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Anforderungen an den ÖPNV bei Events

Erstellt am: 18.08.2005 | Stand des Wissens: 29.06.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Der Eventverkehr besitzt wichtige Gestaltungschancen und Entwicklungspotenziale für Anbieter des Öffentlichen Verkehrs. Eventverkehr kann zur Profilierung von Unternehmen des ÖV und zur gezielten Imagebildung eingesetzt werden. Als Gründe für die für die jeweilige Verkehrsmittelwahl werden meist die Kriterien Komfort, Flexibilität und Reisedauer genannt. Die Anreise zu bestimmten Veranstaltungen stellt sich überwiegend als Zweckmobilität dar. Dementsprechend ist die Einstellung zur An- und Abreise von Aufwandsminimierung und Effizienz geprägt. Daher sind effiziente, komfortable und preisewerte Komplettangebote des ÖV entscheidend, um neue Kunden und Kundinnen zu gewinnen [Reub06].
Der Weltjugendtag im Jahr 2005 mit rund 800.000 Teilnehmenden beim Abschlussgottesdienst hat gezeigt, welche Anstrengungen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erforderlich sind, um derartige Menschenmassen zu befördern. Bei der Planung wurde mit einem Zeitbedarf für die Abwicklung der Abreise von 10 Stunden ausgegangen [KrRe05, S. 41]. Laut Medienberichten waren es am Ende sogar 13 Stunden. Die Deutsche Bahn AG konnte dabei als maximale Kapazität am Regionalbahnhof Horrem 12.000 Fahrgäste je Stunde befördern. Zusätzlich waren rund 2.000 Shuttle-Busse im Einsatz.
Bei der Fußball-WM 2006 bestanden deutlich höhere Anforderungen an die zeitliche Abwicklung der Abreise im ÖPNV: In den 1,5 Stunden nach Spielende sollten 75 Prozent der Zuschauenden das Stadiongelände verlassen können, davon die Hälfte mit dem ÖPNV. Die Ziele wurden bei der WM sogar noch übertroffen. Obwohl sogar mehr als 60 Prozent der Stadionbesucher und Besucherinnen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und durch die WM über 30 Millionen zusätzliche Mitfahrende kamen, erntete der ÖPNV während der WM durchweg gute Noten [VDV06, S. 3 f. und S. 8].
Sonderverkehre
Für eine erfolgreiche Eventplanung ist es allgemein erforderlich, dass die erwarteten Publikumszahlen verkehrsmittelbezogen abgeschätzt und die ÖPNV-Angebote hierauf abgestimmt werden. Wenn die regulären Verkehrsangebote nicht ausreichen, ist die Ausarbeitung von Sonderverkehren des ÖPNV erforderlich. In der Regel ist dabei die Abreise für die Dimensionierung maßgebend. Unter Umständen muss der genaue Beginn der Abreise vor Ort in Abhängigkeit des Veranstaltungsendes disponiert werden. Hierfür sind ausreichende Abstellkapazitäten für Reisebusse und/oder Schienenfahrzeuge einzuplanen. Gegebenenfalls sollten Reservekapazitäten vorgehalten werden [Hama04; Heis04].
Erfolgreiche Sonderverkehre können Personen, die sonst nicht mit dem ÖPNV fahren, den Eindruck eines flexiblen ÖPNV vermitteln. Beispiele hierfür sind die Sonderverkehre zum "Fest" in Karlsruhe und zum Altstadtfest Tauberbischofsheim [Heis04; MaSa04].
Im Zusammenhang mit entfernt gelegeneren Park-and-Ride-Anlagen haben sich Shuttle-Verkehre als geeignet herausgestellt. Hierbei ist besonders darauf zu achten, dass die Strecken zwischen Veranstaltungsort und dem Parkplätzen für den ÖPNV weitgehend störungsfrei befahrbar sind [DiSc04, S. 162 ff.].
Komfortaspekte zur Attraktivierung des ÖPNV
Die Einrichtung von Kombi-Tickets kann als sehr erfolgreiche Maßnahme betrachtet werden: Dabei bezahlt die nutzende Person über den Eintrittspreis die Berechtigung, die Busse und Bahnen im jeweiligen Geltungsgebiet nutzen zu können. Wichtig hierbei ist es, dieses Angebot vor der Anreise geeignet zu kommunizieren (unter anderem auf der Homepage des Eventveranstalters) und vor allem auch den Vorverkauf zu ermöglichen [vgl. DiSc04, S. 171]. Eine Sonderform bei Veranstaltungen ohne Eintritt sind Sondertickets für den Eventzeitraum ("Pilgerticket", "Love-Parade-Ticket", "Karnevals-Ticket" und andere). Auch bei der WM 2006 konnten die Eintrittskarten erstmalig bei einer WM als Kombi-Ticket genutzt werden [VDV06, S. 4].
Sehr nutzungsfreundlich ist es, wenn Eintrittskarten, An-/Abreise und Unterkunft als Eventreisen angeboten werden. Dies realisiert beispielsweise die DB AG gemeinsam mit dem Eventveranstalter "Eventim". Zur stärkeren Identifikation mit dem Event und einer zielgruppengerechten Gestaltung können Tickets in einem besonderen Design zum Beispiel in Form von Plastikarmbändern umgesetzt werden. So beispielsweise von der BVG für die Love-Parade 2000 umgesetzt [DiSc04, S. 173].
