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Modelle der ÖPNV-Organisation

Erstellt am: 01.06.2005 | Stand des Wissens: 06.12.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König

In Deutschland gibt es für den öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) drei relevante Organisationsformen bzw. Ebenen-Modelle. Wie die jeweilige Organisationsform aussehen sollte, ist für jeden Fall einzeln zu betrachten. Die rechtlichen und ökonomischen Bedingungen müssen jederzeit eingehalten werden, auch beispielsweise die Belange der Aufgabenträger, Eigentümer, Verkehrsunternehmen und die der Fahrgäste, um die Daseinsvorsorge sicherzustellen.
Die drei Ebenen-Modelle sind Abbildung 1 zu entnehmen.
Modelle_der_OePNV_Organisation.jpgAbb. 1: Organisationsformen im öffentlichen Personennahverkehr (Darstellung nach [Eich05])
Im traditionellen kommunalen Verkehrsbetrieb sind die Aufgaben der Nahverkehrsplanung und der Betriebsdurchführung innerhalb eines Unternehmens - oft als kommunaler Eigenbetrieb - angesiedelt. Bei dieser Organisation spricht man vom Ein-Ebenen-Modell. Mit der politischen Forderung nach Trennung zwischen Aufgabenträgerschaft und Betriebsdurchführung entspricht dieses Modell nicht mehr den Zielsetzungen. Diese erfüllt hingegen das Zwei-Ebenen-Modell mit einer Aufgabenteilung zwischen einem Aufgabenträger als Besteller - meist einer Behörde - und einem Verkehrsunternehmen als Ersteller von Verkehrsleistungen. Häufig werden einzelne Aufgaben (Erstellen des Nahverkehrsplans, Controlling, Erarbeiten von Lastenheften) bei externen Beratern zugekauft. [Eich05]

Als Organisationsmodell für einen wettbewerblich organisierten ÖPNV eignet sich unter Berücksichtigung der politischen Zielstellungen des weiteren das Drei-Ebenen-Modell. In der obersten Ebene (Politik-Ebene) werden die Zielvorgaben zum ÖPNV-Verkehrsangebot und für seine Finanzierung entwickelt. Die Durchführung der Verkehrsleistungen übernehmen die Verkehrsunternehmen (Unternehmens-Ebene) in der untersten Ebene. Sie haben dabei als Wirtschaftsunternehmen eine selbständige Position. Zwischen Politik- und Unternehmens-Ebene wird eine Management-Ebene angesiedelt. Unter Berücksichtigung der politischen Zielvorgaben und den wirtschaftlichen Interessen der Verkehrsunternehmen gestaltet diese mittlere Ebene das konkrete Verkehrsangebot und den Tarif. Die Interessen der Bevölkerung nach einem attraktiven und wirtschaftlichen ÖPNV sind dabei zu berücksichtigen. [Kirch99]

Im Drei-Ebenen-Modell gibt es mit dem Besteller-Ersteller-Prinzip eine klare Trennung der politischen und unternehmerischen Ebene. Die Einheitlichkeit des Nahverkehrsangebots für den Kunden wird durch den Aufgabenträger vor Ort sichergestellt. Im Übergang vom traditionellen kommunalen Verkehrsbetrieb zum Drei-Ebenen-Modell müssen die bislang bei kommunalen Unternehmen angesiedelten Kompetenzen für Planung, Organisation und Finanzierung des ÖPNV in der Management-Ebene zur Verfügung stehen. Sie können entweder aus den kommunalen Unternehmen herausgelöst oder neu aufgebaut werden. [Eich05]

Das Bereitstellen der Infrastruktur wird als eine Querschnittsaufgabe aller drei Ebenen angesehen. Während der Politik-Ebene die grundsätzliche Entscheidungsgewalt über die Infrastruktur zugesprochen wird, sollten die Umsetzung in der Management-Ebene und bei den Verkehrsunternehmen angesiedelt sein. Die planerische Festlegung von Bedienungsstandards, Tarifstruktur und des ÖPNV-Streckennetzes werden überwiegend als grundlegende Entscheidungskompetenzen der Politik-Ebene betrachtet.

