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Verkehrsteilnehmer als Beteiligte an der Beschleunigung des ÖPNV

Erstellt am: 19.08.2005 | Stand des Wissens: 21.10.2021
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König

Beschleunigungsmaßnahmen für den ÖPNV können auf Widerstand bei Teilen der Bevölkerung stoßen. Oft werden hierdurch Nachteile für die anderen Verkehrsteilnehmer befürchtet. So war ein wesentlicher Kritikpunkt am Hamburger Busbeschleunigungsprogramm der Wegfall zahlreicher Parkplätze [Ham17]. Um Bedenken auszuräumen und Konflikte zu vermeiden ist es daher sinnvoll, die Öffentlichkeit ausführlich über die geplanten Maßnahmen zu informieren, wie z.B. in Hamburg geschehen [HAM12].
Welche Auswirkungen auf andere Verkehrsteilnehmer tatsächlich zu erwarten sind, ist stark unterschiedlich und hängt von Art der umgesetzten Maßnahmen ab. Bei der ÖPNV-Priorisierung an Lichtsignalanlagen als Kernelement der meisten Beschleunigungsprogramme lassen sich jedoch einige Tendenzen erkennen:
In den meisten Fällen wird darauf geachtet, im Signalprogramm die bisherige Verkehrsqualität des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) weitgehend beizubehalten [Fried03a]. Der Ansatz besteht darin, auf die Freigabe für das öffentliche Verkehrsmittel zugunsten der anderen Verkehrsteilnehmer zu verzichten, wenn kein öffentliches Verkehrsmittel angemeldet ist. Im Gegenzug sollte das ÖV-Fahrzeug genau dann eine Freigabe bekommen, wenn es tatsächlich eine benötigt. So konnte beispielsweise in Halle an einem Knotenpunkt die Freigabe für die Straßenbahn von 40-mal pro Stunde bei Festzeitsteuerung auf 12-mal bei verkehrsabhängiger Steuerung mit Bedarfsanforderung reduziert werden [KoPau03].
VerteilungGruenzeiten_low.pngAbb. 1: Verteilung der Grünzeiten pro Stunde vor und nach Optimierung der LSA-Steuerung [KoPau03]
Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wartezeiten an LSA für den konkurrierenden Fuß- und Radverkehr mit Bevorrechtigung des ÖV tatsächlich spürbar zunehmen [MaSchla02]. So steigt der durchschnittliche Erwartungswert der Wartezeit unter dem Einfluss des Nahverkehrs von 30 auf 39 Sekunden. Außerdem variieren die Wartezeiten stärker als ohne ÖV-Priorisierung. Die Ursachen hierfür sind vor allem steuerungstechnischer Natur. Simulationen haben zu dem Ergebnis geführt, dass durch eine Optimierung der Lichtsignalsteuerung negative Auswirkungen auf Fußgänger und Radfahrer vermieden werden, ohne eine Verschlechterung der Nahverkehrsbevorrechtigung zu bewirken [Fried03a].

Insgesamt werden die positiven Effekte der ÖPNV-Beschleunigung höher eingestuft als die Beeinträchtigungen im Fuß- und Radverkehr [MaSchla02]. Dennoch sollten bei jeder Verkehrsart bestimmte Maximalwerte für die Wartezeiten nicht überschritten werden. Die Verkehrsqualität darf für die einzelnen Verkehrsträger nicht um mehr als zwei Verkehrsqualitätsstufen nach HBS voneinander abweichen [Fried03a].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Beschleunigung des ÖPNV (Stand des Wissens: 21.10.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?158416
Literatur
[Fried03a] Fischer, Nicola, Dipl.-Ing., Friedrich, Bernhard, Prof. Dr.-Ing. Nahverkehrsbevorrechtigung an Lichtsignalanlagen - Auswirkungen auf die Qualität des Verkehrsablaufs von nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmern, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage 55, 2003/5
[HAM12] VORFAHRT für Hamburg VIA BUS, hamburg.de (Hrsg.) Busbeschleunigung - Fragen und Antworten, 2012/09
[Ham17] Binde, Nico Was die Busbeschleunigung wirklich gebracht hat, 2017/09/18
[KoPau03] Halleschen Verkehrs-AG, Kolbert, Peter, Pauli, Antje Mobilitätsprojekt 2005 in Halle - Konzept zur Beschleunigung des ÖPNV und Reduzierung von Betriebskosten, veröffentlicht in Der Nahverkehr, 3/2003, Ausgabe/Auflage 3, 2003
[MaSchla02] Martens, Rüdiger, Dipl.-Ing., Schlabbach, Klaus, Prof. Dr.-Ing. Konkurrenz im Umweltverbund? - Vorteile von Busbeschleunigungsmaßnahmen überwiegen - doch Wartezeiten von Fußgängern stärker berücksichtigen, veröffentlicht in Der Nahverkehr, 7-8/2002, Ausgabe/Auflage 7-8, 2002
Glossar
ÖV
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist sowohl im Personen-, Güter- sowie Nachrichtenverkehr für jeden Nutzer in einer Volkswirtschaft öffentlich zugänglich. Dazu zählen sowohl die öffentliche Personenbeförderung, der öffentliche Gütertransport als auch die öffentlichen Telekommunikations- und Postdienste. Der ÖV wird dabei von Verkehrsunternehmen nach festgelegten Routen, Preisen und Zeiten durchgeführt. Der ÖV ist somit im Gegensatz zum Individualverkehr (IV) örtlich und zeitlich gebunden.
Vor dem Hintergrund der verkehrspolitisch geförderten Multimodalität wird der ÖV zunehmend breiter definiert, indem auch alternative Bedienformen, Taxen bis hin zu öffentlichen Fahrrädern und öffentlichen Autos als Teil eines neuen individualisierten ÖV gesehen werden.
LSA Lichtsignalanlagen LSA (umgangssprachlich: Ampeln) dienen der Steuerung des Straßenverkehrs, indem mittels Lichtsignalen ein bestimmtes Verhalten der Verkehrsteilnehmer angeordnet wird.
Knotenpunkt
Ein Knotenpunkt im Verkehr ist ein Ort, bei dem sich mehrere Verkehrswege gleicher Art kreuzen oder ein Verkehrsweg in einen Verkehrsweg gleicher Art einmündet. In einem Verkehrsknotenpunkt befinden sich mehrere Verkehrsknoten von Verkehrswegen unterschiedlicher Art in unmittelbarer Nähe. In einem Verknüpfungspunkt kann der Übergang zwischen Fahrzeugen eines Verkehrssystems oder zweier verschiedener Verkehrssysteme erfolgen.
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
LSA Lichtsignalanlagen (LSA) dienen der Steuerung des Straßenverkehrs. Sie ordnen für Verkehrsteilnehmer ein bestimmtes Verhalten an, indem sie gesteuerte Signale abgeben. Umgangssprachlich werden sie auch häufig Ampeln genannt.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?161222

Gedruckt am Freitag, 19. April 2024 09:13:52