Ein spezielles ÖPNV-Angebot für den ländlichen Raum ist die Einrichtung von Freizeitportalen oder Reiseführern, die auf die Erreichbarkeit von Zielen mit öffentlichen Verkehrsmitteln ausgelegt sind. In Einzelfällen besteht bei der Fernanreise die Möglichkeit, die Anreise als Teil des Events auch mit Bussen und Zügen zu gestalten.
Barrierefreiheit im ÖPNV
Eine Prüfung der barrierefreien Tauglichkeit des öffentlichen Nahverkehrs wird in der Eventplanung oft vernachlässigt. Die Wahl des Verkehrsmittels hängt jedoch von der barrierefreien Gestaltung der Wege und Haltestellen und der Zugänglichkeit der Verkehrsmittel ab. Für Eventplanende ist es daher empfehlenswert eine Bild vor Ort zu machen, gegebenenfalls in Begleitung von Experten und Expertinnen [Hofm21].
Kriterien für die barrierefreie Nutzung des ÖPNV:
  • die Möglichkeit der Zugänglichkeit des Verkehrsmittels mit Rollstuhl oder Rollator,
  • das Vorhandensein von Ein- und Ausstiegshilfen,
  • funktionierende Aufzüge zur Überwindung von Höhenunterschieden,
  • die gute Erreichbarkeit bei Gleiswechseln,
  • akustische und visuelle Informationsgeber,
  • die passende Ausgestaltung der Haltestellen für Sehbeeinträchtigte und blinde Menschen,
  • akustische Ansagen in den Verkehrsmitteln und an der Haltestelle [Hofm21].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Eventverkehr (Stand des Wissens: 15.09.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?287768
Literatur
[DiSc04] et al., Dienel, Hans-Liudger, Flaig, Jörn, Dipl.-Wirt.-Ing. (FH), Schiefelbusch, Martin, MA/MSc, Schäfer, Tanja, Geogr. M.A. Handbuch Eventverkehr, Erich Schmitt-Verlag, Berlin, 2004, ISBN/ISSN 3 503 07830 4
[Hama04] Hamann, Rainer, Dr.-Ing. Verkehrliche Behandlung von Events/Veranstaltungen, veröffentlicht in Verkehr und Technik, 2004/05
[Heis04] VBK-Verkehrsbetriebe Karlsruhe GmbH, Heise, Philipp, Dr. Stadtfeste: "Das Fest" in Karlsruhe, veröffentlicht in Erfolgreiche Eventverkehre, verlag MetaGIS Infosysteme / Mannheim, 2004, ISBN/ISSN 3-936438-07-02
[Hofm21] Hofmann-Wagner, Kerstin, Jostes, Gudrun, Barrierefreie Events: Grundlagen und praktische Tipps zur Planung und Durchführung, 2021
[KrRe05] Krahe, Doris, Reinkober, Norbert, Dr. Weltjugendtag in Köln: Herausforderung für den ÖPNV, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage Heft 7/8, 2005
[MaSa04] Maier, Dietmar, Dipl. Phys., Sandhöfner, Markus, Dipl.-Ing. Ländliche Volksfeste: Sonderangebote im ÖV zum Altstadtfest Tauberbischofsheim, veröffentlicht in Erfolgreiche Eventverkehre, Verlag MetaGIS Infosysteme / Mannheim, 2004, ISBN/ISSN 3-936438-07-02
[Reub06] Reuber, Paul, Albers, Aline Postmoderne Freizeitstile und Freizeiträume: neue Angebote im Tourismus, 2006
[VDV06] Anemüller, Stephan , Radermacher, Berthold, Bihn, Friedhelm, Dipl.-Volksw. Fußball-WM 2006 - Voll in Fahrt mit Bus und Bahn, veröffentlicht in Bus & Bahn, Ausgabe/Auflage 7-8, Alba Fachverlag GmbH + Co. KG, 2006, ISBN/ISSN 0341-5228
Glossar
ÖV
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist sowohl im Personen-, Güter- sowie Nachrichtenverkehr für jeden Nutzer in einer Volkswirtschaft öffentlich zugänglich. Dazu zählen sowohl die öffentliche Personenbeförderung, der öffentliche Gütertransport als auch die öffentlichen Telekommunikations- und Postdienste. Der ÖV wird dabei von Verkehrsunternehmen nach festgelegten Routen, Preisen und Zeiten durchgeführt. Der ÖV ist somit im Gegensatz zum Individualverkehr (IV) örtlich und zeitlich gebunden.
Vor dem Hintergrund der verkehrspolitisch geförderten Multimodalität wird der ÖV zunehmend breiter definiert, indem auch alternative Bedienformen, Taxen bis hin zu öffentlichen Fahrrädern und öffentlichen Autos als Teil eines neuen individualisierten ÖV gesehen werden.
Barrierefreiheit
Barrierefreiheit bedeutet, dass bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?161024

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 10:43:43