog. Point of Contact (PoC) in Cuxhaven eingerichtet [BSH11].


Die Sicherheitsregelungen konzentrieren sich in der Seeschifffahrt auf die Schiffe und die Umschlaganlagen als unmittelbare See-Land-Schnittstellen. Für ein effizientes Risikomanagement entlang der gesamten Transportkette sind jedoch alle Verkehrsträger und darüber hinaus auch die Schnittstellen zwischen diesen zu berücksichtigen. 

Im Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (International Convention for the Safety of Life at Sea (SOLAS)) [SOLAS74] der International Maritime Organisation (IMO) von 1974 waren zunächst nur Aspekte der technischen Sicherheit des Seeverkehrs verankert. Da sich die Schaffung eines neuen Übereinkommens zur Gefahrenabwehr in der Seeschifffahrt über einen längeren Zeitraum hingezogen hätte, verständigten sich die IMO-Vertragsstaaten darauf, das SOLAS-Übereinkommen als "Vehikel" zur Einführung von Gefahrenabwehrmaßnahmen in der Seeschifffahrt zu nutzen [Orde05].

Neu ist die Ausdehnung von SOLAS, des ursprünglich internationalen Schiffssicherheitsvertrag, auf landseitige Bereiche. Mit dem neuen Kapitel SOLAS XI-2 "Special Measures to Enhance Maritime Security" erfolgt die Einbeziehung jener Hafenanlagen, die eine Schnittstelle zwischen Schiff und Hafen bilden. Allerdings obliegt es den Hafenstaaten, diese Schnittstelle genauer zu definieren und abzugrenzen.

Die Ergänzungen zu SOLAS beziehen sich auf die Sicherung der Seefahrt (Kapitel V), wie zum Beispiel an Bord mitzuführende Navigationsausrüstungen. Sie umfassen des Weiteren besondere Maßnahmen zur Verbesserung der technischen Sicherheit (Safety) (Kapitel XI-1), wie z. B. die Einführung einer Schiffsidentifikationsnummer (IMO- Nummer) oder einer lückenlosen Stammdatendokumentation und Maßnahmen zur Verbesserung der Gefahrenabwehr in der Schifffahrt (Security) (Kapitel XI- 2) [Eggers05].

Die wesentlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr liegen im Bereich der Zugangs- und Ladungskontrolle. Während die Zugangskontrolle in den Häfen überwiegend physisch erfolgt, wird der Ladungskontrolle oft durch eine Überprüfung der Papiere nachgekommen.

Im Ergebnis wurde 2004 der von einer gemeinsamen ILO/IMO- Arbeitsgruppe erarbeitete Security in ports. ILO and IMO code of practice von beiden Organisationen ihren Vertragsstaaten zur Anwendung empfohlen [ILOIMO04]. Der seit Juli 2004 geltende Internationale Code für die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen, der ISPS-Code, sieht vor, dass auf jedem Schiff über 500 BRZ sowie Fahrgastschiffen in internationaler Fahrt, ein Beauftragter für die Gefahrenabwehr eingesetzt werden muss. Dieser hat zur Aufgabe, die Sicherheitsmaßnahmen regelmäßig zu überprüfen, ebenso wie die Besatzung für den Ernstfall zu schulen und alle sicherheitsrelevanten Ereignisse zu melden. Weiterhin hat jede Reederei einen Beauftragten für die Gefahrenabwehr im Unternehmen zu benennen. Dieser führt die Risikobewertung der Schiffe durch, sowie die Ausarbeitung des Gefahrenabwehrplans [DeFl19].
Nach den drastisch steigenden Übergriffen auf Schiffe durch somalische Piraten beschloss die IMO im November 2017 die Resolution A1002/25, welche eine höhere Sicherheit in den Gewässern gewährleisten soll. Daraus resultierten unter anderem Patrouillien von Militärschiffen der EU, NATO, Chinas und Russlands in der Region und der Einsatz von privaten Sicherheitsfirmen zum Schutz der Handelsschiffe [Onuo09].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Seeschifffahrt (Stand des Wissens: 26.10.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?11155
Literatur
[BSH11] Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie Gefahrenabwehr - Alarmsystem zur Gefahrenabwehr auf dem Schiff (Ship Security Alert System - SSAS), 2011
[DeFl19] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Deutsche Flagge (Hrsg.) Gefahrenabwehr (ISPS), 2019
[Eggers05] Eggers, D. ISPS Code Hintergründe und Ziele, 2004/05/26
[ICC21] International Maritime Bureau Piracy and Armed Robbery Against Ships - 2020, 2021/01
[ILOIMO04] k.A. Security in ports. ILO and IMO code of practice, International Labour Office, International Maritime Organization / Genf, London , 2004, ISBN/ISSN 92-2-115286-3
[ITF09] Organisation for Economic Cooperation and Development Ensuring a Secure Global Transport System, WORKSHOP 4 CONCLUSIONS, veröffentlicht in International Transport Forum 2009, Leipzig, 2009/05/27
[MAR20a] Marinekommando (Hrsg.) Jahresbericht 2020: Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland, 2020/11
[Onuo09] Freedom C Onuoha Sea piracy and maritime security in the Horn of Africa: The Somali coast and Gulf of Aden in perspective, Taylor & Francis, 2009
[Orde04] Ordemann, U. Die Umsetzung der IMO-Regelungen in den deutschen Seehäfen, veröffentlicht in Terrorabwehr im Transport- und Verkehrswesen - 2. Rechtsforum der DVWG, Schriftenreihe der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft B 276, Ausgabe/Auflage B 276, Berlin, 2004, ISBN/ISSN 3-937877-06-1
[Orde05] Ordemann, U. Maßnahmen der Schifffahrt gegen Terrorismus und Piraterie, 2005
[Roos05] Roos, H.-J. Gefahrenabwehr (Terrorismus) im multimodalen internationalen Transport, 2004/05/26
Rechtsvorschriften
[SOLAS74] International Convention for the Safety of Life at Sea (SOLAS 1974)
Glossar
Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter Ein Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter besitzt einen besonderen Status: Er gilt als besonders zuverlässig und vertrauenswürdig und kann dafür besondere Vergünstigungen im Rahmen der Zollabfertigung in Anspruch nehmen. Ziel ist es, die internationale Lieferkette vom Hersteller bis zum Endverbraucher abzusichern. Der Status des AEO ist in allen Mitgliedstaaten der europäischen Union unbegrenzt gültig.
ISPS-Code Der "International Ship and Port Facility Security Code" (Internationales Übereinkommen für die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen) regelt als Anlage zum internationalen Schiffssicherheitsübereinkommen SOLAS die Gefahrenabwehr auf Seeschiffen und in Seehäfen.
Ship Security Alert System Das Ship Security Alert System ist Teil des ISPS Codes und bezeichnet ein System, welches zur Erhöhung der maritime Sicherheit und der Bekämpfung von Piraterie und maritimen Terrorismus beitragen soll. Im Falle der Bedrohung oder Beeinträchtigung des Schiffes soll das System dem Schiff ermöglichen, ein verdecktes Alarmsignal an eine Behörde des Flaggenstaates zu übermitteln. Für die Bundesrepublik Deutschland wurde als zuständige Behörde der sog. Point of Contact (PoC) in Cuxhaven eingerichtet.
Transportkette
Nach DIN 30781 eine Folge von technisch und organisatorisch miteinander verknüpften Vorgängen, bei denen Personen oder Güter von einer Quelle zu einem Ziel bewegt werden, im weiteren Sinne alle Transferprozesse zwischen Quelle und Senke.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?173319

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 07:31:08