Mit Inkrafttreten der Verordnung (EG) 1370/2007 besteht für Behörden die Möglichkeit öffentliche Personenverkehre selbst zu erbringen bzw. ohne Ausschreibung an einen internen Betreiber zu vergeben, wobei die Direktvergabe ein sehr strittiger Punkt ist, wodurch es immer wieder zu Rechtstreitigkeiten in der Vergangenheit kam. Bei einer ÖPNV-Organisation im Drei-Ebenen-Modell ergibt sich die Frage, ob das Selbsterbringungsgebot auch für Verkehrsmanagement-Gesellschaften gilt und eine Neuordnung der ÖPNV-Organisation erfordert. In Fachkreisen wird die Auffassung vertreten, dass die VO 1370/2007 nicht dazu zwingt die Verkehrsmanagement-Gesellschaften aufzugeben. [Barth10]

Die Management-Ebene sei kein Betreiber von Verkehren und verwaltet diese lediglich als qualifizierte, zuständige Behörde. Zum Beibehalten des kommunalen Querverbunds ist es aus steuerlicher Sicht erforderlich, dass die Management-Ebene gleichzeitig Inhaber der Liniengenehmigungen (Betriebsführerschaft) nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) ist. Unter Berücksichtigung der konkreten landesspezifischen Rahmenbedingungen, des rechtlichen Rahmens (Novellierung des PBefG) und steuerlicher Aspekte sollte jeweils eine passende Lösung zur ÖPNV-Organisation vor Ort entwickelt werden. [Barth10]
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Organisation des ÖPNV (Stand des Wissens: 06.12.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?208400
Literatur
[Barth10] Dr. Sibylle Barth Neue Organisation kommunalen Nahverkehrs nach der EU-VO 1370?, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage Oktober 2010, Alba Fachverlag Düsseldorf, 2010/10, ISBN/ISSN ISSN 0722-8287
[Eich05] Eichmann, Volker, Dipl.-Ing., Berschin, Felix, Dr., Bracher, Tilman, Sipl.-Volksw., Winter, Matthias, Dipl.-Ing. Umweltfreundlicher, attraktiver und leistungsfähiger ÖPNV - ein Handbuch, 2005/10
[Kirch99] Heinze, G.Wolfgang, Prof. Dr. rer. pol., Kirchhoff, Peter, Prof. Dr.-Ing., Köhler, Uwe, Prof. Dr.-Ing. Planungshandbuch für den ÖPNV in der Fläche, veröffentlicht in direkt, Ausgabe/Auflage Heft 53, Bonn, 1999
Rechtsvorschriften
[(EG) Nr. 1370/2007] Verordnung (EG) Nr. 1370/2007
[PBefG] Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
Glossar
Aufgabenträger
Aufgabenträger bestellen bei den Verkehrsunternehmen die im Rahmen der Daseinsvorsorge gewünschten Nahverkehrsleistungen. Dabei gibt es Unterschiede zwischen dem Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und dem straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Im SPNV sind seit Bahnreform und ÖPNV-Regionalisierung im Jahr 1995/96 anstelle des Bundes die Länder für die Planung, Organisierung und Finanzierung verantwortlich. In einigen Ländern sind die Aufgabenträger für das gesamte Land zuständig, wie in Bayern, in anderen betreuen sie regional abgegrenzte Gebiete, wie in Nordrhein-Westfalen. Teilweise wird die Aufgabenträgerschaft den Verkehrsverbünden zugewiesen, wie in Hessen.
Die Aufgabenträgerfunktion für den straßengebundenen ÖPNV ist den Landkreisen oder kreisfreien Städten zugeordnet.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Personenbeförderungsgesetz
Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) regelt die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Oberleitungsbussen (Obussen) oder Kraftfahrzeugen im Linien- und Gelegenheitsverkehr. Die Novelle des PBefG schafft einen Rechtsrahmen für neue digitale Mobilitätsangebote und berücksichtigt stärker die Belange des Klimaschutzes, der Verkehrseffizienz und die Erreichbarkeit im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse. Des Weiteren sind im PBefG Vorgaben zur Wahrung von sozialen Standards zugunsten der Beschäftigten verankert.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?147293

Gedruckt am Donnerstag, 18. April 2024 12:29:24